Sebastian Vettel (GER/Ferrari) und Charles Leclerc (MON/Ferrari)
GEPA/Harald Steiner
Formel 1

Bei Ferrari steht Wachablöse bevor

Für Sebastian Vettel ist sein fünfter WM-Titel, der erste mit Ferrari, mit dem selbst verschuldeten Nuller in Silverstone endgültig in weite Ferne gerückt. Zu allem Überfluss steht im Ferrari-Team eine Wachablöse unmittelbar bevor. Youngster Charles Leclerc landete zum dritten Mal in Folge vor Vettel und liegt in der WM nur noch drei Zähler hinter dem Routinier, der als erklärte Nummer eins der „Scuderia“ in die Saison gegangen war.

Der 32-Jährige blieb beim Grand Prix von Großbritannien nach einem Crash mit dem Red-Bull-Piloten Max Verstappen erstmals seit einem knappen Jahr punktelos und liegt nach zehn von 21 Saisonrennen als WM-Vierter bereits 100 Zähler hinter dem nunmehrigen Silverstone-Rekordsieger Lewis Hamilton. Der britische Mercedes-Star fährt scheinbar unaufhaltsam seinem sechsten WM-Titel entgegen.

„Schwierig“, antwortete Vettel auf die Frage, wie er seine bisherige Saison in einem Wort zusammenfassen würde. Doch das ist ziemlich untertrieben. Silverstone war wohl der negative Höhepunkt. Einmal mehr beging der Deutsche unter Druck einen Fahrfehler und krachte Verstappen, der ihn kurz zuvor von Platz drei verdrängt hatte, ins Heck. Beide Boliden flogen von der Strecke, der WM-Dritte Verstappen wurde danach immerhin noch Fünfter, Vettel kam hingegen nicht über Platz 16 hinaus. Leclerc „erbte“ damit Platz drei hinter Hamilton und dessen Mercedes-Teamkollegen Valtteri Bottas und durfte bei der Siegerehrung zum bereits vierten Mal in Folge auf das Podest klettern.

„Habe mein Rennen selbst zerstört“

„Ich habe mein Rennen selbst zerstört“, erklärte Vettel, dessen letzter Sieg (26. August 2018 in Spa-Francorchamps) nun schon fast elf Monate zurückliegt, zerknirscht. Er entschuldigte sich beim Niederländer Verstappen nach dem Rennen auch per Handschlag. „Es geht auf meine Kappe. Ich dachte, ich hätte eine Chance auf der Innenseite."

Vettel wirkt bei der „Scuderia“ jedenfalls zunehmend verzweifelt und desillusioniert. Anstatt im fünften Jahr mit den Italienern endlich Dominator Mercedes zu bezwingen, ist er am emotionalen Tiefpunkt angekommen. Eigene Fehler unter Druck, fehlende Leistung seines Autos oder Patzer des Teams – viel zu viel lief in den ersten zehn Rennen des Jahres schief. Schnelle Besserung scheint nicht in Sicht, auch wenn er selbst immer noch sagt: „Ich bin nicht beunruhigt, wünsche mir aber auch bessere Resultate.“

Am Scheideweg der Karriere

Vettel „steht an einem Scheideweg seiner Karriere“, schrieb die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ am Montag: „Rücktrittsgerüchte Ende Saison werden nicht leiser. Die endlose Diskussion geht weiter. Hört Vettel tatsächlich auf?“ Davon will der frustrierte Vettel zwar nichts wissen und seinen Vertrag bis Ende 2020 erfüllen. Mit Fragen zu diesem Thema wird er nun aber häufiger konfrontiert werden.

„Wir hatten ein besseres Ergebnis erwartet“, sagte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto nach Silverstone und ergänzte: „Wir haben Arbeit vor uns.“ Dieser Satz ist bei der „Scuderia“ aktuell von Rennen für Rennen zu hören, doch richtig voran geht es nicht. Mercedes fährt weiter in einer eigenen Liga und holte schon den achten Doppelerfolg. Zu allem Überfluss hat Red Bull zu Ferrari aufgeschlossen und wird zum Konkurrenten um Platz zwei in der Konstrukteurswertung.

Leclerc bald die Nummer eins?

Einziger Hoffnungsschimmer für Ferrari ist derzeit die erfreuliche Leistungsentwicklung des Monegassen Leclerc, der mit 21 elf Jahre jünger als Vettel ist. Dass ihm die rote Zukunft gehört, wird immer klarer, auch wenn die Wachablöse – noch – nicht vollzogen ist. Vettel hat in der WM mit 123:120 Punkten nur noch minimal die Nase vorn. Und im internen Stallduell verkürzte Leclerc sowohl im Qualiyfying als auch im Rennen auf 4:6.

Die vor Saisonbeginn ausgegebene Einteilung einer Nummer eins (Vettel) und einer Nummer zwei (Leclerc) bröckelt mehr und mehr. Teamchef Binotto sagte, der Rennstall werde genau beobachten, wann sich an diesem Status etwas ändert. Bei engen Rennentscheidungen erhielt Vettel bisher den Vorzug.

Charles Leclerc (MON/Ferrari) und Sebastian Vettel (GER/Ferrari) auf der Rennstrecke
Reuters/Thomas Peter
Vettel hat vier von zehn Saisonrennen – zuletzt drei in Folge – hinter seinem jungen Teamkollegen Leclerc beendet

Der vierfache Weltmeister schien Silverstone so schnell wie möglich vergessen zu wollen. Während der Analyse bei einer Pressekonferenz im Fahrerlager verfolgte er auf dem Handy lieber den Liveticker des Wimbledon-Finales und flüsterte zwischendurch sogar „Zwei Matchbälle!“ zu Binotto. Auch bei der Beantwortung der Fragen schaute er immer wieder auf einen TV-Bildschirm und ließ sich ablenken, ehe er kurz darauf recht nachdenklich die Heimreise antrat.

Nächste Hoffnung Hockenheim

Eine einwöchige Pause bleibt dem Deutschen, ehe es zu seinem Heimrennen geht. „Ich freue mich darauf“, sagte Vettel, obwohl er in Hockenheim noch nie gewonnen hat und seine Erinnerungen an den Deutschland-GP 2018 nicht die besten sind: Im Vorjahr hatte er einen scheinbar sicheren Sieg mit einem Ausritt ins Kiesbett weggeworfen – und damit Hamiltons Solofahrt zum WM-Titel eingeleitet.

Ausgerechnet der Engländer warnt nun davor, seinen Dauerrivalen bereits abzuschreiben: „Er ist einer der Großen dieses Sports. Er wird stärker zurückkommen, davon bin ich überzeugt. Das machen großartige Athleten so – und er ist einer davon.“