Green Bay Packers Fans
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Football

Ein Provinznest als NFL-Hochburg

Als die National Football League (NFL) 1920 aus der Taufe gehoben wurde, waren die Hochburgen des Profifootball Provinznester im Mittleren Westen der USA. Das letzte Überbleibsel dieser Zeit sind die Green Bay Packers. Der 1921 in die Liga aufgenommene Club ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmerscheinung im Milliardenbusiness NFL – wie ein Lokalaugenschein in und ums Lambeau Field zeigt.

Vor 100 Jahren überzeugten Earl „Curley“ Lambeau und George Whitney Calhoun die in Green Bay beheimatete Indian Packing Company, Lambeaus Arbeitgeber, ihren Traum von einem Football-Team mit 500 Dollar zu unterstützen. Der Hauptsponsor gab dem Team jenen Spitznamen, den der Club noch heute trägt. Unter der Regie von Lambeau, der bis 1949 sein Team u. a. als Cheftrainer führte, mauserten sich die Packers schnell zu einem Siegerteam und erreichten sechs Meisterschaften, davon 1929 bis 1931 drei in Folge. Nach seinem Tod 1965 wurde daher auch das City Stadium in Lambeau Field umbenannt.

Den Spitznamen „Titletown USA“ trägt Green Bay nicht nur per Eigendefinition, denn mit insgesamt 13 NFL-Meisterschaften sind die Packers der erfolgreichste Club der Ligageschichte. Vor allem in den 1960er Jahren war Green Bay unter Coach Vince Lombardi das Um und Auf der Liga. Der 1970 verstorbene Stratege, nach dem auch die Super-Bowl-Trophäe benannt ist, gewann fünf Titel mit den Packers, die letzten drei davon in Serie. Lombardis Packers sind das einzige Team, das im Play-off-System drei NFL-Meisterschaften in Folge gewann. Zu Lambeaus Anfangszeiten wurde der Titel wie im Fußball noch im Tabellensystem vergeben.

Green Bay Packers Coach Vince Lombardi, 1965
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Unter Vince Lombardi wurden die Packers zum erfolgreichsten Team der NFL

Nach der Lombardi-Ära, in der in den Saisonen 1966 und 1967 auch die ersten beiden Super Bowls – damals noch ein Duell zwischen NFL und der konkurrierenden American Football League (AFL) – gewonnen wurden, musste Green Bay bis zur Saison 1996 warten, um wieder eine Titelparty abzuhalten. Dank Quarterback-Legende Brett Favre kehrten die Packers in den Kreis der Siegerteams zurück. Unter dem aktuellen Spielmacher Aaron Rodgers, der das Team 2010 zum bisher letzten Titel führte, gehörte Green Bay in den vergangenen Jahren ebenfalls immer zum erweiterten Favoritenkreis.

Im Eigentum der Fans

Der Erfolg des Teams steht im krassen Gegensatz zum Umfeld. Denn Green Bay wäre in anderen NFL-Hochburgen wie New York, Boston und San Francisco ein besserer Vorort. Gerade einmal 106.000 Einwohner haben in der rund dreieinhalb Autostunden nördlich von Chicago an einer Bucht des Michigan Sees gelegenen Stadt ihren Hauptwohnsitz. Im Bundesstaat Wisconsin ist Green Bay nur die Nummer drei hinter Milwaukee (rund 600.000 Einwohner) und der Hauptstadt Madison (rund 253.000).

Gäbe es nicht das Football-Team, gäbe es für Touristen keinen Grund, nach Green Bay zu reisen – das National Railroad Museum im Vorort Ashwaubenon ausgenommen. Dass ein für amerikanische Verhältnisse Kaff ein Profiteam aus den „Big Four“ – Football, Baseball, Basketball und Eishockey – beherbergt, hat einen einfachen Grund: Die Packers sind das einzige Team im Business US-Profisport, das nicht im Besitz eines Millliardärs, sondern mehr oder weniger der Fans ist.

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Lambeau Field Stadion
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An den Spieltagen konzentriert sich das öffentliche Leben in Green Bay auf das Lambeau Field
Lambeau Field Stadion
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1957 eröffnet ist die heute knapp 81.000 Zuschauer fassende Arena das älteste durchgehend genutzte Stadion der NFL
Lambeau Field Stadion
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„Tailgating“, die bei Football-Spielen traditionelle Grillerei, spielt sich in Green Bay nicht nur auf den Parkplätzen ab
Lambeau Field Stadion
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Seit 1960 ist jedes Spiel in Green Bay ausverkauft – und das auf Basis von Dauerkarten
Lambeau Field Stadion
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Auch im Stadtzentrum kommt man an dem 1919 gegründeten sportlichen Stolz der Stadt nicht vorbei

Dank der rund 361.000 Aktionäre der Green Bay Packers, Inc., einer geschlossenen Gesellschaft mit Non-Profit-Struktur und gewähltem Präsidenten an der Spitze, wurde eine Absiedelung des prominenten Franchise bisher erfolgreich verhindert. Dank der Regelung, dass kein Aktionär mehr als vier Prozent der mittlerweile knapp fünf Mio. Aktien halten darf, ist auch die Übernahme durch einen Einzelnen mehr oder weniger ausgeschlossen.

30 Jahre Warten auf eine Karte

Die besondere Eigentümerstruktur der Packers schweißte Team und Fans auf einzigartige Weise zusammen. Gleich mehrmals retteten die Anhänger dank der Aufstockung der Aktien den Club vor dem Aus. Der neunmalige Ausbau des 1957 mit 32.500 Plätzen eröffneten Lambeau Fields auf die heutige Kapazität von 81.441 Zuschauern – was rund 80 Prozent der Bevölkerung der Stadt entspricht – wurde teilweise durch freiwillige Steuererhöhungen finanziert.

Das im Verhältnis überdimensionale Stadion ist dennoch keine Fehlinvestition. Denn seit 1960 war jede Partie, egal ob Preseason und ob bei Schnee, Regen oder eisiger Kälte, ausverkauft – und das nur durch den Verkauf von Dauerkarten. Wer eine besitzt, gibt diese nicht mehr her und reizt sie auch fast bis ans Lebensende aus. In keinem anderen NFL-Stadion findet man so viele Fans fortgeschrittenen Alters. Manche scheinen selbst die erfolgreichen Zeiten unter „Curly“ Lambeau noch erlebt zu haben.

Lambeau Field Stadion
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Das Lambeau Field wurde im Laufe der Jahre von der Betonschüssel zum modernen Football-Tempel

Ein Sesaon Ticket zu ergattern ist zwar theoretisch möglich, aber in einem Menschenleben praktisch aussichtslos. Geschätzte 130.000 Namen sollen auf der Warteliste für eine Dauerkarte stehen, die Wartezeit auf ein Ticket beträgt laut Clubangaben mindestens 30 Jahre. Denn aufgrund des vor allem ideelen Wertes werden Season Tickets in der Regel von Generation zu Generation weitervererbt. Um vielleicht irgendwann eine Dauerkarte in Familienbesitz zu bringen, ist es für Jungfamilien üblich, ihre Neugeborenen auf die Warteliste zu setzen.

Ein spezielles Erlebnis

Auch wenn die Spiele auf Dauerkartenbasis ausverkauft sind, hat man Chancen auf Packers-Karten, der NFL-Tickettauschbörse sei Dank. Wer etwa bereit ist, 200 Dollar in einen Sitz zu investieren, wird mit einem Erlebnis belohnt, das sogar die Fans der Gästeteams in seinen Bann zieht. Denn die Verbundenheit der „Cheeseheads“ mit ihren Packers ist in Green Bay bereits Stunden vor Spielbeginn zu spüren, wenn die ersten Griller für das traditionelle „Tailgating“ auf den Parkplätzen auf Betriebstemperatur gebracht werden.

Was sich in anderen NFL-Stadien meist weit draußen vor den Stadtgrenzen abspielt, passiert in Green Bay mitten in einer Wohngegend. Die Einfamilienhäuser gegenüber dem Stadion vermieten daher ihre Vorgärten als Parkplätze. Viele sind kleine Packers-Museen inklusive Mini-Football-Felds im Garten, wo an Spieltagen gut besuchte Privatpartys steigen. Mit einem entsprechenden Obulus lässt sich in Sachen Einladung nachhelfen. Wer keinen Grillplatz ergattern konnte, dem wird im stadioneigenen Pub und an den Verkaufsständen des Titletown-District neben dem Lambeau Field bei der Einstimmung auf die jeweilige Partie geholfen.

Green Bay Packers Fans vor dem Stadion
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Auch die angrenzenden Vorgärten werden als Parkplatz genutzt – gegen eine entsprechend saftige Gebühr

Im Stadion, das großteils noch immer aus jener Schüssel besteht, die in den Jahren 1956 und 1957 für 960.000 Dollar errichtet wurde, sucht man den Komfort moderner NFL-Stadien vergeblich. Während man etwa im Metlife Stadium vor den Toren New Yorks sogar auf den „billigen“ Plätzen einen bequemen Sessel vorfindet, sitzt man in Green Bay sprichwörtlich Schulter am Schulter auf dem „Bankl“. Wer auf Komfort dennoch nicht verzichten will, kann sich aber spezielle Sitzpölster mit Lehnen ausborgen – was die Sache auf den Rängen noch etwas kuscheliger macht.

Wichtiger Wirtschaftsfaktor

Die Populariät der Packers ist auch für die Wirtschaft in Green Bay essenziell. „Ein Spieltag schlägt sich mit rund 14 Millionen Dollar an Wirtschaftskraft nieder“, so Brenda Krainik vom Greater Green Bay Convention and Visitors Bureau. Um den Geldfluss auch abseits der acht Heimspiele einer NFL-Saison am Laufen zu halten, wird aus der Marke Packers herausgequetscht, was möglich ist.

Der großzügige Fanshop, die täglichen, von altgedienten Packers-Fans geleiteten Touren und die teameigene „Hall of Fame“ sind mit die wichtigsten Einnahmequellen des Vereins. Dazu ist Lambeau Field, das am längsten durchgehend bespielte Heimstadion der NFL, auch der wichtigste Veranstaltungsort in Green Bay. Nicht nur Konferenzen, auch Hochzeitsempfänge werden unterhalb der Tribünen ausgerichtet.

Trotzdem findet man auch in Green Bay Menschen, die über den immer größer werdenden Trubel nicht nur glücklich sind. „Ich liebe die Packers, aber mein Leben dreht sich nicht nur um sie“, meinte etwa eine Kellnerin in einer der Bars in der überschaubaren Partymeile im Zentrum Green Bays gegenüber ORF.at mit Hinweis auf den mit Siegen verbundenen Arbeitsstress. Am Sonntag ist es eventuell wieder so weit, dann empfangen die Packers die Carolina Panthers. Und vielleicht hat Titletown zum 100. Geburtstag in der 100. Saison der NFL am Ende sogar wieder einmal einen Titel zu feiern.