Polizisten in Seefeld
APA/Barbara Gindl
Doping

Dopingexperten üben Kritik an ÖSV

Nach dem Dopingskandal bei der nordischen WM in Seefeld haben Dopingexperten Kritik am Österreichischen Skiverband (ÖSV) geübt. Der Wiener Leichtathletiktrainer Wilhelm Lilge hält es etwa für unglaubwürdig, dass das enge Betreuungsumfeld nichts von der Manipulation durch Eigenblutdoping mitbekommen hat. ARD-Journalist Hajo Seppelt forderte in der ZIB2 vom ÖSV, die Augen zu öffen. Die ÖSV-Führung wehrte sich gegen die Vorwürfe.

Seppelt, der den Fall mit seinen Dokumentationen vorangetrieben hatte, forderte den ÖSV auf, die Augen zu öffnen. „Es wäre schön, wenn die Leute in Österreich mal richtig hingucken würden. Vielleicht sollte man nicht ganz so viel feiern, sondern bisschen mehr über die Hintergründe im Spitzensport nachdenken. Wer jetzt immer noch sagt, dass es einzelne schwarze Schafe sind, der lenkt von einem systemischen, strukturellen Problem des Hochleistungssports ab“, sprach der deutsche Experte Klartext.

Leistungssprünge müssen auffallen

Der seit vielen Jahren als Trainer von Leichtathleten arbeitende Lilge betonte gegenüber der APA, dass Leistungssprünge durch Blutdoping innerhalb kürzester Zeit einfach zu groß seien, als dass dies den Trainern nicht auffallen würde. „Das ist lächerlich, die Leute werden für blöd verkauft. Es ist undenkbar, dass Trainer, die immer dabei waren, nichts mitbekommen haben. Das betreuende Umfeld muss hier etwas mitbekommen haben“, sagte Lilge auf die mutmaßlichen Vergehen der ÖSV-Langläufer Dominik Baldauf und Max Hauke angesprochen.

Zur Veranschaulichung führte Lilge eine Passage aus einem vorliegenden Gerichtsurteil gegen einen Trainer an: „Wenn ein Trainer im Spitzensport, der nah am Mann arbeitet, nicht mitbekommt, dass ein Athlet dopt mit Blutmanipulation, dann ist er entweder ein schlechter Trainer oder ein Lügner.“

Signifikante Leistungssteigerung

Die abrupte Leistungssteigerung bei Eigenblutdoping sei so signifikant, dass Betreuer das registrieren müssten. „Man hat innerhalb von Stunden einen Leistungssprung, der weit über dem liegt, was man mit Training in kurzer Zeit erreichen kann. Das muss auffallen“, sagte Lilge.

Mit Blutdoping alleine könne man zwar aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen, wenige Prozent Leistungssteigerung würden im hohem Niveau des Spitzensports aber oft viel ausmachen. „Die letzten paar Prozent, die bedeuten in der Weltspitze einen Riesenunterschied“, so Lilge. Dieser Unterschied entscheide zwischen Mitläufertum und Medaillengewinnern.

Unwissenheit des nahen Betreuerumfelds sei bei Eigenblutdoping jedenfalls völlig abwegig. „Das ist absolut auszuschließen.“ Im Bezug auf den „Vorzeigeverband“ ÖSV stelle sich Lilge die Frage, ob in diesem nach den Skandalen 2006 und 2014 die Strukturen und Personalien einen großen Ehrgeiz gehabt hätten, Doping auszumerzen oder nicht. Die Antwort müsse seiner Meinung angesichts der aktuellen Entwicklung wohl Nein lauten.

Schröcksnadel und Gandler wehren sich

Im ÖSV setzt man sich gegen die Anschuldigungen zur Wehr und ließ den Vorwurf der Mitwisserschaft nicht auf sich sitzen. „Mag sein, dass irgendwo im Langlaufteam, bei den Trainern, irgendwo Vermutungen waren. Das weiß ich alles nicht. Es ist durchaus möglich. Aber zu sagen, der ÖSV weiß davon, also das ist eine starke Aussage“, erklärte ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel.

„Verarscht“: Entsetzen im ÖSV

Nach der Dopingrazzia in Seefeld am Mittwoch hat sich jetzt auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel zu Wort gemeldet – und er poltert.

Auch Gandler, der nach der Saison seinen Posten als ÖSV-Sportdirektor für Langlauf und Biathlon räumen muss, nahm zu den Vorwürfen, er hätte es erkennen müssen, Stellung. „Natürlich habe ich nichts bemerkt. Aber es wird sich jeder jetzt diese Wahrheit selbst zurechtrücken und sagen, der Gandler weiß nicht, was er redet. Ich weiß sehr wohl, was ich getan habe, ich kann für mich selbst sprechen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, die Athleten 24 Stunden zu kontrollieren“, erklärte Gandler im Ö1-Morgenjournal.

„Das ganze System basiert auch auf einer gewissen Vertrauensbasis. Und zu sagen, wir wissen, was die Athleten tun, wenn wir selbst mit dem Alltag im Sport beschäftigt sind, ob das der Servicemann ist, der Physiotherapeut, die Medienmitarbeiter, der Trainer, dann hat man von der Materie keine Ahnung“, stellte der 52-jährige klar.

„Wissen Sie, was jetzt gerade Ihre Frau macht?“

Eine signifikante Leistungssteigerung wollte Gandler bei den betroffenen Athleten jedenfalls nicht festgestellt haben. „Was soll ich bemerken? Einen sechsten Platz im Teamsprint oder ein gerade geschafftes Finale? Was soll ein Merkmal sein, dass Sie jemand betrügt? Ich muss immer wieder das Beispiel bringen: Wenn Sie verheiratet sind, wissen Sie, was jetzt gerade Ihre Frau macht?“

Gandler verwies darauf, dass es seit dem Skandal bei den Olympischen Spielen 2006 eine klare Struktur gibt. „Durch diese Vorkommnisse in Turin gibt es in Österreich ein Anti-Doping-Gesetz, das kaum ein anderes Sportland hat. Warum schließt das IOC nicht alle Länder aus, die kein Anti-Doping-Gesetz haben. Das ist nicht ein österreichisches Problem, das ist ein weltweites Problem“, sagte Gandler. „Wir in Österreich haben im Verband jeden ausgeschlossen, der betrogen hat. Sagen Sie mir eine Maßnahme, die wir unternehmen können. Außer wir legen den Sportlern Fesseln an oder was auch immer. Ich wüsste es nicht.“

Verständnis für Trennung vom ÖSV

Dass sich der ÖSV nun von ihm trennen will – Gandler hatte nach fast 16 Jahren in dieser Position schon wenige Tage vor dem neuesten Dopingfall ohnehin Rücktrittsgedanken in den Raum gestellt –, sieht der 52-Jährige gelassen.

„Natürlich habe ich Verständnis dafür. Ich habe nur mir selber nichts vorzuwerfen. Ich habe in dieser Zeit, wo es diese Probleme gegeben hat, gemeinsam mit dem ÖSV versucht, diese Sache zu bereinigen, zu verbessern, junge Athleten zu schulen. Wir haben Anti-Doping-Kurse im Internet und, und, und gemacht. Es ist mir nicht gelungen, und dann ist es Zeit zu gehen, keine Frage. Man braucht immer jemand, an dem man sich abputzt, das ist die politische Verantwortung, das haben Politiker zu tragen, und da sehe ich mich auch.“