Schon wenige Zahlen machen deutlich, wieso von einem Wunder die Rede ist: Die „Blau-Weißen“ aus dem Norden Portugals kickten vor zehn Jahren als Amateure noch in der fünften Liga. Seit der Gründung des Clubs im Jahr 1931 hatte man bisher insgesamt nur sechs Saisonen in der ersten Liga mitgespielt: 1946/47, 1978/79 sowie von 1990 bis 1994. Das knapp 70 Jahre alte Estadio Municipal 22 de Junho bietet nur 5.300 Zuschauern Platz.
So galt schon der Aufstieg ins Oberhaus im Frühjahr als Sensation. Der milliardenschwere Unternehmer Idan Ofer, der rund ein Drittel des spanischen Topvereins Atletico Madrid besitzt und den portugiesischen Club 2018 gekauft hatte, startete daraufhin einen radikalen Umbau des Kaders. Knapp 30 Spieler mussten gehen, 19 der 25 aktuellen Profis wurden erst vor Saisonbeginn 2019/20 in die Kleinstadt mit knapp 10.000 Einwohnern nordöstlich von Porto geholt. Zwei Spieler stiegen vom eigenen Nachwuchs in die Kampfmannschaft auf.
Ronaldo-Agent beweist „guten Riecher“
Das Sensationsteam gab es zum Nulltarif. Denn Geld gab Ofer trotz seines dicken Scheckheftes für den Umbruch keines aus. Der Israeli arbeitete mit dem befreundeten Ronaldo-Agent Jorge Mendes zusammen, der wiederum sowohl seine guten Beziehungen als auch seinen „guten Riecher“ für Talente spielen ließ. Er lockte sehr viele junge namenlose, aber offenbar hungrige und starke Profis zumeist auf Leihbasis (neun Spieler) in die portugiesische Provinz.
Bei den Neuzugängen handelte es sich vorwiegend um Brasilianer. Darunter der 19-jährige Mittelfeldmann Gustavo Assuncao, ein Sohn von Ex-Nationalspieler Paulo Assuncao, und Innenverteidiger Patrick William (22). Am Wunder beteiligt sind auch der Argentinier Nehuen Perez (19), die Spanier Toni Martinez (22) und Alex Centelles (20), der Engländer Josh Tymon (20), der Serbe Uros Racic (21) und der Uruguayer Nicolas Schiappacase (20). Mit einem Durchschnittsalter von 23,4 Jahren ist das Team die jüngste Mannschaft Portugal. Sie hat einen Gesamtmarktwert von 25,3 Millionen Euro (Quelle: Transfermarkt.at).
Vergleich mit Leicester City
In Portugal wird Famalicao bereits mit dem Team von Leicester City verglichen, das 2016 nur zwei Jahre nach dem Aufstieg sensationell Meister der Premier League wurde. Leicester hatte aber damals einige gestandene Profis im Kader wie zum Beispiel den Franzosen N’Golo Kante und Österreichs Teamkapitän Christian Fuchs. Und dazu Startrainer Claudio Rainieri. Die Portugiesen werden derweil seit dem Sommer von Joao Pedro Sousa gecoacht, der noch nie als Cheftrainer gearbeitet hatte und zuletzt Trainerassistent beim FC Everton war.
Die Frage, die sich die Fußballfans in Portugal spätestens seit dem 2:1 der „Famalicenses“ Ende September beim Topclub und LASK-Europa-League-Gegner Sporting Lissabon stellen, lautet: Kann das Nobody-Team in die Phalanx der drei „Granden“ eindringen? Benfica, Porto und Sporting machen den „Campeao“ seit 1934 praktisch unter sich aus. Es gab nur zwei Ausnahmen: 1946 Belenenses Lissabon und 2001 Boavista Porto.
Feuerprobe im Derby gegen FC Porto
„Wir haben nichts zu verlieren“, sagte der junge Brasilianer William der Sportzeitung „A Bola“. Das Erfolgsrezept? „Wir sind alle jung und denken gleich. Es gibt bei uns keine Eitelkeit. Das ist vielleicht unser Geheimnis“, sagte William, der bis vor Kurzem in der brasilianischen Provinz spielte. Auch bei einer Niederlage werde sich das Team nicht aus der Ruhe bringen lassen, so William. Die große Feuerprobe steht am 27. Oktober an. Dann treten William & Co. zum ungleichen Derby bei Verfolger FC Porto an.