Julian Alaphilippe
A.SO./Pauline Ballet
Tour de France

Sekundenkrimi raubt Fans den Atem

Die Tour de France gibt sich diesmal spannend wie schon lange nicht. Nach zuletzt vier Siegen in Serie für das übermächtige Sky-Team muss die Nachfolgeequipe Ineos weit mehr arbeiten als im Vorfeld erwartet. Gleich sechs Fahrer lagen am zweiten Ruhetag und nach den Pyrenäen an der Spitze des Gesamtklassements innerhalb von nur 134 Sekunden. Gelb trägt überraschend der Franzose Julian Alaphilippe – ein spannendes Finale ist garantiert.

Ähnlich knapp ging es zuletzt wohl 1989 zu, als Lokalmatador Laurent Fignon den Gesamtsieg am letzten Tag aus der Hand gegeben hatte. Mit 50 Sekunden war der Franzose ins abschließende Zeitfahren nach Paris gestartet, im Ziel lag er acht Sekunden hinter dem US-Amerikaner Greg LeMond – bis dato die knappste Entscheidung in der 117-jährigen Geschichte der Tour de France, die heuer zum 106. Mal bestritten wird.

Platzte damals der Traum der Franzosen, so trägt die Hoffnungen auf den ersten Heimsieg seit Bernard Hinault vor 34 Jahren diesmal der Sensationsmann Alaphilippe, der seit der dritten Etappe in Gelb fährt und am Dienstag in Nimes zum elften Mal in Folge als Gesamtführender an den Start gehen wird. Die Unterstützung der radsportaffinen französischen Fans ist ihm gewiss.

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Peloton fährt an Fans vorbei
Reuters/Johanna Geron
Auch die 106. Tour de France ist ein Magnet für die Radsportfans aus aller Welt, bereits die erste Etappe in und um Brüssel wurde von Tausenden am Streckenrand begleitet
Fan auf Kutsche
Reuters/Gonzalo Fuentes
Ganz Frankreich scheint drei Wochen lang die Helden der Landstraße zu feiern
Fans im aufblasbaren Pool an der Strecke
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Selbst für hochsommerliche Temperaturen sind die Kiebize am Straßenrand bestens gerüstet
Fans feuern Fahrer an
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Bei Anstiegen versuchen sich die Fans wie immer möglichst kreativ ins Bild zu bringen
Fans sitzen auf Traktoren
APA/AFP/Anne-Christine Poujoulat
Für die perfekte Aussicht auf den Tour-Tross wird jedes verfügbare Gefährt zweckentfremdet
Fans bei der Tour de France
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Die Dörfer und Städte entlang der Route wurden für die Durchfahrt der Fahrer herausgeputzt – egal wie lange diese dauert
Fans auf der Strecke
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Der Kampf durch die Menschenmassen gestaltet sich bei der Tour oft schwieriger als der Kampf gegen die Steilheit der Straße
Athleten und Fans
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Die guten Plätze für das perfekte Foto sind bei einer Tour de France heiß begehrt
Fans auf einem Berghang bei der Tour de France
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Bei Bergankünften wie hier auf dem Tourmalet spielt sich der Kampf um den Tagessieg vor einer beeindruckenden Naturtribüne ab
Fans im Nebel
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Selbst schlechtes Wetter hindert die Radsportenthusiasten nicht daran, in Erwartung des Feldes stundenlang auszuharren

Dass Alaphilippe das Klassement auch nach den drei Pyrenäen-Etappen noch anführt, überraschte viele. Der 27-Jährige beeindruckte aber mit dem Sieg im Einzelzeitfahren ebenso wie bei den Abschnitten in den Bergen. Alaphilippe habe mit Stil Zeit gewonnen, seine Präsenz habe die Art und Weise geändert, wie die Tour gefahren werde, sagte Ineos-Teamchef Dave Brailsford am Montag am Ruhetag in Nimes.

Strapazen zeigen langsam Wirkung

Dabei fährt der Deceuninck-Quick-Step-Profi erstmals in einer dreiwöchigen Rundfahrt auf das Gesamtklassement. Bisher war der Weltranglistenerste als Klassikerjäger berüchtigt. In dieser Saison hatte er Siege bei den Frühjahrsklassikern Mailand – San Remo und dem Fleche Wallonne gefeiert. Dass er nun auch im Hochgebirge gegen die Besten der Welt bestehen kann, verblüffte ihn selbst.

Doch die Strapazen der ersten beiden Wochen zeigen langsam Wirkung. Bei der Bergankunft am Sonntag verlor er erstmals Sekunden auf seine Verfolger, nachdem er tags zuvor als Zweiter am Tourmalet an seine Grenzen gegangen war. „Für diesen zweiten Platz musste ich meine Reserven angreifen“, so Alaphilippe. „Jetzt beginne ich, die vergangenen Wochen zu spüren. Ich fahre eben so, wie ich es liebe.“

In den kommenden Alpen-Etappen darf er seiner Lust wieder frönen. Auf Alaphilippe wartet Schwerarbeit. Zudem ist sein Deceuninck-Team nicht für Helferdienste in den Bergen konzipiert, der Chef wird wieder auf sich allein gestellt sein, wenn am Donnerstag auf der 208-km-Fahrt nach Valloire die Tour-Klassiker Col de Vars, Izoard (2.360 m) und Galibier (2.642 m) warten und tags darauf vor der Bergankunft in Tignes der mit 2.770 m höchste Punkt, der Col de l’Iseran, passiert werden muss.

Pinot zweiter französischer Trumpf

Damit nicht genug, wartet am Samstag in Val Thorens (2.365 m) eine weitere Bergankunft. „Ich werde wie bisher mein Bestes geben und nehme es Tag für Tag“, sagte Alaphilippe, dem mit Tourmalet-Sieger Thibaut Pinot auch ein Landsmann das Gelbe Trikot streitig machen könnte. 2014 beim Tour-Sieg des Italieners Vincenzo Nibali war der Groupama-FDJ-Profi schon Dritter.

Nun hat Pinot, der 1:40 Minuten just auf einer Flachetappe unerwartet verloren hatte, als sich das Feld bei starkem Seitenwind teilte, als aktueller Gesamtvierter 1:50 Minuten Rückstand auf seinen Landsmann Alaphilippe. Nur drei Sekunden vor Pinot liegt der Niederländer Steven Kruijswijk, auf den zweitplatzierten Vorjahressieger Geraint Thomas, den britischen Ineos-Teamleader, fehlen ihm 15 Sekunden. „Das Wichtigste in den Pyrenäen-Etappen war, dass ich auf alle Konkurrenten Zeit aufholen konnte“, sagte Pinot, der in den Alpen erneut angreifen wird.

Ineos-Team in komfortabler Position

Thomas dürfte zum Hauptkonkurrenten der beiden Franzosen im Kampf um den Gesamtsieg werden, zumal das Ineos-Team in den Bergen am stärksten besetzt ist, weil es schon in der Planung alles auf den Gesamtsieg ausgerichtet hatte. Dass Alaphilippe vorerst in Gelb fährt, ist der einzige Wermutstropfen bisher, dafür ist Ineos die einzige Equipe, die mit dem kletterstarken Kolumbianer Egan Bernal einen zweiten Fahrer in den Top Fünf hat und damit in der letzten Woche auf eine Doppelspitze bauen kann.

Der 22-jährige Tour-de-Suisse-Sieger wartet mit aktuell 2:02 Minuten Rückstand auf seine Chance, weitere zwölf Sekunden dahinter lauert der deutsche Hoffnungsträger Emanuel Buchmann, ein Bora-Kollege des Österreichers Patrick Konrad. Bernal wird zugunsten des Teams die eigenen Ambitionen zurückstecken. „Falls der Moment kommt, in dem ich mich opfern muss, damit Geraint die Tour gewinnt, werde ich das gerne tun“, sagte Bernal.

Thomas ist zuversichtlich. 1:35 Minuten trennen den Vorjahressieger von Alaphilippe, der im Hochgebirge auf sich allein gestellt ist. „Okay, wir haben nicht das Gelbe Trikot, aber wir sind in einer superstarken Position. Um eine große Tour zu gewinnen, muss man von Anfang bis zum Ende präsent sein“, so Thomas. „Ich freue mich schon auf die Alpen.“ Ineos-Teamchef Brailsford brachte die Ausgangslage vor den entscheidenden Etappen mit wenigen Worten auf den Punkt: „Es ist eine sehr interessante Situation.“