Janko Bozovic (AUT)
Reuters/Lisi Niesner
Handball-EM

Team leckt nach Debakel seine Wunden

Bundespräsident Alexander van der Bellen hat in den Katakomben der Wiener Stadthalle alle Hände voll zu tun gehabt, Österreichs Nationalspieler nach der empfindlichen Abfuhr gegen Deutschland zu trösten. Das 22:34 im dritten EM-Hauptrundenspiel war ernüchternd, für Mannschaft und Publikum. „Es tut weh, da braucht man nicht drumherumreden“, sagte Kapitän Nikola Bilyk.

9.000 Handballfans, ein großer Teil aus Deutschland, konnten über 60 Minuten einen klaren Qualitätsunterschied zwischen den beiden Teams feststellen. Vor allem in der zweiten Hälfte fertigte der Favorit den hoffnungsfroh angetretenen EM-Gastgeber nach allen Regeln der Kunst ab. Angeführt vom überragenden Torhüter Johannes Bitter, der 15 von 28 Würfen hielt, ließen die Deutschen keine Zweifel aufkommen, wer ins Spiel um Platz fünf nach Stockholm fahren würde.

„Es war rein mental eine große Herausforderung. Die Mannschaft hat konstant und konzentriert durchgezogen“, zeigte sich der deutsche Teamchef Christian Prokop danach erleichtert. Er steht nach dem Verpassen des Halbfinales schwer in der Kritik. Daran ändert auch dieser Sieg gegen Österreich nichts. „Die haben das von Anfang bis Ende voll durchgezogen“, zeigte sich auch Österreichs Linksaußen Sebastian Frimmel davon beeindruckt, wie sich die Deutschen nach der Kroatien-Pleite aus dem mentalen Loch holen konnten.

Österreich verliert gegen Deutschland klar

Mit einer empfindlich hohen Niederlage Österreichs endete das EM-Spiel gegen Deutschland.

„Sie sind über uns drübergefahren“

„Wir haben ein bisschen den Kopf hängen gelassen und nicht mehr ins Spiel gefunden“, sagte Frimmel über die zweite Hälfte, als die ÖHB-Auswahl an Goalie Bitter zerbrach und der Truppe des Deutschen Handballbunds (DHB) auch physisch nichts mehr entgegenzusetzen hatte. „Ein paar Minuten Unkonzentriertheit hat gereicht, und sie sind über uns drübergefahren“, analysierte ÖHB-Tormann Thomas Bauer treffend. Er hatte im Finish der Partie Einsatzzeit erhalten, nachdem er im bisherigen Turnierverlauf klar im Schatten von Thomas Eichberger gestanden war.

„Wenn man im Spielertunnel in die Gesichter der Spieler und Funktionäre geblickt hat, hat man schon gemerkt: Die nehmen das heute ernst“, berichtete Bauer von den Momenten vor dem Match. „Wir haben in der zweiten Halbzeit zum ersten Mal in diesem Turnier auch nicht unser Gesicht gezeigt“, sagte Kapitän Bilyk selbstkritisch. „Das ist, was ein bisschen mehr wehtut. Das müssen wir in zwei Tagen viel, viel besser machen“, blickte Bilyk schon auf den Abschluss gegen Weißrussland am Mittwoch (18.15 Uhr, live in ORF1).

Johannes Bitter (GER)
APA/AFP/Vladimir Simicek
Der deutsche Torhüter Johannes Bitter avancierte mit einer sensationellen Savequote von 54 Prozent zum Mann des Spiels

Für Tobias Wagner war die Packung schwer zu schlucken. „So viel schlechter sind wir nicht“, sagte der ÖHB-Kreis und gestand, dass das Ergebnis „richtig weh“ tut. „In der zweiten Hälfte können wir uns bei den Fans nur entschuldigen. Das war in allen Belangen zu wenig.“ Die Chance auf die Überraschung ließ man nach gutem Beginn früher liegen. „Wir haben zu viele technische Fehler gemacht. Und wir haben die Partie mit überhasteten Abschlüssen weggeworfen. Wir hatten uns ein Plus zur Halbzeit verdient gehabt und hatten ein Minus“, so Wagner.

Noch einmal aufrichten für Weißrussland

„Wir haben noch ein Spiel und geben noch einmal Gas. Wir müssen und werden das schnell abhaken, da braucht man sich keine Sorgen machen“, gab sich Frimmel noch einmal kämpferisch. Das Spiel gegen Weißrussland wird immerhin entscheiden, ob das Team den neunten Platz von der Heim-EM 2010 übertreffen kann. Dafür würde ein Punkt reichen, dann wäre man Gruppenvierter und damit EM-Achter.

ÖHB-Teamchef Ales Pajovic wird seine Auswahl bis Mittwoch aufrichten und neu motivieren müssen. „Wir müssen aus diesem Spiel lernen. Die Jungs haben bis heute eine überragende EM gezeigt“, betonte der Slowene nach der höchsten Niederlage seiner Amtszeit (seit April 2019). Man habe von den drei schweren Partien gegen Spanien, Kroatien und Deutschland die ersten beiden gut gespielt. „Für mich ist jetzt wichtig, dass sie als Mannschaft zusammenstehen“, sagte Pajovic.

Das könnten seine Spieler mit einem Erfolg über die Weißrussen zeigen. „Ich will diese zwei Punkte“, so Pajovic, dessen Kader in Breite und Tiefe an qualitative Grenzen stößt. Dass er Bilyk schon vor der Halbzeit rund 15 Minuten auf der Bank gelassen hatte, sei der hohen Belastung in den ersten fünf Partien geschuldet gewesen. „Er ist kein Roboter“, so Pajovic über den 23-jährigen Kiel-Legionär, der mit fünf Toren erfolgreichster ÖHB-Werfer gegen Deutschland war und mit 39 Treffern hinter dem Norweger Sander Sagosen (42) Zweiter in der EM-Torschützenliste ist.