Teilnehmer des Peking-Marathons
AP/Imagechina/Wang wei
Leichtathletik

Chinas Läufer und ihre frechen Tricks

Am Sonntag (9.00 Uhr, live in ORF eins) steht in Wien die 36. Ausgabe des Vienna City Marathons (VCM) auf dem Programm. Nicht nur in Österreich, sondern speziell auch in China ist der Laufsport so populär wie noch nie. Im Reich der Mitte nehmen es allerdings manche Athletinnen und Athleten mit der Fairness nicht immer genau und greifen mitunter frech in die Trickkiste.

Schummeln und überbordender Patriotismus sorgen für Häme und Spott in der chinesischen Marathonszene. Immer wieder werden bei Laufveranstaltungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer disqualifiziert, weil sie Abkürzungen nehmen, Startnummern fälschen oder Fahrräder benutzen. Aber auch die Veranstalter selbst sorgen mit ihrer Inkompetenz oft für Schlagzeilen.

Vor wenigen Tagen sorgten Fotos von der Läuferin Meng Mouping beim Xuzhou-Marathon in der ostchinesischen Provinz Jiangsu für Aufregung. Die Frau mit der Startnummer D2113 überquerte zwar zu Fuß die Ziellinie nach 5:38:36 Stunden, war zuvor aber mehrmals auf einem Fahrrad gesehen worden. Sie wurde später disqualifiziert und lebenslang gesperrt. Auf Weibo, dem chinesischen Pendant zum Kurznachrichtendienst Twitter, ergoss sich ein Shitstorm über die Läuferin – die aber kein Einzelfall in China ist.

Pleiten, Pech und Pannen

Chinas Marathonorganisatoren können mit dem aktuellen Laufboom nicht Schritt halten. Pleiten, Pech und Pannen sind ständige Begleiter auf Chinas Langstrecken. Im kantonesischen Qingyuan benötigten 12.000 der 20.000 Marathonstarter medizinische Hilfe. Sie hatten nach dem Zieleinlauf Seife mit Fruchtgeschmack gegessen, die einem Energieriegel täuschend ähnlich war. Übelkeit, Kopf- und Bauchschmerzen waren die Folge, mehr als zwanzig Personen mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden, der Veranstalter entschuldigte sich später für das Seifenmalheur.

Chinas Machthaber streben eine olympische Goldmedaille im Marathonlauf an, und diesem patriotischen Ziel wird vieles untergeordnet. Doch der überbordende Patriotismus hat schon chinesische Siege vereitelt. Beim Suzhou-Marathon unweit von Schanghai wollten Streckenposten der führenden Chinesin He Yinli beim Zielsprint eine chinesische Flagge zustecken und haben sie dabei so behindert, dass eine Äthiopierin im Sprint an der Chinesin vorbeizog und das Rennen mit hauchdünnem Vorsprung gewann.

Beim bereits erwähnten Xuzhou-Marathon schleppten die Zuschauer die für Läufer vorgesehene Verpflegung gleich kistenweise nach Hause. Auf chinesischen Sozialen Netzwerken posteten Streckenposten Fotos von Zusehern, die nicht nur Kisten mit Bananen, sondern auch Bänke und Tische abtransportierten – Marathonläufer im hinteren Teilnehmerfeld mussten froh sein, wenn sie überhaupt noch Verpflegung vorfanden.

Massenhaftes Schummeln

Höhepunkt der Schummelorgie war im Vorjahr sicherlich der Shenzhen-Halbmarathon in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong. Dort mussten 258 Teilnehmer disqualifiziert werden. 237 wurden dank des lückenlosen Überwachungssystems auf Shenzhens Straßen beim Abkürzen gefilmt. 18 starteten mit gefälschten Startnummern, und drei waren für andere Personen am Start.

Teilnehmer des Hongkong-Marathons
Dollinger
In China grassiert wie hier in Hongkong das Marathonfieber

Bei einem Halbmarathon in Xiamen scheiterten Wiederbelebungsversuche bei einem Läufer nach einem Herzinfarkt. Das Fatale dabei: Der Mann war mit einer fremden Startnummer unterwegs, die medizinischen Angaben auf der Rückseite passten nicht. Beim heurigen Hongkong-Marathon standen mehr als 1.400 Teilnehmer auf der Disqualifikationsliste, weil sie nicht in der vorgesehenen Zeitspanne gestartet waren. Schuld daran war in den meisten Fällen Verkehrsüberlastung auf dem Weg zum Start.

Angesichts der massenhaften Betrügereien bemühen sich der chinesische Leichtathletikverband und die Sportbehörden um ein Gütesiegel, das langfristig die Qualität der Veranstaltungen heben soll. Zehn Ministerien erarbeiten verbindliche Richtlinien gegen Betrug, Missmanagement und schlechte medizinische Betreuung, um das Vertrauen der Teilnehmer zurückzugewinnen. Die Asian Premier Marathons haben bereits den Anfang gemacht, allerdings stellt China mit dem Peking-Marathon neben Beirut (Libanon) und Seoul (Südkorea) nur einen Vertreter in dieser Qualitätskategorie.

Laufboom in China

2011 gab es in ganz China nur 22 Marathon- und Langstreckenläufe, die auch Hobbysportlern offenstanden. 2017 waren es bereits mehr als 1.100 Läufe, heuer sollen es bereits 1.900 werden mit mehr als zehn Millionen Teilnehmern. Das wäre eine Verdopplung der Teilnehmerzahlen in nur drei Jahren. 2017 hatten sich allein für den Peking-Marathon 98.687 Personen angemeldet, nur 30.000 bekamen eine Startnummer. Ähnlich überbucht sind die Marathons in Schanghai, Wuxi und Chengdu.

Auch der wirtschaftliche Faktor des Laufsports gewinnt in China immer größere Bedeutung. Umgerechnet knapp zehn Milliarden Euro Umsatz haben die Laufsportveranstaltungen in China bereits generiert, bis 2020 soll das auf 15 Milliarden Euro gesteigert werden. Hauptumsatzbringer ist die aufstrebende chinesische Mittelschicht, für die Fitness und sportlicher Erfolg wesentliche Bestandteile ihres Lifestyles sind.