Verkäuferinnen halten Rugby-Bälle
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Hintergrund

Rugby betritt mit WM in Japan Neuland

Rund zehn Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Tokio darf sich Japan bereits als Gastgeber eines sportlichen Großereignisses präsentieren. Am Freitag wird mit dem Duell der „Brave Blossoms“ gegen Russland die neunte Weltmeisterschaft im Rugby eröffnet. Der WM-Zirkus betritt damit 32 Jahre nach seiner Premiere Neuland.

Seit der ersten WM 1987 war die Veranstaltung des größten Turniers im 15er-Rugby Sache der Topnationen. In Neuseeland, Australien, Südafrika, Frankreich oder den „Home Nations“ England, Schottland, Wales und Irland wurde der Weltmeister ermittelt. Mit Japan wurde die WM erstmals an ein Land aus der zweiten Reihe vergeben. Nach Europa, Australien und Ozeanien und Afrika kommt auch der asiatische Kontinent nun zum ersten Mal in den Genuss der mittlerweile drittgrößten Sportveranstaltung nach Olympia und Fußball-WM.

Die Vergabe an Japan zeigt auch das Wachstum des Rugby-Sports, seit der ersten Ausgabe 1987, bei der noch Amateure am Werk waren. Erst seit 1995 kann man auch als Rugby-Profi sein Geld verdienen. „Es veranschaulicht das Bestreben des internationalen Rugby-Verbandes, den Sport nachhaltig wachsen zu lassen“, freut sich auch Stiig Gabriel, seines Zeichens Sportdirektor von Österreichs Vizemeister Rugby Donau gegenüber ORF.at auf das Turnier.

Training der französischen Mannschaft
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Der berühmte Mount Fuji bildet heuer die Kulisse für die besten Rugby-Spieler der Welt

In insgesamt zwölf Stadien von Yokohama, wo am 2. November das Finale über die Bühne geht, bis Sapporo wird um Punkte gekämpft. An die 400.000 Besucher werden von den Veranstaltern bei der WM erwartet. Der wirtschaftliche Effekt der WM wird auf rund vier Milliarden Dollar geschätzt. Das wird auch den internationalen Rugby-Verband freuen, so Gabriel: „Asien ist ein Zielmarkt. Speziell bei den Frauen gibt es dort einen extremen Wachstumsschub.“ Grund ist vor allem die olympische Siebener-Variante, die sich in ganz Asien großer Beliebtheit erfreut.

Britische Entwicklungshilfe

Rugby gehört in Japan aber schon seit Langem zur Sportszene. Die ersten Aufzeichnungen über ein Spiel eines von britischen Matrosen gegründeten Yokohama Foot Ball Club datiert aus dem Jahr 1866. Edward Bramwell Clarke und Ginnosuke Tanaka, zwei Absolventen der berühmten Universität Cambridge machten schließlich 1899 den Studenten der Tokioter Keio University den körperbetonten Sport schmackhaft und etablierten Rugby endgültig in Japan.

Am 31. Jänner 1932 erfolgte gegen eine kanadische Auswahl das erste offizielle Länderspiel – und das gleich mit Erfolg. Mit 9:8 feierte Japan einen gelungenen Einstand auf der internationalen Rugby-Bühne. Seit 1987 ist das Kaiserreich Vollmitglied des internationalen Verbands und in Asien die klare Nummer eins. Daher war Japan auch bei bisher allen acht Weltmeisterschaften dabei. Die Bilanz aus 28 WM-Spielen: vier Siege, zwei Unentschieden und 22 Niederlagen. Drei der vier Erfolge gelangen beim bisher letzten WM-Turnier 2015. Damals verpasste Japan das Viertelfinale nur hauchdünn.

Japaner wollen begeistern

Das soll sich nun bei der Heim-WM ändern. Um erstmals den Sprung unter die besten acht zu schaffen, benötigt Japan in einer Gruppe mit Irland, Schottland, Samoa und Russland einen Platz unter den Top Zwei. Vor allem die Partien gegen die Iren und die Schotten haben Finalcharakter. Dass die „Brave Blossoms“ einem Großen das Bein stellen können, bewiesen sie vor vier Jahren, als in der Vorrunde der zweifache Weltmeister Südafrika mit einem Try in letzter Sekunde mit 34:32 besiegt wurde – die bisher größte Sensation der WM-Geschichte.

Seit der WM-Vergabe an Japan wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die „Blossoms“ an die Weltspitze heranzuführen. Der Kader wurde unter der Führung von Teamchef Jamie Joseph mit zahlreichen gebürtigen Neuseeländern oder Australiern die mehr als drei Jahre in Japan gespielt haben und damit für das Nationalteam spielberechtigt sind, verstärkt. Mit den Sunwolves aus Tokio nahm erstmals auch ein Club an der internationalen Liga „Super Rugby“ mit Vereinen aus Neuseeland, Australien, Südafrika und Argentinien teil.

Die Erwartungshaltung an Joseph und seine Mannen sind groß. Der Teamchef, selbst mehrfacher neuseeländischer Nationalspieler, ist sich der Verantwortung auch bewusst. „Es ist entscheidend für die weitere Entwicklung des Sports, dass wir aufregende und attraktive Spiele bieten, damit wir die Jugend für Rugby begeistern“, sagte der 49-Jährige, „wenn wir gewinnen, wäre das natürlich ein Bonus.“ Denn in der japanischen Sportszene spielt Rugby vorerst noch eine Nebenrolle. Baseball, Fußball oder Volleyball begeistern vorerst die Massen.

Riesige Vorfreude auf WM

Zumindest eines ist aber bereits gelungen: Die Popularität von Rugby ist im Zuge der Heim-WM deutlich gestiegen. Nicht nur, dass die Spiele der „Brave Blossoms“ mehr oder weniger an einem Tag ausverkauft waren, auch die anderen teilnehmenden Mannschaften wurden von Tausenden Fans begeistert empfangen. Öffentliche Trainingseinheiten etwa von Wales waren Zuschauermagneten. Bei einer Übungseinheit des regierenden Six-Nations-Champions in Kitakyushu drängten sich 15.000 Zuschauer auf den Tribünen des Stadions.

Richie Mo’unga
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Um die Spieler aller Teilnehmer, hier Titelverteidiger Neuseeland, herrschte bereits im Vorfeld ein ordentliches „G’riss“

Ein erfolgreicher Auftakt der Gastgeber am Freitag im Ajinomoto Stadium von Tokio gegen Russland würde die Euphorie im Land wohl zusätzlich anheizen. „Sie werden auf alle Fälle rennen, bis sie nicht mehr können“, ist auch ORF-Experte Gabriel von einem engagierten Auftritt der „Brave Blossoms“ überzeugt.

Geht es allerdings nach den bei Titelkämpfen obligaten Tierorakeln wird sich der Traum vom Viertelfinale nicht erfüllen. Zwei Oktopusse im Zoo von Obira auf der nördlichen Insel Hokkaido sagten zwar eine Sensation gegen Irland, aber ein Verpassen der K.-o.-Runde voraus. Und japanische Weichtiere dürften ein „G’spür“ dafür haben. Denn bei der Fußball-WM 2018 in Russland tippte ein Krake alle drei Vorrundenspiele der Japaner richtig.