Olympische Ringe
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Olympia

Für Termin 2020 wird es immer enger

Dass die Olympischen Spiele in Tokio wie geplant Ende Juli beginnen, wird immer unwahrscheinlicher. Während der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe am Montag erstmals von einer möglichen Verschiebung sprach, hat sich Kanada wegen der weltweiten Coronavirus-Pandemie bereits fix vom vorgesehenen Termin verabschiedet. Und immer mehr Länder wollen diesem Beispiel folgen.

Ein neuer Termin könnte nach Einschätzung von Abe unter Umständen „unvermeidbar“ werden, sagte er bei einem Treffen mit Parlamentariern. Er bekenne sich aber nach wie vor zur Veranstaltung „vollständiger“ Sommerspiele. Doch zum Schutz der Gesundheit der Athleten „könnte es unvermeidbar werden, dass wir eine Entscheidung zur Verschiebung treffen“.

Es war das erste Mal, dass Abe die Möglichkeit einer Verschiebung der Spiele einräumte. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte wenige Stunden zuvor angekündigt, binnen vier Wochen über eine Verschiebung der Spiele zu entscheiden. Eine vollständige Absage des sportlichen Großereignisses schloss IOC-Präsident Thomas Bach in einem Brief an die Sportler jedoch aus. Auch Abe sagte, eine Absage sei „keine Option“. Die Verschiebung um ein Jahr dürfte aber als das wahrscheinlichste Szenario gelten.

Kanada und Australien entsenden keine Athleten nach Tokio

Das IOC wollte sich bisher nicht festlegen, ob in diesem Sommer Olympische Spiele stattfinden werden. Es soll diesbezüglich spätestens in vier Wochen eine Entscheidung geben. Kanada und Australien haben unterdessen bekannt gegeben, dass sie keine Sportler nach Japan entsenden würden.

Kanada und Australien machen nicht mit

Kanada wird jedenfalls keine Sportler zum geplanten Termin vom 24. Juli bis 9. August nach Tokio schicken. Das gab das Nationale Olympische Komitee Kanadas (COC) am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter bekannt. Die „schwierige Entscheidung“ sei mit Zustimmung von Sportverbänden und der kanadischen Regierung getroffen worden, heißt es. Auch die Teilnahme an den Paralympischen Spielen 2020 sei abgesagt worden. COC rief das Internationale Olympische Komitee dazu auf, die Spiele um ein Jahr zu verschieben.

Das Nationale Olympische Komitee von Australien (AOC) hat seine Sportler und Sportlerinnen ebenfalls aufgerufen, sich auf eine Verschiebung der Spiele auf den Sommer 2021 einzustellen. „Es ist klar, dass die Spiele nicht im Juli ausgerichtet werden können. Unsere Athleten waren fantastisch in ihrer positiven Haltung im Training und in der Vorbereitung, aber der Stress und die Unsicherheit waren extrem fordernd für sie“, erklärte der Tokio-Teamchef des Verbandes, Ian Chesterman.

In Norwegen, Großbritannien und der Schweiz sowie mittlerweile auch in Portugal und Frankreich ist man gewillt, dem Vorbild Kanadas und Australiens zu folgen. Bertil Kjoel, Präsident des Norwegischen Olympischen Komitees, kündigte an, dem Vorstand eine Nichtentsendung von Sportlerinnen und Sportlern zu empfehlen, solange die weltweite Pandemie nicht unter Kontrolle ist. Ähnlich äußerte sich Hugh Robertson, der Vorsitzende der British Olympic Association: „Wenn sich das Virus wie prognostiziert weiter ausbreitet, sehe ich keine Chance, ein Team zu entsenden.“ Swiss Olympic teilte dem IOC in einem Brief mit, dass die Gesundheit und das Wohlergehen über allem stünden.

ÖOC wartet ab

Aus österreichischer Sicht sprach sich Sportminister Werner Kogler klar für eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio aus. „Ich plädiere im Sinne der Gesundheit aller TeilnehmerInnen, BetreuerInnen und ZuschauerInnen für eine Verschiebung der Olympischen Sommerspiele 2020“, teilte der Vizekanzler in einer Erklärung mit. Kogler begrüßte den „mutigen Schritt“ von Kanada, das bereits erklärt habe, dass es keine Athleten nach Tokio schicken werde.

Das Österreichische Olympische Comite (ÖOC) wartet derweil mit einer Entscheidung, ob man Athleten und Athletinnen entsenden wird, sollten die Spiele wie geplant stattfinden, noch ab. „Wer kann derzeit voraussagen, was im Juni, Juli sein wird? Nicht einmal WHO-Experten wollen diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt beantworten“, wurde ÖOC-Präsident Karl Stoss erst vor wenigen Tagen in der APA zitiert, "wir werden in den nächsten Tagen, Wochen uns bestmöglich dafür einsetzen, dass wir für alle TopathletInnen sinnvolle Trainingslösungen – unter Einhaltung aller geltenden Sicherheitsmaßnahmen – gewährleisten können.

In der ORF-Sendung „Sport am Sonntag“ zeigte Generalsekretär Peter Mennel Verständnis für die Sorge von Athletenseite. Der Vorarlberger betonte, dass in jedem Fall die Gesundheit der Athleten an erster Stelle stünde. Demzufolge hält Mennel persönlich auch eine Verschiebung der Sommerspiele für heuer für möglich: „Ich glaube, dass die Spiele, wenn die Weltsituation sich nicht ändert, wenn der Corona-Virus weder durch eine Medizin, noch durch eine Impfung in den Griff zu bekommen ist, dass die Spiele unter Umständen verschoben werden.“

Leichtathletikverband will neuen Termin

Auch der Leichtathletikweltverband World Athletics hat die Verschiebung gefordert. In einem vom kanadischen TV-Sender CBC publik gemachten Brief rief Präsident Sebastian Coe IOC-Chef Bach dazu auf, einen neuen Termin für die Sommerspiele zu finden. Wegen des Coronavirus sei die geplante Durchführung in diesem Sommer „weder möglich noch wünschenswert“, schrieb Coe.

Man sei aber bereit, mit dem IOC und dem gesamten Sport an einem alternativen Termin zu arbeiten. Wie World Athletics mitteilte, beinhalte dies „auch Termine im Jahr 2021“ und damit auch die Leichtathletik-WM im nächsten Jahr in Eugene (Oregon/USA).

World Athletics habe bereits mit dem Organisationskomitee Oregon 21 über die Möglichkeit diskutiert, die Tokio-Spiele auf das nächste Jahr zu verlegen. Die WM-Organisatoren hätten daraufhin versichert, mit ihren Partnern und Interessenvertretern zu beraten, ob Eugene die WM an alternativen Terminen ausrichten könne, „falls sich dies als notwendig erweisen sollte“, hieß es.

Präsident des International Association of Athletics Federations (IAAF) Sebastian Coe
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Für Coe ist ein neuer Olympiatermin nicht zu umgehen

IOC überlegt mögliche Szenarien

Beim IOC selbst möchte man in den kommenden Wochen nun mögliche Szenarien durchspielen, wie es weitergehen könnte. Dabei stehen vorerst drei Varianten zur Verfügung.

  • Die Olympischen Spiele werden in den Herbst verschoben. Von den klimatischen Bedingungen wäre das ohnehin die beste Variante, hatte es doch schon viel Kritik an dem Sommertermin wegen der großen Hitze in Tokio gegeben. Doch ob sich die Coronavirus-Krise nur wenige Monate nach dem derzeitigen Termin tatsächlich gebessert haben wird, erscheint fraglich. Auch dürften die zahlungskräftigen TV-Sender aus den USA kaum damit einverstanden sein, da in dieser Zeit die großen amerikanischen Ligen (NFL, NBA und NHL) wieder im Spielbetrieb sind.
  • Das Event wird ähnlich wie die Fußball-EM um exakt ein Jahr verschoben, also weiterhin im Sommer stattfinden. Diese Variante gibt dem IOC und den Veranstaltern viel Zeit, das Virus sollte bis dahin eingedämmt sein. Allerdings müsste der Sportkalender stark angepasst werden. Im Sommer 2021 sind zum Beispiel die Weltmeisterschaften der Schwimmer in Fukuoka und die der Leichtathleten in Eugene vorgesehen.
  • Olympia wird auf 2022 verschoben. Der Termin hätte den Vorteil, dass genügend Zeit bliebe, den Sportkalender anzupassen. Aber Winter- und Sommerspiele in einem Jahr wären für das IOC vermutlich kaum zu stemmen. Und Ende 2022 findet auch noch die Fußball-WM statt.

Historische Entscheidung

Eine Verschiebung der Olympischen Spiele wäre eine historische Entscheidung. Eine Absage gab es in der Vergangenheit dagegen schon einige Male – immer aufgrund der beiden großen weltweiten Konflikte des 20. Jahrhunderts. Im Ersten Weltkrieg wurden die Sommerspiele 1916 (Berlin), im Zweiten Weltkrieg die Sommerspiele 1940 (Tokio) und 1944 (London) sowie die Winterspiele 1940 (Cortina d’Ampezzo) und 1944 (Sapporo) gestrichen.

Eine Verschiebung der Olympischen und Paralympischen Spiele würde Japan nach Meinung verschiedener Experten bis zu 5,7 Milliarden Euro (670 Mrd. Yen) kosten. Diese Summe errechnete der Chefökonomen des Finanzunternehmens SMBC Nikko Securities, Junichi Makino. Mit rund 640,8 Milliarden Yen (5,4 Mrd. Euro) schätzt der emeritierte Wirtschaftswissenschaftler Katsuhiro Miyamoto von der Universität Kansai die Kosten nur unwesentlich geringer ein. Die Schätzung für die Komplettabsage beläuft sich laut Makino auf 7,8 Billionen Yen (65,9 Mrd. Euro).