Bilanz

Was von Peking in Erinnerung bleibt

Das olympische Feuer in Peking ist zum zweiten Mal erloschen. 14 Jahre nach den Sommerspielen gingen am Sonntag auch erstmals Winterspiele am gleichen Ort zu Ende. Die 24. Ausgabe in der chinesischen Hauptstadt wird noch lange in Erinnerung bleiben – allerdings nicht nur wegen sportlicher Triumphe und Dramen. Auch die allgegenwärtige Coronavirus-Pandemie, Wetterkapriolen und ein handfester Skandal prägten die schon im Vorfeld umstrittenen Spiele im Reich der Mitte.

Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), bezeichnete die 16 Tage in und um Peking bei der Schlussfeier im „Vogelnest“-Stadion nicht umsonst, als „wirklich außergewöhnliche Winterspiele“. Auch vonseiten der Gastgeber trat man nicht mit falscher Bescheidenheit auf. Die Spiele seien „fantastisch, außergewöhnlich und ganz hervorragend abgelaufen“, sagte etwa OK-Chef Cai Qi, der auch die strengen CoV-Maßnahmen als „Musterbeispiel“ für künftige Großveranstaltungen lobte.

Auch wenn gerade die Skipisten nur durch enorme Eingriffe in das vorhandene Bergprofil geschaffen werden konnten, gab es für die Pisten und Sportstätten in Peking von Athletenseite viel Lob. Ein Blickfang war einerseits die utopisch anmutenden Schanzenanlage in Zhangjiakou, andererseits die Big-Air-Schanze in einem ehemaligen Stahlwerk, dessen Kühltürme manche an ein Atomkraftwerk aus der TV-Serie „Die Simpsons“ erinnerte. Für spektakuläre Bewerbe sorgte auch der sündteure und gigantische Eiskanal in Yanqing. Gelobt wurde zudem die Qualität des Eises in den Hallen von Peking.

Nationale Skisprung Center in Zhangjiakou
Reuters/Marco Djurica
Die imposante Schanzenanlage von Zhangjiakou darf stellvertretend für die Sportstätten der Spiele 2022 stehen

Getrübt wurden die Bewerbe auf den modernen Anlagen durch unbarmherzige Wetterverhältnisse. Zwar herrschte die meiste Zeit strahlender Sonnenschein, doch bei einem Blick auf das Thermometer wurde sogar Eisbären kalt. Temperaturen meist jenseits der minus zehn Grad Celsius und gegen Ende der Spiele stürmischer Wind brachten die Athletinnen und Athleten an ihre Grenzen. Zum Drüberstreuen brachte zur Mitte der Spiele ein Wintereinbruch für die Gegend seltene Schneemassen, die etwa den Riesentorlauf der Herren zur fragwürdigen Veranstaltung werden ließen. Die frostige Stimmung bei den Bewerben im Freien wurde durch die pandemiebedingten Zuschauerbeschränkungen noch verstärkt.

Teenager im Mittelpunkt des Skandals

Für Schaudern sorgte auch die Situation rund um die junge Eisläuferin Kamila Walijewa. Denn die 15-jährige Russin – oder offiziell: die Athletin des Russischen Olympischen Komitees (ROC) – stand im Mittelpunkt des großen Skandals der Spiele 2022. Nach einem publik gewordenen positiven Dopingtest der Europameisterin und Goldfavoritin vom Dezember entspann sich ein Tauziehen um das Startrecht der Russin. Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) entschied kurzfristig pro Walijewa, die 15-Jährige durfte starten.

Russiands Kamila Walijewa beim Eiskunstlaufen
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Walijewa stand nicht aufgrund ihres eisläuferischen Talents im medialen Mittelpunkt

Die junge Russin konnte jedoch dem Druck wenig überraschend nicht standhalten und rutschte in der Kür vom ersten auf den letzten Platz zurück. Die Diskussion rund um die 15-Jährige und speziell ihr Umfeld war damit allerdings nicht zu Ende. Sogar IOC-Präsident Bach reagierte irritiert auf die kühle Behandlung Walijewas durch ihre Trainerin. Auch auf die Abschlussbilanz der Spiele hat der Dopingfall noch Auswirkungen. Denn die Medaillen im Team-Bewerb, den die Russen mit Walijewa für sich entschieden hatten, waren nach der Schlussfeier noch nicht offiziell vergeben.

Von Gu bis Bö

Sportlich waren die Spiele von einer neuerlichen Dominanz des norwegischen Teams geprägt, das insgesamt 37 Medaillen aus dem Reich der Mitte nach Hause brachte. Die 16 Goldenen bedeuteten zudem einen neuen Rekord bei Winterspielen. Auch aus österreichischer Sicht hat Peking zumindest sportlich einen Ehrenplatz. Mit siebenmal Gold, siebenmal Silber und viermal Bronze durfte sich die rot-weiß-rote Abordnung über die zweiterfolgreichsten Spiele der Geschichte freuen. Nur in Turin 2006 schnitt ein österreichisches Team noch besser ab.

Die Spiele 2022 brachten auch wieder zahlreiche neue Superstars oder festigten den Status von bereits bekannten. Aus Sicht der Gastgeber strahlte niemand so hell wie Freestylerin Eileen Gu. Die in den USA in San Francisco geborene und aufgewachsene 18-Jährige ging für die Heimat ihrer Großmutter an den Start und verzückte im Big Air und in der Halfpipe mit ihren Tricks die Preisrichter und bescherte China zweimal Gold. Einzig im Slopestyle wurde die Schweizerin Mathilde Gremaud zur Spielverderberin. Mit zweimal Gold und einmal Silber ist Gu trotzdem die einzige Freestylerin, die drei Medaillen bei ein und denselben Spielen gewinnen konnte.

Ailing Eileen Gu mit Goldmedaille
Reuters/USA TODAY Sports/Jack Gruber
Gu trickste sich in die Herzen der Chinesen und auf die internationalen Titelblätter

In der Reihe der erfolgreichsten Sportlerinnen in Peking musste Gu aber der Norwegerin Marte Olsbu Röiseland, die es im Biathlon auf drei Goldene und zwei Bronzemedaillen brachte, den Vortritt lassen. In den Loipen und am Schießstand von Zhangjiakou trieb auch der erfolgreichste Sportler in Peking überhaupt die Konkurrenz zur Verzweiflung. Röiselands Landsmann und Biathlon-Kollege Johannes Thingnes Bö krallte sich vier Goldene und eine Bronzemedaille und trat damit in die Fußstapfen seines berühmten Landsmannes Ole Einar Björndalen, der 2022 in Salt Lake City ebenfalls vierfacher Olympiasieger im Biathlon geworden war.

Eine große Verliererin

Peking sah auch sportlich eine große Verliererin. Denn für Mikaela Shiffrin wurde Olympia 2022 zum Alptraum. Die 26-jährige US-Amerikanerin war mit dem Ziel, in allen fünf Einzeldisziplinen eine Medaille zu gewinnen, nach China gereist und stand am Ende mit leeren Händen da. Mehr noch: In ihren Spezialdisziplinen Slalom und Riesentorlauf dauerte ihr Auftritt nur wenige Sekunden. „Das fühlt sich alles nur noch wie ein Witz an“, sagte eine entnervte Shiffrin, nachdem sie auch im Kombi-Slalom vorzeitig im Schnee gesessen war. Der vierte Platz im Teambewerb zum Abschluss blieb somit ihr Highlight.

Mikaela Shiffrin sitzt enttäuscht im Schnee
AP/Robert F. Bukaty
Für Skistar Shiffrin war das Reich der Mitte sportlich keine Reise wert

Aber auch aus heimischer Sicht verlies so manche Medaillenhoffnung Peking mit gesenktem Kopf. Vincent Kriechmayr, vor einem Jahr in Cortina d’Ampezzo noch strahlender Weltmeister in Abfahrt und Super-G, ging ebenso leer aus wie Johannes Lamparter, der Weltcup-Führende und Doppelweltmeister von Oberstdorf in der Nordischen Kombination. Auch für die im Vorfeld hochmgehandelte Skeletoni Janine Flock und den aussichtsreichen Freestyle-Youngster Matej Svancer hingen die Medaillen unerreichbar hoch.

Neue Bestmarken

Bestmarken und Premieren gab es in Peking aber sonst genug. Der Russe Alexander Bolschunow packte dreimal Gold sowie einmal Silber und Bronze in sein Gepäck und holte damit als erster Langläufer überhaupt fünfmal Edelmetall bei denselben Spielen. Bei den Damen war Therese Johaug wie erwartet mit dreimal Gold die „Königin der Loipen“. Im Eiskanal von Yanqing herrschten derweil die Deutschen, allen voran Francesco Friedrich, der sein Double aus Gold im Zweier- und Viererbob wiederholte. Im Zweierbob der Männer räumte das deutsche Team gleich alle Medaillen ab. Insgesamt gingen neun von zehn Goldene im National Sliding Centre an deutsche Athletinnen und Athleten.

Auf den Skipisten dominierten die Farben rot und weiß – vor allem in der Kombination weißes Kreuz auf rotem Grund. Die Schweiz durfte gleich fünf Goldmedaillen bejubeln, darunter dank Corinne Suter und Beat Feuz auch in der Königsdisziplin Abfahrt. Derart erfolgreich war eine Nation bei alpinen Olympiabewerben noch nie. Österreich hielt mit dreimal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze so gut es ging dagegen. Trostpflaster für die heimische Skiseele: Mit Johannes Strolz, der zwei Goldene und eine Silberne gewann, stellte Österreich den erfolgreichsten Skifahrer von Peking.

Beinharte Kontrollen

Auch wenn sich die Veranstalter bemühten, Gastfreundschaft zu vermitteln, drückte die zum Schutz vor Infektionen mit dem Coronavirus geschaffene Enge der „Olympiablase“ den Aktiven und auch Medienvertretern an Ort und Stelle aufs Gemüt und erinnerte viele an ein Gefängnis. Gab man einen positiven CoV-Test ab, kannte das Personal bei aller Höflichkeit kein Erbarmen, wie auch ein Video vom „Abtransport“ von Snowboarderin Sabine Schöffmann zeigte.

Die strengen Maßnahmen und auch die stetigen Erinnerungen daran durch die Freiwilligen gaben den Organisatoren recht. Es gab kaum Infektionsfälle während der Spiele, die meisten waren vor oder bei der Anreise passiert, wie die positiven Flughafentests zeigten. Von insgesamt 1,7 Millionen Coronavirus-Tests in vier Wochen fielen auch „nur“ 437 positiv aus. China sah damit auch seine restriktive Einreisepolitik als gerechtfertigt. Hochrangige westliche Politiker waren den Spielen ohnehin ferngeblieben.