Football-Match von 1929
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Football

Der holprige Start der Milliardenliga

Am 5. September erfolgt in Chicago mit dem Duell zwischen den Bears und den Green Bay Packers der Auftakt zu einem besonderen Herbst für alle Football-Fans: Die National Football League (NFL) begeht ihre 100. Saison. Der Anfang des heute milliardenschweren Spektakels war wenig glamourös, dafür umso skurriler.

Am 17. September 1920 besiegelten im Autosalon von Initiator Ralph Hay in Canton im US-Bundesstaat Ohio 14 Männer endgültig die bereits einen Monat davor besprochene Gründung der American Professional Football Association (APFA). Hay wollte dem ungeregelten Profitum im Football eine Linie verpassen. Zwei Jahre später wurde die Liga in National Football League unbenannt und konnte ihren Siegeszug zuerst in Nordamerika und später rund um den Globus antreten.

99 Jahre und 99 Saisonen später ist die NFL die umsatzstärkste Liga der Sportwelt. Rund 11,4 Milliarden Euro erwirtschaftete der Football-Zirkus etwa in der Saison 2017/18 – Tendenz steigend. Mit den Dallas Cowboys stellt die NFL heuer mit einem Wert von rund 4,51 Mrd. Euro zum vierten Mal in Folge das wertvollste Team. Die Super Bowl, das Finale Anfang Februar, ist ein Straßenfeger. Die fünf meistgesehenen TV-Events in den USA werden allesamt von NFL-Endspielen gestellt.

Szene aus dem Match Bears gegen Packers
AP/Nam Y. Huh
Die Chicago Bears (l.), ein Gründungsmitglied der NFL, eröffnen die 100. Saison gegen ihren Erzrivalen Green Bay Packers

Profitum mit schlechtem Image

Von solchen Zahlen wagte an jenem September-Tag in Hays Hupmobile Autoshop in Canton – dort, wo heute daher auch die Pro Football Hall of Fame beheimatet ist – niemand zu träumen. Denn in Sachen Football, dass in seiner Urform als Mischung aus Rugby und Fußball nachweislich seit 1869 gespielt wurde, war damals die College-Meisterschaft die Nummer eins. Die Profimannschaften wurden zumeist von Unternehmern wie Ralph Hays Canton Bulldogs unterhalten. Die Spieler waren im Gegensatz zu den College-Akteuren meist einfache Arbeiter im Dienst des Besitzers.

Anders als heute, wo NFL-Franchises millionenschwere Unternehmen sind, standen die ersten Proficlubs finanziell immer an der Kippe zum Ruin. Entsprechend hielt sich auch die Vereinstreue der Spieler in Grenzen. Die Profis wechselten mitunter von einem zum nächsten Wochenende den Club. Manche Spieler nutzten religiöse Schlupflöcher, um für mehrere Teams zu spielen. Weil in Pennsylvania sonntags Sportverantstaltungen verboten waren, traten manche Spieler am Samstag in Pennsylvania und tags darauf etwa im benachbarten Ohio für einen anderen Club an. George Clooney setzte dieser wilden Zeit 2008 mit „Leatherheads“ ein filmisches Denkmal.

Entsprechend tief im Ansehen standen die professionellen Football-Spieler in den Augen der Bildungselite. Dieter Hoch, Holger Korber und Dirk Ladwig beginnen etwa ihr Buch „Die Geschichte der NFL“ daher auch mit einer damals weitverbreitenden Meinung: „Der Profi-Football ist eine Bedrohung für die Entwicklung unserer jungen Menschen zu sauberen, gesunden, rechtschaffenen und patriotischen Bürgern.“ Dieser Satz stammt von Amos Alonzo Stagg, einem der bekanntesten College-Trainer in der Football-Geschichte der USA. Stagg, 71 Jahre lang Trainer, tätigte seine Aussage 1923 – und damit drei Jahre nach der ersten offiziellen Saison der heutigen NFL.

Superstar wird erster Präsident

Um der neuen Liga, der letztendlich 14 Teams im Mittleren Westen und im Nordosten der USA angehörten, Gewicht zu verleihen, wurde mit Jim Thorpe einer der prominentesten amerikanischen Sportler zum Präsidenten der Liga gekürt. Der 32-Jährige, kurioserweise Kapitän der Canton Bulldogs und damit des Teams von Gründungsgastgeber Hay, war ein sportliches Multitalent und zu seiner Zeit ein Superstar. Thorpe spielte zusätzlich zu Football im Sommer auch professionell Baseball. 1912 in Stockholm hatte der in einer nach ihm benannten Stadt in Pennsylvania begrabene Athlet olympisches Gold im Fünf- und Zehnkampf geholt.

Von einer US-weiten Meisterschaft war aber vorerst keine Rede. Das Geschehen spielte sich vornehmlich im Nordosten und mittleren Westen der USA ab. Anders als heute, wo von Küste zu Küste fast ausschließlich in Großstädten von New York über Miami bis Los Angeles NFL-Sonntage stattfinden, waren vor 99 Jahren vor allem „Provinznester“ wie Canton und Rochester Football-Hochburgen. Dass die neue Liga aber trotz ihres prominenten Präsidenten nur schwer in die Gänge kam, war auch auf dem eigenen Mist gewachsen.

Kein fixer Spielplan

Einen von der Liga ausgetüftelten Spielplan gab es in der ersten Saison nicht. Die Teams mit so klingenden Namen wie Decatur Staleys, die heutigen Chicago Bears, Columbus Panhandles und Akron Pros schnitzten sich ihren Spielplan selber – zum Teil gegen Teams von außerhalb der Liga. Die erste „echte“ APFA- bzw. NFL-Partie endete am 3. Oktober 1920 im Triangle Park von Dayton (Ohio) mit einem 14:0 der hiesigen Triangles gegen den Lokalrivalen Columbus Panhandles.

Erinnerung an den Gründungsort der NFL
AP/Rick Scuteri
In der Hall of Fame in Canton wird mit einem Auto der Marke Hupmobil von 1920 der historische Gründungsort gewürdigt

Auch die Anzahl der Begegnungen der Teams war nicht einheitlich. Manche Mannschaften, wie Jim Thorpe und seine Canton Bulldogs, hatten am Ende 14 Partien zu Buche stehen. Die Muncie Flyers aus Indiana spielten hingegen nur einmal – und verloren ihre einzige Partie gegen Rock Island zum Drüberstreuen mit 0:45. Detail am Rande: 1921 absolvierten die Flyers noch zwei Spiele in der NFL, ehe sie wieder aus der Liga ausstiegen. Nur die erste Version der New York Giants (zwei Partien) und das „One-Hit-Wonder“ Tonawanda Kardex Lumbermen mit einem Spiel 1921 absolvierten weniger NFL-Partien.

Meister nach Abstimmung

Aufgrund der unterschiedlichen Spielpläne und Gegner konnte auch der erste NFL-Meister nicht auf sportlichem Weg ermittelt werden. Erst ein paar Monate nach Saisonende wurde Ende April bei einer weiteren Ligasitzung der Champion per Wahl bestimmt. Diese fiel letztendlich auf die Akron Pros, die angeführt von Frederick Douglass „Fritz“ Pollard – der 1922 erster afroamerikanischer NFL-Coach wurde – mit acht Siegen und drei Remis ungeschlagen blieben.

Der erste Meister der NFL-Geschichte durfte sich über den Brunswick-Balke Collender Cup freuen. Wie der „Urahn“ der heutigen Vince-Lombardi-Trophy aussah, kann heute niemand mehr sagen. Denn der silberne Pokal ging nach der ersten Saison verloren. Fotos aus der damaligen Zeit gibt es wenig überraschend keine. Apropos verloren: Auch das Abstimmungsergebnis der ersten Saison geriet in Vergessenheit, sodass die moderne NFL die Saison 1920 lange als „nicht entschieden“ in ihren Statistiken führte. Erst 1970 wurden die Aufzeichnungen wiedergefunden.

Auftaktpaarung wie anno dazumal

1970 und damit 50 Jahre nach der turbulenten ersten Saison begann mit dem Zusammenschluss der National Football League und der konkurrierenden American Football League (AFL) auch jene Ära, die bis heute anhält. An die Anfänge der heute populärsten Sportliga der USA erinnert die bereits angesprochene Hall of Fame, die nur rund vier Kilometer von jener Stelle entfernt ist, an der einst Autohändler Hay seine Niederlassung hatte.

Das Auftaktspiel der Jubiläumssaison, die bereits 199. Partie zwischen den Chicago Bears und Green Bay Packers, erinnert auch an jene Zeit, als die Einschreibgebühr in die NFL noch 100 US-Dollar betrug. Die Bears sind neben den Arizona Cardinals – 1920 ebenfalls noch in der „Windy City“ beheimatet – eines von zwei Teams, die bereits in der ersten Saison dabei waren. Und die 1919 gegründeten und 1921 in die Liga eingestiegenen Packers sind das letzte Überbleibsel aus jenen Tagen, als „Dorfclubs“ noch die NFL regierten.