Die beiden Ferrari-Fahrer Charles Leclerc und Sebastian Vettel
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Formel 1

Stallduell bei Ferrari eskaliert in Brasilien

Red-Bull-Pilot Max Verstappen hat zwar den vorletzten Formel-1-Grand-Prix der Saison in Brasilien gewonnen, Gesprächsthema nach dem Rennen am Sonntag in Sao Paulo ist aber der Crash zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc sowie das damit weiter eskalierende Stallduell zwischen den beiden Ferrari-Piloten gewesen.

In der 66. von 71 Runden auf dem Kurs in Interlagos hatten sich die Wagen der beiden berührt, als der vierfache Weltmeister zum Überholen seines Teamkollegen ansetzte. Leclerc riss es das rechte Vorderrad ab, Vettel schlitzte sich den linken Hinterreifen auf und konnte ebenfalls nicht weiterfahren. „Es ist blöd für das Team, wenn beide Autos nicht die Zielflagge sehen“, sagte der schlecht gelaunte Deutsche nach dem Desaster in seinem 100. GP für die „Scuderia“.

In der Ferrari-Box verfolgten die Ingenieure die Kollision mit Entsetzen, Teamchef Mattia Binotto steht vor dem Saisonfinale in zwei Wochen in Abu Dhabi in einer für Ferrari ohnehin enttäuschenden Saison vor schwersten Aufräumarbeiten. „Was zum Teufel macht der?!“, hatte Vettel noch im Auto über Leclerc geschimpft.

Ferraris werfen einander aus dem Rennen

Der Crash der beiden Ferraris beim Grand Prix in Brasilien sorgte für starke Emotionen.

Gesprächsbedarf in Maranello

Binotto, der es im Teamduell – zumindest in der Öffentlichkeit – meist bei Freundlichkeiten beließ, will den Crash zwischen dem 32-jährigen Deutschen und dem 22-jährigen Monegassen erst in Maranello klären. Wenn man es noch mit erhitztem Gemüt mache, würde man die falschen Schlussfolgerungen ziehen, erklärte der 50-jährige Italiener. „Den Fahrern sollte in erster Linie das Team leidtun. Es war ein kleiner Crash mit großen Folgen.“ Es gehe aber nicht darum, jemanden zu bestrafen oder zuerst dafür verantwortlich zu machen, meinte Binotto.

„Mein Gott, muss das sein“, fluchte Vettel nach dem Doppelausfall unter anderem auf Deutsch. Das anschließende Schimpfwort wurde von der Formel-1-Regie weggepiept. Jungstar Leclerc wütete: „Was zur Hölle!“ Die Rennkommissare werteten die Aktion als gewöhnlichen Rennunfall, die Schuldfrage blieb offen.

Freie Fahrt erlaubt keine „dummen Aktionen“

Binotto hörte sich beide Fahrer zu dem Vorfall an. Da der zweite Platz in der Konstrukteurs-WM sicher gewesen war, hatten sie frei fahren dürfen. „Frei fahren heißt aber nicht, sich dumme Aktionen zu erlauben unter zwei Teamkollegen. Und das war für mich eine dumme Aktion“, betonte Binotto.

Ferrari-Teamchef Mattia Binotto
APA/AFP/Miguel Medina
Für Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war die Kollision eine „dumme Aktion“

Zu einer Anmerkung, dass Mercedes-Teamchef Toto Wolff zu Hochzeiten des „Stallkrieges“ zwischen Lewis Hamilton und seinem damaligen deutschen Teamkollegen Nico Rosberg einen Verhaltenskatalog erstellt hatte, sagte Binotto: „Ich weiß nicht, was Toto gemacht hat, ich will es nicht beurteilen und es interessiert mich auch nicht.“

Ferrari hat eigene Sorgen. Durch seinen dritten Saisonsieg schob sich Verstappen in der Fahrer-WM hinter dem Mercedes-Duo Hamilton und Valtteri Bottas an Leclerc vorbei auf Rang drei. Elf Punkte liegt der Niederländer vor dem Finale in zwei Wochen in Abu Dhabi vor dem Monegassen. Vettel kann nur noch mit einem Sieg in den Emiraten an Leclerc vorbeiziehen. WM-Endrang fünf wäre für den Deutschen der bisher schlechteste seiner Ferrari-Ära.

„Erbärmlicher Nachmittag für Ferrari“

Auch die Presse beschäftigte sich natürlich ausgiebig mit der Kollision. „Ferrari-Katastrophe in Brasilien", lautete die Schlagzeile der italienischen Tageszeitung „La Stampa“. "Es ist nicht das erste Mal, dass Vettel und Leclerc auf der Strecke Probleme miteinander hatten, niemals war es jedoch zu dem gekommen, was man in Interlagos gesehen hat.“

Das britische Blatt „The Telegraph“ schrieb: „Vettel und Leclerc schoben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe nach ihrer jüngsten Kollision an einem weiteren erbärmlichen Nachmittag für Ferrari. Teamchef Binotto behauptete, es sei ein Luxus, zwei Superstarfahrer zu haben, aber wie lange ist ihre Partnerschaft noch haltbar?“

Beinhartes Duell seit Saisonbeginn

Das Duell war schon seit Saisonbeginn beinhart. Vierfachweltmeister Vettel bestritt bereits seine fünfte Saison für die „Scuderia“, der aus der Ferrari-Talentschmiede aufgestiegene Leclerc seine erste. Als die Verpflichtung des Youngsters von Sauber zu Ferrari bekanntgegeben wurde, machten die Verantwortlichen deutlich, dass er ein Hoffnungsträger für die Zukunft ist. Leclercs Vertrag endet erst 2022, der aktuelle Kontrakt von Vettel bereits nach der nächsten Saison.

Vettel musste sich trotz seiner Titelmeriten immer gegen Leclerc beweisen. Der Neuzugang wollte von einer Rolle als Nummer zwei nichts wissen, grantelte im Rennen bei entsprechenden Anweisungen und ließ sich seinen Unmut deutlich anmerken. Vettel geriet auch durch eigene Fehler immer wieder in die Kritik und war nicht in der Lage, Leclerc sportlich zu beherrschen. Stattdessen fuhr dieser zu zwei Siegen und holte siebenmal die Poleposition. Vettel gelang lediglich ein Sieg, nur zweimal stand er auf Startplatz eins.

Auch in Brasilien war Vettel nicht fehlerlos. Er verlor beim Start seinen zweiten Platz, während Leclerc – durch eine Motorentauschstrafe nur von Rang 14 aus gestartet – sieben Plätze in sieben Runden aufholte und schließlich auch vor Vettel lag. Erst dadurch kamen sie einander überhaupt in die Quere – wohl nicht zum letzten Mal.

Grand Prix von Brasilien in Sao Paulo

Endstand nach 71 Runden (305,939 km):
1. Max Verstappen NED Red Bull 1:33:14,678
2. Pierre Gasly FRA Toro Rosso + 6,077
3. Carlos Sainz ESP McLaren 8,869
4. Kimi Räikkönen FIN Alfa Romeo 9,452
5. Antonio Giovinazzi ITA Alfa Romeo 10,201
6. Daniel Ricciardo AUS Renault 10,541
7. Lewis Hamilton * GBR Mercedes 11,139
8. Lando Norris GBR McLaren 11,204
9. Sergio Perez MEX Racing Point 11,529
10. Daniil Kwjat RUS Toro Rosso 11,931
11. Kevin Magnussen DEN Haas 12,732
12. George Russell GBR Williams 13,599
13. Romain Grosjean FRA Haas 14,247
14. Alexander Albon THA Red Bull 14,927
15. Nico Hülkenberg GER Renault 18,059
16. Robert Kubica POL Williams 1 Runde

* Zeitstrafe von fünf Sekunden

Out: Sebastian Vettel (GER/Ferrari), Charles Leclerc (MON/Ferrari), Valtteri Bottas (FIN/Mercedes), Lance Stroll (CAN/Racing Point)

Schnellste Runde: Bottas 1:10,698 (43.)