„Ich möchte mich bedanken, dass so viele Menschen gekommen sind“, sagte Hirscher, nachdem er das Geheimnis über seine sportliche Zukunft gelüftet und die Spekulationen zugleich beendet hatte. „Kurz und schmerzlos, weil es ist ja wirklich, wie ich glaube, keine große Überraschung mehr ist. Jetzt wird alles leichter und besser für mich. Den ersten Schritt habe ich schon einmal gemacht“, so Hirscher, der in Zukunft vermehrt Zeit mit seiner Familie verbringen will. „Darauf freue ich mich besonders.“
Von Tränen des Abschieds war Hirscher deshalb weit entfernt, vielmehr strahlte er und wirkte gelöst wie selten in den vergangenen Jahren. Die Entscheidung zum Rücktritt, der ein langer Reifeprozess vorangegangen war, habe er vor zwei Wochen getroffen. Dass er sie nun selbst verlautbaren durfte, sei eine große Erleichterung. „Ich bin nicht mehr bereit, den Preis für den Erfolg zu zahlen, der Aufwand ist mir zu groß geworden“, so Hirscher, der sich bei seinen langjährigen Wegbegleitern bedankte.
„Der richtige Zeitpunkt“
„Das ist der richtige Zeitpunkt, ich bin am Zenit meiner Karriere“, sagte der achtfache Weltcup-Gesamtsieger. Auch der Körper habe in der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle gespielt. Sein Körper sei müde, die Akkus würden sich mehr so schnell und effizient wieder aufladen wie zu Beginn seiner Karriere mit 18 Jahren. „Für mich ist das aber nicht verwunderlich, wenn man so viele Jahre fast ohne Pause auf so hohem Niveau gefahren ist.“
Die Motivation zu finden, sei immer schwieriger, zudem sei die Zeit zur Regeneration immer knapper. „Der Sommer wird fast zu kurz, um die Zeit zu haben, um zu regenerieren.“ Er sei aber froh, die Karriere ohne grobe Verletzung überstanden zu haben. „Ich glaube, dass ich wahnsinnig Glück habe, mit zwei gesunden Knien nach Hause fahren zu dürfen.“ Es sei eine schlaue Entscheidung, seine Karriere zu diesem Zeitpunkt zu beenden. „Ich wünsche euch eine spannende Saison, aber ohne mich.“
Die zwei Wochen nach der getroffenen Entscheidung seien turbulent gewesen. „Ich habe schon gemerkt, dass es sehr viele Gründe dafür gibt und schlussendlich die Summe aus vielen Gründen ist, die mich zu dieser Entscheidung gebracht hat. Man kann sich das vorstellen: Es ist kein Berufswechsel, es ist kein Jobwechsel – es ist ein Leben, das man von heute auf morgen beendet. Ich bin gespannt, was die Zukunft für mich bringen wird, wie es mir dabei gehen wird. Es wird sicherlich sehr spannend.“
Jugendarbeit im Verband?
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hatte von Hirschers Entschluss zum Karriereende als einer der Ersten erfahren. „Marcel ist ein Mensch, der ganz genau weiß, was er tut. Er überlegt sich alles ganz genau. Und ich glaube, dass es ihm emotional jetzt viel besser geht als zuvor“, sagte Schröcksnadel sichtlich gerührt. „Es fällt ihm sicher ein Stein vom Herzen. Er hatte Riesendruck, den ist er jetzt los. Marcel ist einer der größten Athleten überhaupt, nicht nur im Skisport. Er ist ein Idol.“
Hirschers Abschied werde im ÖSV eine große Lücke hinterlassen, aber den anderen zugleich die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Außerdem werde Hirscher dem Verband laut Schröcksnadel erhalten bleiben. „Marcel wird sich in Zukunft in die Jugendarbeit einbringen. Mit seinem Vater (Ferdinand Hirscher, Anm.) verhandeln wir gerade. Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, mit ihm zu arbeiten.“
Siebeneinhalb Jahre danach
Nur siebeneinhalb Jahre nach seinem ersten Weltcup-Gesamtsieg beendete Hirscher also seine schillernde Laufbahn, der er in Pyeongchang 2018 auch die bis dahin fehlende Olympiagoldmedaille hinzugefügt hatte. Als Olympiasieger im Riesentorlauf und in der Kombination stand er auf dem Höhepunkt, in der vergangenen Saison packte er noch einmal WM-Gold im Slalom und RTL-Silber drauf. Die achte große Kristallkugel in Serie sollte die letzte in Hirschers bis dato einzigartiger Laufbahn als alpiner Skifahrer sein.
Der Ausnahmekönner, dessen Weltcup-Karriere am 17. März 2007 in Lenzerheide mit einem 24. Platz im RTL begann und auf den Tag genau zwölf Jahre später mit dem 14. Rang im Slalom in Soldeu zu Ende gegangen war, prägte unter der Ägide seines Vaters wie kein zweiter rot-weiß-roter Skiläufer eine Ära. Mit seiner im österreichischen Sport einzigartigen Erfolgsstory zog Hirscher als weltbester Skifahrer der Gegenwart und auch vielleicht aller Zeiten die Skifans in seinen Bann.
Rekordjagd bis zum Schluss
Hirscher schnürte ein Gesamtpaket an Triumphen, das nur schwer zu übertreffen sein wird. Seinem ersten Weltcup-Erfolg beim Slalom am 12. Dezember 2010 in Val d’Isere ließ der Salzburger 66 weitere folgen und ist damit vor Annemarie Moser-Pröll (62) und Hermann Maier (54) Österreichs erfolgreichster Skiläufer. Bei 245 Rennen kam Hirscher im Weltcup auf eine Siegesquote von 27 Prozent. In der ewigen Bestenliste liegen nur der schwedische Langzeitrekordler Ingemar Stenmark (86) und die ebenfalls in dieser Saison zurückgetretene US-Amerikanerin Lindsey Vonn (82) vor ihm.
In puncto Kristallkugeln ist Hirscher allerdings unübertroffen. Neben davor unvorstellbaren acht Weltcup-Gesamtsiegen in Folge eroberte der Atomic-Star jeweils sechs kleine Kristallkugeln in Slalom und RTL. Neben Kristall kam allerdings auch Edelmetall bei Hirscher nicht zu kurz. Bei Großereignissen räumte er in Summe 14 Medaillen – neun davon in Gold – ab. Mit insgesamt sieben WM-Titeln ist er auch in dieser Rubrik der Rekordhalter. Zum Doppelweltmeister in Slalom und Riesentorlauf hatte sich Hirscher 2017 (St. Moritz 2017) als erster Österreicher seit Rudi Nierlich (Vail 1989) aufgeschwungen.
Meilenstein in Schladming
Unvergessen bleibt auch sein erster Weltmeistertitel, als er bei der Heim-WM 2013 in Schladming im Slalom und damit im letzten WM-Rennen die einzige Einzel-Goldmedaille neben Gold im Team-Bewerb für die Gastgeber geholt und den ÖSV damit vor einer Blamage bewahrt hatte. Zigtausende Fans lagen dem damals 23-Jährigen im Planai-Stadion zu Füßen. Hirscher hatte einen weiteren wichtigen Schritt auf seinem Weg zur österreichischen Sportlegende gemacht. Zugleich stieg der Erfolgsdruck.
Dass Hirscher sein Niveau in den folgenden Jahren halten und Saison für Saison sogar noch steigern konnte, grenzte deshalb nahezu an ein Wunder. In der Saison 2017/18 gewann der ÖSV-Star 13 Weltcup-Rennen, womit er auch diesen Rekord von Stenmark und Maier noch egalisierte. Beim Nightrace in Schladming feierte Hirscher am 29. Jänner den letzten Weltcup-Sieg. Das Fahren auf höchstem Niveau, mit bestem Material und in körperlicher Topverfassung war sein Anspruch – sich am Limit zu bewegen, galt als seine Maxime. Perfektion war der einzige Maßstab, den Hirscher akzeptierte.