Alex Pietrangelo von den St. Louis Blues mit dem Siegerpokal
AP/Richard Ulreich
Hintergrund

Die drei Gesichter des Eishockey-Grals

Er ist an die 90 Zentimeter hoch, wiegt rund 16 Kilogramm, und die meisten Eishockeyspieler träumen davon, ihn einmal zu stemmen: der Stanley Cup. Wie und wann der Pokal heuer vergeben wird, ist aufgrund der Coronavirus-Pandemie aber noch unsicher. Wobei die Einzahl Stanley Cup so nicht stimmt, denn den „heiligen Gral“ der National Hockey League (NHL) gibt es in drei Versionen.

Am 18. März 1892 stiftete Frederick Arthur Stanley, der 16. Earl of Derby, später Lord Stanley of Preston, jenen Pokal, der das Herz jedes Eishockeyspielers höher schlagen lässt. Der damalige britische Generalgouverneur Kanadas hatte in seiner Wahlheimat die Liebe zum Kufensport entdeckt und wollte mit seinem Pokal ursprünglich das beste Amateurteam Kanadas ehren. Seit der Spielzeit 1926/27 geht der Cup exklusiv an den Gewinner der NHL.

Kaum eine Trophäe hat weltweit einen ähnlichen Wiedererkennungswert wie der Stanley Cup. Maximal jene für den Fußballweltmeister oder die Vince Lombardi Trophy für den Gewinner der Super Bowl im Football können „Lord Stanley“ das Wasser reichen. Während aber etwa die Lombardi-Trophy jedes Jahr neu gefertigt wird, ist das aus einer Schale und den markanten Ringen bestehende NHL-Monstrum ein klassischer Wanderpokal – und trotzdem kein Unikat.

Der Original Stanley Cup in der Hockey Hall of Fame
APA/AFP/Getty Images/Bruce Bennett
Das Original und sein Stifter: Lord Stanley bescherte der Sportwelt eine ihrer berühmtesten Trophäen

Denn den einst im englischen Sheffield gefertigten und von Gouverneur Stanley um damals rund 50 US-Dollar erworbenen Pokal haben seit über 50 Jahren höchstens noch Mitarbeiter der Hockey Hall of Fame in Toronto in der Hand. Die 18,5 cm hohe silberne Schale mit ihren rund 30 Zentimetern Durchmesser wurde zuletzt 1969 an die Montreal Canadiens verliehen. Seit damals wird das Original in einem Safe und hinter Panzerglas in der Ruhmeshalle aufbewahrt.

Zum Präsentieren und Anschauen

Den Pokal, den als bisher Letzte im Vorjahr die Spieler der St. Louis Blues auf einer Ehrenrunde auf dem Eis spazieren führten, gibt es erst seit 1963. Der damalige NHL-Präsident Clarence S. Campbell, nach dem auch die Trophäe für den Gewinner der Western Conference benannt ist, sorgte sich um den Zustand der damals bereits über 70 Jahre alten und nicht immer fein behandelten Silberschüssel.

Daher gab Campbell heimlich beim Silberschmid Carl Peterson in Montreal eine exakte Kopie des Cups in Auftrag. Detail am Rande: Die Montreal Canadiens waren 1969 auch die Letzten, die den Original-Cup überreicht bekamen. Erst drei Jahre nach der Anfertigung des „Presentation Cups“ ließ die NHL auch die Katze aus dem Sack und gab die Neuanfertigung zu. Der neue Pokal wird seit 1970 jährlich überreicht und unter Aufsicht auch jedem Meisterspieler für einen Tag im Sommer zur Verfügung gestellt.

1993 wurde die Stanley-Cup-Familie sogar um eine dritte Version erweitert. Louise St. Jacques fertigte in ihrer Silberschmiede eine Kopie der Kopie an. Der sogenannte Replica oder Permanent Cup dient vor allem dazu, immer einen Stanley Cup in der Hall of Fame präsentieren zu können. Denn wenn die Spieler der Meistermannschaft mit dem Presentation Cup unterwegs sind oder der Pokal davor in der entscheidenden Phase der Finalserie in der jeweiligen Halle bereitsteht, wäre der prominenteste Platz in der Trophäenhalle in Toronto leer. Viele Besucher würden um ein Selfie mit dem Stanley Cup umfallen.

Kleine, aber feine Unterschiede

Wer wissen will, mit welchem Stanley Cup er oder sie sich auf einem Foto verewigt, der muss auf kleine, aber feine Unterschiede achten. Da ist einerseits das offizielle Siegel der Hockey Hall of Fame, das den Boden des Presentation und damit aktuell „echten“ Cups ziert. Dieses bekommt man allerdings nur bei Siegerehrungen im TV, als Teil der jeweiligen Meistermannschaft oder als einer der beiden Stanley-Cup-Treuhänder zu sehen.

Trotzdem ist der Presentation Cup auch ohne Kraftakt zu enttarnen. Der markanteste Unterschied zwischen Presentation und Permanent Cup ist die auf einem der fünf Ringe eingravierte Namensliste der Edmonton Oilers von 1984. Peter Pocklington, einer der damaligen Besitzer des Teams, ließ seinen Vater Basil ungerechtfertigterweise ebenfalls auf dem Cup verewigen. Weil Pocklington senior aber kein Teil der Meistermannschaft war, wurde sein Name später mit einer Reihe des Buchstaben „X“ überschrieben. Auf den Ringen der Kopie ist er hingegen nicht zu finden.

Siegerehrung der St. Louis Blues im Stanley Cup im Vorjahr
AP/Jeff Roberson
Der Presentation Cup war heuer auch bei der Saisoneröffnung des amtierenden Meisters St. Louis Blues mit von der Partie

Dafür wurden fast alle anderen Namen und Fehler eins zu eins übernommen. So ist der Name des kürzlich verstorbenen Rekordsiegers Henri Richard, der elfmal auf dem Stanley Cup verewigt wurde, ebenso auf beiden aktuellen Versionen zu finden, wie alle 15 Frauen, die als Funktionäre an Meisterschaften beteiligt waren. Auch die falsch eingravierten Meister von 1972 und 1981 – Bqstqn Bruins, statt Boston Bruins bzw. New York Ilanders statt Islanders – sind auf beiden Pokalen zu finden.

Parallele zu 1919

Selbst die abgesagte Saison 2004/05, bei der die Teambesitzer die Spieler aufgrund des Streits über einen neuen Kollektivvertrag aus dem Betrieb aussperrten, ist mit dem Zusatz „Season not played“ verewigt. Im Zuge des „Lock-outs“, dem erstmals in der Geschichte des nordamerikanischen Sports eine komplette Saison zum Opfer fiel, wurde erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Stanley Cup nicht an einen Sieger überreicht.

Davor blieb der Pokal nur 1919 in der Vitrine, als der Cup noch zwischen den Montreal Canadiens als Meister der NHL und den Seattle Metropolitans als Champion der Pacific Coast Hockey Association (PCHA) ausgespielt werden sollte. Vor dem entscheidenden Spiel der Finalserie wurde die Meisterschaft aufgrund einer erschreckenden Parallele zu heute jedoch abgebrochen. So wie heute das Coronavirus wütete damals die Spanische Grippe. Nachdem mehrere Finalisten erkrankt waren, brachen die Organisatoren die Serie ab.

Das nicht zu Ende gespielte Finale wurde ebenfalls auf einem Ring des Stanley Cups mit dem Hinweis „Series not completed“ verewigt. Diese Gravur kann man aber weder auf dem Presentation noch auf dem Replica Cup finden. Denn die vollen Namensringe inklusive der Saison 1953 wurden längst durch neue ersetzt und werden beim Original-Pokal im Safe verwahrt. Angesichts der aktuellen Pandemie könnte heuer ein weiterer „leerer“ Eintrag auf dem Stanley Cup hinzukommen.