Didier Deschamps
APA/AFP/Franck Fife
FIFA WM 2018

Nachbar flößt Frankreich Respekt ein

Am Dienstag geht in St. Petersburg (20.00 Uhr, live in ORF eins) nicht nur das erste Semifinale der WM 2018 über die Bühne, sondern auch ein traditionsreiches Nachbarschaftsduell. Zum bereits 74. Mal stehen sich Frankreich und Belgien auf einem Fußballfeld gegenüber. Von einer „giftigen“ Rivalität, wie etwa früher bei Spielen zwischen Deutschland und den Niederlanden ist aber nichts zu spüren.

Die fußballerischen Beziehungen beider Länder sind eng. So bestritten Belgien und Frankreich am 1. Mai 1905 ihr jeweils erstes Länderspiel der Geschichte gegeneinander. Damals trennte man sich brüderlich mit einem 3:3-Remis. Bei Weltmeisterschaften traf man sich bisher zweimal: 1938 im WM-Achtelfinale behielt Frankreich ebenso die Oberhand (3:1) wie 1986 im Spiel um Platz drei (4:2 n. V.). Insgesamt ist die Bilanz von „Les Bleus“ gegen die „Roten Teufel“ – gegen keine Nation spielte Frankreich öfter – aber negativ: 24 Siegen stehen 19 Remis und 30 Niederlagen gegenüber.

Französische Legende hilft Belgien

Auch aktuell verbindet die Franzosen mit ihrem Semifinal-Gegner Belgier, wo im südlichen Landesteil Wallonien noch dazu französisch gesprochen, viel. Ausgerechnet Frankreichs Rekordtorschütze Thierry Henry (51 Treffer in 123 Länderspielen) ist Assistent des belgischen Teamchefs Roberto Martinez. Dass ausgerechnet ein ehemaliger Teamkollege auf der anderen Bank sitzt, ist auch für Frankreichs Trainer Didier Deschamps laut eigener Aussage speziell. „Es ist bizarr, dass er auf der anderen Seite sitzt. Aber ich bewundere ihn und freue mich sehr für ihn.“

Thierry Henry
APA/AFP/Franck Fife
Frankreichs Rekordtorschütze Henry hat diesmal Anteil am Erfolgslauf der Belgier

Gemeinsam stand das Duo 1998 in jener Equipe, die Frankreich den bisher einzigen WM-Titel bescherte. Deschamps durfte damals als Kapitän den Pokal entgegennehmen. Henry, der im Verlauf des Turniers drei Tore erzielt hatte, musste ausgerechnet im Finale auf der Ersatzbank sitzen. Zwei Jahre später führten Deschamps und Henry die Franzosen auch zum Gewinn der Europameisterschaft.

„Alle in Frankreich kennen ihn und wissen, was für ein großartiger Spieler und welche Ikone er war. Wir hoffen nur, dass er uns im Halbfinale nicht besiegt“, sagte Verteidiger Lucas Hernandez, der aber glaubt, dass das Semifinale für Henry eine „Win-win-Situation“ ist: „Wenn wir gewinnen, wird er sich auch freuen. Am Ende ist er doch Franzose.“ Stürmer Olivier Giroud merkte hingegen an: „Ich wäre zufrieden, ‚Titi‘ zu zeigen, dass er im falschen Lager steht.“

Historische Chance für Deschamps

Schaffen es die Franzosen im Semifinale, die Belgier trotz Henrys Insider-Wissens zu biegen und ins Finale einzuziehen, fehlt Deschamps nur noch ein Sieg, um in einen erlesenen Kreis vorzudringen. Als Dritter nach Franz Beckenbauer und dem Brasilianer Mario Zagallo könnte der ehemalige Abwehrchef, der im Oktober seinen 50er feiert, als Spieler und Trainer Weltmeister werden. Beckenbauer gewann 1974 bzw. 1990 mit Deutschland den Titel, Zagallo war 1958, 1962 und später als Trainer 1970 gleich an drei Titeln der „Selecao“ beteiligt.

Einen Spaziergang zum zweiten Titel nach 1998, dem ersten außerhalb Frankreichs, erwartet im Lager der „Equipe Tricolore“ jedoch niemand. Zwar versprach Deschamps nach dem 2:0-Sieg über Uruguay im Viertelfinale noch vollmundig: „Wir sind noch eine Woche hier.“ Der Teamchef und seine Spieler wissen aber genau, welche Hürde mit Belgien wartet. „Das Schwerste kommt jetzt erst noch“, meinte Kylian Mbappe. „Noch haben wir nichts erreicht“, pflichtete Paul Pogba bei. „Unser Ziel ist nicht das Halbfinale.“

Leistungskurve zeigt nach oben

Die Leistungskurve bei den Franzosen war zuletzt im Steigen begriffen. In der Gruppenphase spielte der Vizeeuropameister nicht auf seinem Toplevel, gegen die unaufgeräumten und unorganisierten Argentinier ließen sie drei Gegentore zu. Der Auftritt gegen Uruguay ohne Superstar Edinson Cavani deutete aber das Potenzial der jungen französischen Mannschaft, die am Anfang einer großen Ära stehen könnte, deutlich an.

Kylian Mbappe
APA/AFP/Franck Fife
Kylian Mbappe (l.) und seine Equipe kamen in der K.-o.-Runde richtig auf Touren

Für das „Grande Finale“ erhoffen sich „Les Bleus“ im Gegensatz zur Heim-EM vor zwei Jahren ein Happy End. „Der letzte Sprint sollte besser als der bei der EM werden“, meinte Mittelstürmer Giroud. „Wir haben nicht den Druck wie bei der Heim-EM als Gastgeber“, sagte der 31-Jährige. Die Mannschaft habe aber seitdem an Erfahrung dazugewonnen.

In seinem Teamkollegen Mbappe und Belgiens Edeltechniker Eden Hazard, mit dem er gemeinsam bei Chelsea spielt, sieht Giroud zwei Genies. „Kylian liegt in Sachen Geschwindigkeit vorne. Außerdem spielt er aggressiver als Eden“, betonte der Offensivmann am Sonntag auf einer Pressekonferenz. Der Belgien-Kapitän gehöre für ihn aber zu den drei besten Spielern, mit denen er bisher zusammengespielt habe. „Und auch Kylian zählt vermutlich dazu.“

Präsident als Edelfan

Als prominenter Daumendrücker wird Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Match in St. Petersburg beiwohnen. Der Spitzenpolitiker hatte die Mannschaft mit einem klaren Auftrag nach Russland entlassen: „Ein Wettkampf ist dann gelungen, wenn er gewonnen wird. Bringt uns zum Träumen.“ Die Spieler sehen darin einen zusätzlichen Ansporn. „Das gibt natürlich noch einmal Extramotivation“, sagte Varane. Von einer Favoritenrolle für die Franzosen will der 25-Jährige aber nichts wissen: „Ich denke, es gibt keinen Favoriten.“