Befüllen einer Spritze
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Doping

Russland droht absoluter Sportbann

Juri Ganous, der Chef von Russlands Anti-Doping-Agentur (RUSADA), erwartet wegen des immer weitere Kreise ziehenden Skandals um Staatsdoping einen vierjährigen Sportbann für sein Land. „Das ist die Realität. Das stürzt uns für vier weitere Jahre in eine neue Anti-Doping-Krise“, so Ganous am Dienstag in einem Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur AFP.

Ein unabhängiges Gremium der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), das sogenannte Compliance Review Committee (CRC), hatte am Montag empfohlen, Russland für vier Jahre von internationalen Sportereignissen auszuschließen. Zudem soll es dem größten Land der Welt auch untersagt werden, in diesem Zeitraum internationale Sportwettkämpfe auszurichten.

Grund dafür waren die jüngsten Erkenntnisse einer seit Monaten dauernden WADA-Untersuchung zu den Moskauer Labordaten aus den Jahren 2012 bis 2015, die man im Jänner dieses Jahres erst mit einiger Verspätung erhalten hatte. „Moskaus Daten sind weder vollständig noch völlig authentisch“, teilte das CRC dazu mit.

IOC unterstützt „härteste Sanktionen“

Das Internationale Olympische Komitee wird „die härtesten Sanktionen“ gegen alle Verantwortlichen für die Manipulation der Labordaten unterstützen. „Diese offensichtliche Manipulation ist ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit des Sports selbst und eine Beleidigung für die weltweite Sportbewegung“, hieß es in einer IOC-Mitteilung am Dienstag.

Zugleich wurden die russischen Behörden erneut eindringlich aufgefordert, „die Rohdaten zu übermitteln, auf die sich dieser Fall stützt“. Denn die Übermittlung dieser Daten war eine von der WADA festgelegte Bedingung für die Aufhebung früherer Sanktionen gegen die RUSADA, die das Zentrum des russischen Dopingskandals rund um die Winterspiele 2014 in Sotschi bildete.

Verdächtige Testergebnisse verschwunden

„Wir haben viele Probleme im Sportbereich, aber das schwierigste und tragischste ist, dass unsere Sportler Geiseln der Aktionen der Funktionäre geworden sind“, erklärte Ganous. Bereits am 9. Dezember in Paris tritt das WADA-Exekutivkomitee zusammen, um die vom CRC empfohlenen Sanktionen in diesem „äußerst schwerwiegenden Fall“ gegen Russland zu beschließen.

Chef von Russlands Anti-Doping-Agentur (RUSADA), Juri Ganous
APA/AFP/Irek Dorozanski
RUSADA-Chef Juri Ganous sieht düstere Zeiten auf den russischen Sport zukommen

„Hunderte“ verdächtige Testergebnisse aus den Akten, die Moskau der WADA Anfang des Jahres vorgelegt hatte, sollen verschwunden sein. Dafür sollen „erfundene Beweise“ in die Datenbank aufgenommen worden sein, um den ehemaligen Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow, in ein schlechtes Licht zu rücken. Rodschenkow hatte als Whistleblower dazu beigetragen, den Staatsdopingskandal aufzudecken. Der um sein Leben fürchtende 61-jährige Kronzeuge lebt nun an einem geheimen Ort in den USA.

Konsequenzen mit großer Tragweite

Der Leichtathletikweltverband hatte vor vier Jahren für die erste harte Sanktion gegen Russland gesorgt, nachdem der Dopingskandal ans Licht gekommen war. Seither dürfen russische Athleten nur unter neutraler Flagge an internationalen Leichtathletikwettkämpfen teilnehmen, sofern sie einen Nachweis erbracht haben, dass sie in keiner Weise an Manipulationen beteiligt waren. Auch bei den Olympischen Winterspielen im Vorjahr in Südkorea durfte kein offizielles Team aus Russland antreten.

Dasselbe Schicksal droht der einst stolzen Sportnation nun auch bei den Sommerspielen 2020 in Tokio und bei den Winterspielen 2022 in Peking. Dazu kommt aber verschärfend die CRC-Empfehlung, dass Russland in den kommenden vier Jahren bis Ende 2023 auch keine internationalen Sportveranstaltungen ausrichten sollte. Diese bezieht sich ausdrücklich auch auf bereits vergebene Wettkämpfe, etwa die Fußball-EM-Spiele im kommenden Jahr oder das Champions-League-Finale der UEFA, das am 29. Mai 2021 ebenfalls in St. Petersburg stattfinden soll.

Russland reagiert empört

Russlands Politik reagierte mit Unverständnis auf die erneut drohenden Sanktionen und sieht sich international an den Pranger gestellt. „Manche möchten Russland in eine Verteidigungshaltung und Lage eines Beschuldigten drängen – in allem und überall“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge.

Es könne nicht sein, dass Russland immer schuld sei und gegen alles verstoße, „und alle anderen nach den Regeln leben, die sie selbst aufgeschrieben haben“. Es werde nicht mehr nachgefragt, sondern nur noch festgelegt, kritisierte Lawrow. Er forderte einen ehrlichen Dialog auf Augenhöhe.