„Ich hatte schon früh das Gefühl, ich bin der Bessere, auch wenn es blöd klingt“, sagte Melzer nach seinem Erfolg über die Nummer 22 der Welt. „Aber manchmal spielt er von hinten weniger rein. Dann musst du zwei Tiebreaks gewinnen, darauf habe ich es ausgelegt“, umriss der Routinier seinen Matchplan. „Ich habe gesehen, ich bin dabei, er schießt mich nicht ab. Da war dann nur noch ein Ziel: gewinnen.“
Abschiedsgedanken ausgeblendet
Einen Schlüsselmoment habe es im zweiten Satz bei 2:2 und 0/30 gegeben: „Da war dann ein unglaublicher Punkt von mir, sonst wären es drei Breakbälle gewesen“, sagte der Niederösterreicher, der einräumte: „Man muss die Kirche im Dorf lassen. Ich habe okay gespielt, aber er hat viele Fehler gemacht und sich nur auf seinen Aufschlag verlassen.“ In solchen Partien traue er sich einen Sieg noch immer zu, so der langjährige ÖTV-Davis-Cupper.
Melzer hat noch nicht genug
Die Einzelkarriere von Jürgen Melzer geht weiter: Der 37-Jährige setzte sich in der Wiener Stadthalle gegen den Kanadier Milos Raonic in zwei Sätzen mit 7:6 (8/6) 7:5 durch.
Dass es sein Abschiedsspiel auf der Einzel-Tour sein könnte, habe er versucht auszublenden. „Es waren viele Freunde, Familienangehörige und Weggefährten von mir in der Halle, trotzdem habe ich mich konzentriert und versucht, das durchzuziehen, was ich mir vorgenommen habe“, so Melzer, der sich mit dem Rücktrittsgedanken lange beschäftigt hat: „Daher habe ich es nüchtern betrachtet.“
Hintertürchen bleibt offen
Dennoch gebe es Momente, in denen einem die Tragweite dieses Schrittes bewusst wird: „Da denkt man daran, dass es jetzt vorbei ist. Aber ich habe so viele schöne Momente erlebt, und irgendwann geht der Vorhang zu. Ich bin froh, dass mir das mit so einer Leistung gelingt und nicht alle sagen: Warum bekommt der noch eine Wildcard?“, so der zweifache Wien-Triumphator.
Einen Rücktritt vom Rücktritt werde es jedenfalls nicht geben: „Mein Körper funktioniert nicht mehr so, dass ich mich im Einzel noch weiter hochspielen kann. Ich habe meinen Frieden gefunden“, sagte der Weltranglisten-426., um sich dann doch ein Hintertürchen offen zu lassen: „Wenn ich das Turnier gewinne, spiele ich weiter.“ Sollte ihm das tatsächlich gelingen, würde die ehemalige Nummer acht im ATP-Ranking wieder an der Schwelle zu den Top 100 stehen.
Offene Rechnung mit Anderson
Aber so weit ist es noch lange nicht. Zunächst wartet am Mittwoch die Nummer zwei des Turniers, Kevin Anderson. „Mit ihm habe ich noch eine Rechnung offen: 2011 habe ich gegen ihn im Viertelfinale von Wien verloren“, sagte Melzer. Der Südafrikaner hatte zum Auftakt allerdings viel Mühe, um den Georgier Nikolos Basilaschwili mit 4:6 7:6 (8/6) 6:3 zu bezwingen, und musste im Tiebreak sogar einen Matchball abwehren.
„Das wird eine ganz andere Partie als gegen Raonic. Aber ich habe ihn 2010 in Madrid geschlagen“, so Melzer, dem die Bedingungen am Vogelweidplatz behagen: „Der Platz ist extrem fair: Slice und Volley bleiben tief, Bälle mit Spin springen.“ Einen letzten Wunsch hätte Melzer noch für seine Abschiedsparty: „Im Finale gegen Dominic Thiem. Das würde ich nehmen.“
ATP-500-Turnier in Wien
(Österreich, Hartplatz)