Olympische und Japanische Flagge
AP/Pool/Aris Messinis
Olympia

Das Tauziehen um die Tokio-Verschiebung

Am Termin festhalten oder Olympia in Tokio doch verschieben? In der vom Coronavirus nahezu stillgelegten Sportwelt gibt es noch eine große Frage zu klären. Auf der einen Seite steht dabei das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit Präsident Thomas Bach an der Spitze, das noch an die Spiele Ende Juli glaubt. Auf der anderen Seite mehren sich die Stimmen jener Kritiker, die Olympia lieber heute als morgen verschieben möchten.

Um die Austragung der Olympischen Spiele ist damit längst ein Tauziehen entbrannt. Eines, in dem sich auch das IOC unter dem enormen Druck langsam, aber sicher zu bewegen scheint. Am Sonntag kündigte das Komitee an, spätestens in vier Wochen eine Entscheidung über das endgültige Vorgehen und auch eine etwaige Verschiebung der Spiele 2020 zu treffen. In diesem Zeitraum sollen mögliche Optionen wegen der Coronavirus-Pandemie überlegt werden.

Inzwischen hat auch Bach eingeräumt, verschiedene Szenarien in Betracht zu ziehen – auch die historische Verschiebung. Einen Totalausfall der Spiele, wie es ihn in der Vergangenheit bereits mehrmals gegeben hat, schließt er aber aus. Im Ersten Weltkrieg wurden die Sommerspiele 1916 (Berlin), im Zweiten Weltkrieg die Sommerspiele 1940 (Tokio) und 1944 (London) sowie die Winterspiele 1940 (Cortina d’Ampezzo) und 1944 (Sapporo) gestrichen.

IOC hält an Olympischen Spielen fest

Am 24. Juli soll Olympia in Tokio wie geplant über die Bühne gehen, so lauten die Aussagen der Veranstalter und des IOC. Die Stimmen der Kritiker werden aber immer zahlreicher.

Mehrere Szenarien wären bei einer wohl immer näher rückenden Absage für den ursprünglichen Termin denkbar: Die Verschiebung der von 24. Juli bis 9. August geplanten Spiele auf den Herbst, auf Sommer 2021 oder 2022. Ein Terminchaos wäre aber bei jeder Verschiebung unvermeidlich. „Menschenleben haben Vorrang vor allem, auch vor der Austragung der Spiele. Das IOC will Teil der Lösung sein“, sagte Bach. Er wünsche sich, dass die Hoffnung von Athleten, Nationaler Olympischer Komitees und internationaler Verbände erfüllt werde: „Dass am Ende dieses dunklen Tunnels, durch den wir alle gemeinsam gehen, ohne zu wissen, wie lange er noch dauert, die olympische Flamme ein Licht sein wird.“

Pros und Kontras einer Verschiebung

Diese Terminprobleme sprechen gegen eine sofortige Verschiebung der Olympischen Spiele. Viele Welt- und Europameisterschaften, Weltcups oder Qualifikationsturniere sind auf Olympia abgestimmt. Dagegen spricht auch der Virusverlauf in China. Gut drei Monate nach Ausbruch der Pandemie gibt es in China kaum noch Neuinfektionen. Das wäre ein Zeitrahmen, der einen geregelten Sportbetrieb möglich machen könnte. Weiters hätten Olympische Spiele nach Überstehen der Pandemie einen Symbolwert und wären ein Zeichen des Aufbruchs.

Dem gegenüber stehen die Kontras, die für eine Vielzahl an Personen weit schwerer wiegen als die Pros. Bei einer Veranstaltung mit über 11.000 Athleten, Betreuern, Journalisten und Tausenden Fans drohen neue Infektionen und womöglich eine neue Ansteckungswelle. „Es gibt für Viren quasi kein tolleres Fest als so eine Veranstaltung“, sagte etwa der deutsche Virologe Alexander Kekule in der ARD.

Dagegen spricht auch, dass Athleten in ihren Trainingsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Eine Vorbereitung in den eigenen vier Wänden ist alles andere als optimal. Gleiche Wettbewerbsbedingungen sind daher kaum mehr gegeben. Überdies sind flächendeckende Kontrollen durch die Anti-Doping-Agenturen derzeit nicht möglich. Und es haben sich erst die Hälfte aller Sportler für Olympia qualifiziert, viele Qualifikationsturniere sind aber bereits abgesagt worden oder sollen kurz vor den Spielen nachgeholt werden.

IOC-Präsident Thomas Bach
Reuters/Denis Balibouse
IOC-Präsident Thomas Bach gerät bezüglich einer Entscheidung immer mehr unter Druck

Gesundheit und Sicherheit an erster Position

Das IOC ist in der schwierigen Position, die Sachlage abzuwägen. Ein Zuwarten in der Entscheidung, wie einige Nationale Olympischen Komitees (NOK) weiter der Meinung sind, kommt für andere aber nicht mehr infrage. „Japan hat viele Ressourcen in Olympia investiert, und sie sind fest davon überzeugt, dass die Spiele stattfinden sollten, aber das widerspricht dem gesunden Menschenverstand und das können wir nicht unterstützen, Menschenleben gehen vor“, betonte etwa Serbiens NOK-Chef Vanja Udovicic.

Auch die Vereinigung Global Athlete sprach sich gegen die Austragung im Sommer aus. „Wenn sich die Welt zusammenschließt, um die Verbreitung des Covid-19-Virus zu begrenzen, müssen IOC und IPC (Internationale Paralympische Komitee, Anm.) das Gleiche tun“, hieß es in einer Mitteilung. „Unter den gegenwärtigen globalen Beschränkungen, die öffentliche Versammlungen einschränken sowie Trainingseinrichtungen und Grenzen schließen, haben die Athleten nicht die Möglichkeit, sich angemessen auf diese Spiele vorzubereiten. Ihre Gesundheit und Sicherheit müssen an erster Stelle stehen.“

Deutscher Fechter schließt Teilnahme aus

Der deutsche Fechter und Athletenaktivist Max Hartung schloss unterdessen bereits seine Teilnahme in Tokio aus, falls diese im Sommer stattfinden. Mit dieser Ankündigung wolle er in der Diskussion um eine Verlegung ein Zeichen setzen, betonte Hartung. Ihm „breche es das Herz“, sagte der Vorsitzende des Vereins Athleten Deutschland über die Tragweite seiner Entscheidung. „Ich hätte heulen können.“ Das Internationale Olympischen Komitee forderte er auf, die „Hängepartie zu beenden“ und die Spiele zu verschieben.

Fechter Max Hartung
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Der deutsche Fechter Max Hartung wünscht sich ein Einbeziehen der Athleten in die IOC-Entscheidung

Es gibt aber auch andere Stimmen. „Alle schreien jetzt nach der Absage. Ich hoffe, das IOC beugt sich nicht dem öffentlichen Druck, sondern nimmt sich die nötige Zeit für diese schwerwiegende Entscheidung“, sagte der deutsche Bahnradfahrer Maximilian Levy. „Wenn man jetzt absagt – da brechen Welten zusammen.“ Der mehrfache Olympiamedaillengewinner denkt nicht, dass es im Falle einer Verschiebung beispielsweise um ein Jahr eine größere Chancengleichheit gebe.

ÖOC gibt an Sportler Durchhalteparolen aus

Während der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) seine rund 200 Athleten in die Debatte über die Verschiebung mit einer Umfrage direkt einbezieht, gab es vom Österreichischen Olympischen Comite (ÖOC) an seine Sportler vorerst eine Durchhalteparole. Solange das IOC trotz Coronavirus-Pandemie den Beginn der Sommerspiele mit 24. Juli in Tokio angibt, heiße es weitertrainieren. Die Funktionäre der heimischen Fachverbände geben diesen Appell an ihre Sportler weiter.

Profisportler in der Isolation

Auch professionelle Sportlerinnen und Sportler werden durch die Coronavirus-Krise in ihrem Training stark eingeschränkt.

Für Arno Pajek, den Präsidenten des Österreichischen Schwimmverbandes (OSV), darf die Wartezeit aber nicht mehr zu lange werden. „Ob es überhaupt stattfindet, steht in den Sternen. Wir müssen es auf uns zukommen lassen und schauen, dass die Krise bewältigt wird. Wir sollten die nächsten zwei Wochen warten, was passiert“, sagte Pajek gegenüber der APA.

WHO betont beratende Funktion

„Olympia nicht um jeden Preis“, sagte Sonja Spendelhofer, die Präsidentin des Leichtathletikverbandes (ÖLV). „Letztendlich muss die Gesundheit vorgehen. Die WHO muss entscheiden, ob die Athleten sicher sind oder ob es gefährlich ist. Alle, die jetzt mitdiskutieren, können nie so gut informiert sein wie die Expertengremien und die WHO“, will die ehemalige Topathletin eine Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation.

Die WHO, mit der das IOC in ständigem Kontakt steht, machte aber schon klar, dass sie nicht die Absage der Spiele fordern wird. Das sei auch nicht die Aufgabe der WHO, sagte ein Sprecher auf dpa-Anfrage. Die WHO gab an, „wissenschaftlich fundierte Leitlinien und Empfehlungen für die öffentliche Gesundheit“ bereitzustellen. Diese seien dazu gedacht, dass die Organisationen und Länder angemessene und „evidenzbasierte Entscheidungen“ treffen können. Den Beteiligten stehe es aber „frei, eigene Entscheidungen entsprechend ihrer Umstände und ihrer Einschätzung des Risikos zu treffen“.