Sebastian Vettel und Charles Leclerc
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Formel 1

Explosive Stimmung bei Ferrari nach China

Die Stimmung bei Ferrari ist explosiv: Statt mit Lewis Hamilton um den WM-Titel zu kämpfen, droht sich Sebastian Vettel im Duell um die Vorherrschaft im eigenen Team zu zerreiben. „Wenn du mit so was anfängst, wird es sehr kompliziert werden“, sagte Toto Wolff, Teamchef von Ferraris Dauerbezwinger Mercedes. „Du schaffst einen Präzedenzfall“, sagte der Wiener nach dem Doppelsieg der Silberpfeile in China am Sonntag.

Wolff meinte damit die von der „Scuderia“ in Schanghai praktizierte Stallorder, dem einen Fahrer zu sagen, dass er den anderen vorbeilassen soll. Die erlaubte, aber stets umstrittene Teamtaktik, die Ferrari einst hoffähig machte, als der damalige Teamchef Jean Todt vor 17 Jahren Michael Schumachers „Wasserträger“ Rubens Barrichello beim Grand Prix von Österreich in Spielberg funkte: „Let Michael pass for the championship!“ („Lass Michael für die WM vorbei!“).

Auch für Vettel geht es um die Weltmeisterschaft, vier vergebliche Anläufe mit Ferrari zehren ohnehin an den Nerven des 31-Jährigen. In diesem Jahr muss sich der vierfache Champion (2010 bis 2013) und 52-malige GP-Gewinner aber erst einmal im eigenen Team behaupten.

Unruhe bei Ferrari

Statt mit Lewis Hamilton um den Titel zu kämpfen, droht sich Sebastian Vettel im Duell um die Vorherrschaft im eigenen Team zu zerreiben.

Leclerc als „Bauernopfer“

Das 1.000. Formel-1-Rennen legte erste Wunden offen. Stinksauer und nur widerwillig machte der zehn Jahre jüngere Charles Leclerc in der elften Runde Platz, nachdem er vom Team dazu aufgefordert wurde. Für viele Experten wie ORF-Kommentator Alexander Wurz kam das Manöver zu spät, da Vettel seine Reifen zu diesem Zeitpunkt schon zu sehr ramponiert hatte, um die beiden Mercedes noch einholen zu können. Leclerc konnte sich bissige Kommentare per Funk nicht verkneifen. „Charles war der Bauer, der komplett für das Haus Maranello geopfert wurde“, schrieb die spanische Zeitung „Marca“.

Es herrschte jedenfalls Redebedarf. „Es war schwer, die Order auszugeben“, räumte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ein. „Ich muss Charles dafür danken, wie er sich verhalten hat“, meinte Binotto auch noch lächelnd. Kein Wort verlor er darüber, dass der 21-jährige Leclerc seinen Unmut über die Entscheidung im Auto deutlich gemacht hatte. Stattdessen gab es Lob für den Teamplayer, der sich nach der internen Ferrari-Besprechung plötzlich sehr verständnisvoll zeigte.

Sebastian Vettel, Charles Leclerc und Lewis Hamilton
AP/Luca Bruno
Das Verhältnis zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc ist nicht so problemlos, wie es manchmal den Anschein hat

Kein Wunder, saß er doch rechts neben Binotto, Vettel links vom Teamchef, der zwei Tage zuvor die vorläufige Stoßrichtung im internen Dauerstresstest noch einmal klargemacht hatte: „Wenn es eine 50:50-Situation gibt und wir eine Entscheidung treffen müssen, geben wir Sebastian den Vorteil. Ganz einfach, weil er die meiste Erfahrung mit dem Team in der Formel 1 hat. Er ist der Fahrer, der am wahrscheinlichsten um die WM mitkämpfen kann.“

Nur ein Punkt Unterschied

Nach drei von 21 Saisonrennen liegt Vettel aber schon 31 Punkte hinter Hamilton, der mit seinem 75. Karrieresieg – dem sechsten in China – mit nunmehr 68 Zählern die WM-Führung von Teamkollege Valtteri Bottas (62) übernahm. Der in China drittplatzierte Vettel (37) ist Vierter, vor ihm liegt auch noch Red-Bull-Pilot Max Verstappen (39), Leclerc (36) ist wie auf dem Schanghai International Circuit Fünfter.

Der monegassische Polesetter von Bahrain hat einen Punkt weniger als sein hochdekorierter deutscher Teamkollege, der auf die Fragen nach der Bevorteilung durch die „Scuderia“ durchaus dünnhäutig reagierte. Dass Ferrari mit gerade mal zwei dritten Plätzen nach den ersten drei Rennen dasteht, geriet fast zur Nebensache. Dass Mercedes in den ersten drei Rennen mal wieder alles abräumte und drei Doppelerfolge zelebrierte, ist eine Tatsache, die Vettel gleichwohl noch mehr Sorgen macht als der aufmüpfige Teamkollege.

Mercedes kennt sich mit Stallduellen aus

Die Silberpfeile kennen sich mit Stallduellen bestens aus. „Wir waren in der Situation, mit Nico und Lewis und auch mit Valtteri und Lewis“, betonte Wolff. 2016 war die einst so gepriesene Freundschaft zwischen dem späteren Weltmeister Nico Rosberg und Hamilton schnell vorbei. Um den Zweikampf zu befrieden, stellten die Mercedes-Verantwortlichen damals sogar einen Verhaltenskatalog auf.

Nico Rosberg (Mercedes GP) und Lewis Hamilton (Mercedes GP)
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2016 lieferten sich Nico Rosberg und Lewis Hamilton ein erbittertes Stallduell (im Bild beim Grand Prix von Österreich)

Der 29-jährige Finne Bottas, der seine Lektionen an der Seite des fünffachen Weltmeisters Hamilton auch lernen musste, scheint erst in seinem dritten Mercedes-Jahr in der Lage, Hamilton gefährlich werden zu können. Der britische Titelverteidiger zeigte mit seinem Zauberstart und einem kontrollierten Rennen in China aber, wer der Chef ist. Eine „weitere makellose Leistung“ bescheinigte der „Telegraph“ Hamilton.

Der 34-Jährige kann sich vermutlich auch am besten in Leclercs Situation hineinversetzen. 2007 stieg Hamilton in die Formel 1 ein, als 22-jähriger Debütant an der Seite des damals frischgebackenen zweifachen Weltmeisters Fernando Alonso. Der Neuling hielt voll dagegen und mit dem Spanier sportlich mehr als mit, die McLaren-Teamleitung bekam das Duell nicht in den Griff. Es eskalierte und am Ende triumphierte Kimi Räikkönen im Ferrari – jener Finne, der vor dieser Saison bei den Italienern für Leclerc Platz machen musste.