Headcoach Sean McVay (Los Angeles Rams)
AP/Rick Scuteri
NFL

Angriff ist im Titelkampf Trumpf

„Offensive verkauft Tickets, Defensive gewinnt Meisterschaften.“ Dieses bekannte Zitat des legendären Football-Coachs Bear Bryant hat in der National Football League (NFL) nicht selten den Nagel auf den Kopf getroffen. In dieser Saison ist der Angriff im Titelrennen aber Trumpf. Die vier besten Offensivabteilungen sind unter sich – das gab es noch nie.

Vor zuletzt drei Jahren standen die jeweils topgesetzten Teams ihrer Conference im Halbfinale der NFL. Doch noch nie war es der Fall, dass die im Grunddurchgang vier besten Offensivreihen – gemessen an Punkten pro Spiel im Schnitt – in der Vorschlussrunde unter sich sind.

Die Kansas City Chiefs (1./35,3 Punkte pro Spiel) treffen im Kampf um den Titel in der American Football Conference (AFC) am Sonntag auf den Vorjahresfinalisten New England Patriots (4./27,3). Zuvor duellieren sich in der National Football Conference (NFC) die New Orleans Saints (3./31,5) und die Los Angeles Rams (2./32,9).

Apropos Rams: Das Team lag in dieser Statistikkategorie vor zwei Jahren noch auf dem letzten Platz. Mit dem erst 32-jährigen Head-Coach Sean McVay folgte der Turnaround und ein Trend in der NFL, der sich in der Besetzung der vakanten Trainerstühle widerspiegelt.

Noch nie so viele Touchdowns

1.371 Touchdowns im abgelaufenen Grunddurchgang sind Höchstwert in der Ligageschichte, 11.952 Yards Raumgewinn bedeuteten Rang zwei in der Historie. 23,3 Punkte pro Team und Spiel im Schnitt wurden nur 1948 und 2013 überboten. Zwar zeigten wieder Topdefensivreihen wie die Chicago Bears und die Baltimore Ravens auf und erreichten auch die Post-Season, doch das Titelrennen wird dieses Mal von den besten Offensivabteilungen der Liga entschieden.

Mit Andy Reid (Kansas City), Sean Payton (New Orleans) und McVay (Rams) liegt bei drei der vier am „Championship Sunday“ tätigen Head-Coachs der Fokus auf der Offensive. Nur für New Englands Bill Belichick ist die Defensive das Steckenpferd, Offensive Coordinator Josh McDaniels gilt aber seit Jahren als einer der besten seiner Zunft.

Generationenduelle bei Quarterbacks

Zahlreiche Stars im Angriff setzen die Vorgaben ihrer Trainer auf dem Spielfeld um, allen voran naturgemäß die Quarterbacks. Mit Jungstar Patrick Mahomes (Kansas City) und Legende Tom Brady (New England) kommt es am Sonntag zum Generationenduell. Noch nie gab es im Play-off einen größeren Altersunterschied bei den Spielmachern wie bei Mahomes (23) und Brady (41). Auf Nummer drei rückt auch das Duell zwischen Drew Brees (New Orleans/40) und Jared Goff (LA Rams 24). Die vier Spielmacher stellten im Grunddurchgang ihre Qualitäten unter Beweis und gehörten zu den Top Ten punkto Touchdown-Pässe.

Senkrechtstarter Mahomes erzielte in seiner ersten vollen NFL-Saison 50, diese Marke erreichten zuvor nur Peyton Manning (2013/55) und Brady (2007/50). „Mahomes ist ein herausragender Spieler in allen Facetten des Spiels. Er hat einen starken Arm. Er kann den Ball über die komplette Länge des Felds werfen, er hat ein großartiges Gefühl“, sagte Belichick, der sein 13. NFL-Halbfinale als Head-Coach bestreitet.

Auch Runningbacks geigen auf

Doch die Trainer wissen auch ihre anderen Waffen gezielt einzusetzen. Die Rams verfügen über Runningback-Star Todd Gurley, der die meisten Touchdowns (21) in dieser Saison erzielt hat. Sein Pendant bei den Saints heißt Alvin Kamara (18), der im ersten Duell der beiden Teams in dieser Saison drei Touchdowns erzielte. New Englands Rookie-Runningback Sony Michel erzielte ebenso viele erst am vergangenen Wochenende beim 41:28-Sieg gegen die LA Chargers.

Touchdown von Running Back Alvin Kamara (New Orleans Saints) gegen die Los Angeles Rams
Reuters/USA Today Sports/Derick E. Hingle
Saints-Runningback Alvin Kamara erzielte im ersten Aufeinandertreffen mit den Rams drei Touchdowns

„Sie können dich über beide Wege schlagen, sie können laufen, sie können werfen“, sagte McVay über die Saints. „Das macht diese Herausforderung so großartig: Sie haben einen Hall-of-Fame-Quarterback, sie haben einen Elite-Runningback und sie haben ein großartiges System“, schwärmte der erst 32-jährige Cheftrainer.

Wandel unter Jungcoach McVay

Dabei schwärmen viele von McVay selbst. Der frühere Offensive Coordinator der Washington Redskins wurde 2017 mit 30 Jahren und elf Monaten der jüngste Head-Coach der NFL-Geschichte. Der Jungstar unter den Coachs führte mit innovativen Ideen in der Offense und trotz jungen Alters mit reifem Führungsstil den Wandel der Franchise an. Die Rams hatten zuvor 13 Saisonen ohne positive Saisonbilanz, ehe McVay kam und sie zu zwei Titeln in der NFC West führte sowie erstmals nach zwölf Saisonen in die Post-Season. Unter McVay gewannen die Rams in zwei Jahren drei Viertel ihrer Spiele.

„Wenn mich die letzten beiden Jahre als Head-Coach etwas gelehrt haben, dann dass du dich besser mit vielen Leuten, die besser sind als du, umgibst, damit du jeden Tag lernen kannst“, sagte McVay unlängst bescheiden. Mittlerweile steigen aber auch seine Mitarbeiter auf, sein letztjähriger Offensive Coordinator Matt LaFleur wurde zum Head-Coach der Green Bay Packers mit Superstar Aaron Rodgers bestellt. Quarterbacks-Trainer Zac Taylor dürfte indes in Cincinnati anheuern.

Teams ahmen Rams nach

Der Turnaround der Rams-Offensive dient vielen anderen – zuletzt erfolglosen – Franchises nun als Vorbild. Vor allem was die Entwicklung des Spielmachers betrifft. Unter Vorgänger Jeff Fisher warf Rams-Quarterback Goff, die erste Wahl im NFL-Draft 2016, im Schnitt nur 5,3 Yards pro Versuch, unter McVay in dieser Saison 8,4.

Auch aufgrund einer Quarterback-lastigen ersten Draft-Runde 2018 (vier unter den ersten zehn) wurden zuletzt fünf von sechs vakanten Trainerposten mit Head-Coachs besetzt, die überwiegend als „Quarterback-Flüsterer“ gelten. Clevelands Offensive Coordinator Freddie Kitchens wurde aufgrund der Entwicklung von Baker Mayfield, der Nummer-eins-Wahl im Draft 2018, zum Head-Coach befördert.

Vor allem der ehemalige College-Coach von Mahomes, Kliff Kingsbury, der in Arizona die Cardinals beflügeln soll, ähnelt McVay vom Stil und soll Josh Rosen (zehnte Wahl im Draft 2018) Arme und Beine machen. Mit Vic Fangio, zuletzt Defensive Coordinator der Bears, wurde bisher nur ein Head-Coach (Denver) mit Schwerpunkt Defensive verpflichtet.

Auf Verteidigungen kommt Arbeit zu

Am Sonntag sind indes nicht nur die besten Offensiv-Riegen am Werk, sondern auch erstmals seit 2002 – seit der Ausweitung der Liga auf 32 Teams – keine Defensivreihe, die sich puncto zugelassener Yards unter den Top Ten befindet. Nach zugelassenen Punkten sind nur die Patriots (7.) unter den besten zehn Mannschaften in der abgelaufenen Saison.

Geht es nach den jeweils ersten Aufeinandertreffen der vier Teams in dieser Saison, dürfte auf die Verteidigungen sehr viel Arbeit zukommen: Im Grunddurchgang bezwang New Orleans die Los Angeles Rams mit 45:35 und New England Kansas City mit 43:30.