Kylian Mbappe
AP/Petr David Josek
FIFA WM 2018

Europa eilt der Welt davon

Die 21. Weltmeisterschaft der Geschichte in Russland ist ab dem am Dienstag beginnenden Semifinale eine Europameisterschaft. Zum insgesamt fünften Mal stehen vier Teams aus Europa im Halbfinale einer WM. Daher kommt auch zum vierten Mal in Folge der Weltmeister vom „alten Kontinent“. Ein Hinweis, dass Europas Fußball der Welt enteilt – auf Kosten der langjährigen „Großmächte“ der Szene.

„Das ist vielleicht auch eine kleine Revolution und zeigt, dass sich die europäischen Mannschaften weiterentwickelt haben“, sagte etwa Frankreichs Stürmer Olivier Giroud, der mit der „Equipe Tricolore“ am Dienstag in St. Petersburg gegen Belgien (20.00 Uhr, live in ORF eins) um einen Platz im Endspiel am 15. Juli im Moskauer Luschniki-Stadion ringen wird. Die Franzosen alleine waren dafür verantwortlich, dass sich mit Peru (Gruppenphase), Argentinien (Achtelfinale) und Uruguay (Viertelfinale) drei südamerikanische Vertreter von der WM verabschieden mussten.

1934, 1966, 1982 und 2006 war Europa in einem WM-Semifinale bisher unter sich. Frankreich ist als Weltmeister von 1998 noch der etablierteste der vier Semifinalisten, musste aber auch seit 2006 auf den Einzug unter die Top Vier der Welt warten. Für England ist es der erste Sprung in die Vorschlussrunde seit 28 Jahren. Belgien (1986) und Kroatien (1998) schafften das überhaupt erst einmal – und könnten bei optimalem Verlauf als neunte Nation in den elitären Kreis der Weltmeister vorstoßen.

„Großmächte“ müssen aufpassen

Unabhängig davon, wer sich in den Halbfinal-Spielen Frankreich gegen Belgien und England gegen Kroatien durchsetzt – das europäische Endspiel 2018 wird eine Premiere in der Geschichte von Weltmeisterschaften. Erst zum zweiten Mal in der Geschichte neben 2010 (Spanien – Niederlande) findet ein Finale ohne ein Team aus Deutschland, Brasilien, Argentinien und das für Russland erst gar nicht qualifizierte Italien statt.

Kroatische Spieler jubeln
AP/Manu Fernandez
Kroatien ist eines von vier Teams aus Europa im Halbfinale

Erstmals seit der WM-Premiere 1930 finden schon die Semifinal-Spiele ohne deutsche oder brasilianische Beteiligung statt. Eine der beiden Nationen schaffte es immer zumindest in die Runde der besten Vier. Nach dem vorzeitigen Aus etwa der Deutschen, Brasilianer und Spanier müssen die langjährigen Dominatoren im Weltfußball nun aufpassen, dass der Triumph des „neuen“ Europas nicht zu einer Zeitenwende führt.

„Wer immer die Favoriten auf den Sieg waren, die großen Teams, sie sind zu Hause“, sagte Kroatiens Trainer Zlatko Dalic über die Konstellation bei dieser Weltmeisterschaft. Die Semifinalisten haben laut Dalic vor allem eines gemeinsam: „Die Teams, die hart arbeiten, die kompakt sind, die vereint und gut organisiert sind, die sind noch hier in Russland. Und das ist der Charakter der vier verbliebenen Mannschaften.“

Klagen über Ungleichgewicht

Im Vergleich zu den restlichen Konföderationen hatte die europäische aber wieder einen Startvorteil. 14 der 32 Teilnehmer der WM kamen aus Europa (44 Prozent). Dieser Anteil erhöhte sich vom Achtelfinale (62) über das Viertelfinale (75) bis zum EM-gewordenen Halbfinale. In der Verteilung der Startplätze sehen die anderen Erdteile zukünftig eine Chance, die Vormachtstellung zumindest etwas einzudämmen. Wenn spätestens die WM 2026 mit 48 Teams gespielt wird, bekommt der Europäische Fußballverband (UEFA) fix nur drei zusätzliche Startplätze.

Toni Kroos
APA/AFP/Jewel Samad
Deutschland war fast immer ein Fixkandidat für das Semifinale – diesmal scheiterte man erstmals in der Gruppenphase

Aus Sicht der Außenseiter aus Afrika, Asien und Amerika sorgt auch die höhere Finanzkraft der europäischen Ligen, etwa durch den Millionengeldtopf namens Champions League, für ein Ungleichgewicht auf der Weltbühne. „Meine Meinung nach 37 Jahren im Geschäft ist, dass es klar ist: Die Lücke ist groß und sie wächst weiter und wird weiter wachsen, WM für WM“, sagte der Coach der iranischen Mannschaft, Carlos Queiroz, über die Unterschiede der Kontinente. „Europa bis zum Ural“ überschrieb die französische „L’Equipe“ ihre Analyse der Dominanz.

Die südamerikanischen Vertreter erlebten hingegen ihr schlechtestes Turnier seit 2006, scheiterten in der Vorrunde (Peru), Achtelfinale (Argentinien und Kolumbien) und Viertelfinale (Brasilien und Uruguay). „Die Wahrheit aus finanzieller und historischer Sicht“ könne nicht ignoriert werden, sagte daher auch Uruguays Trainerlegende Oscar Tabarez nach der 0:2-Niederlage gegen Frankreich zu den Gründen. „Fragen Sie mich nichts, was selbstverständlich ist.“