Radfahrer Patrick Konrad
Bettiniphoto/Luca Bettini
Tour de France

Verzicht ist für Konrad keine Option

Nach Absage des Giro d’Italia und der Olympischen Spiele ist für den österreichischen Topfahrer Patrick Konrad die Tour de France das neue Saisonziel – trotz aktuell prekärer Coronavirus-Situation. Im vergangenen Jahr waren seine Hoffnungen auf einen Tour-Spitzenplatz nach Stürzen in der ersten Woche und in der Folge Rückenproblemen spätestens in den Bergen der Pyrenäen geplatzt. Am 27. Juni würde Konrad in Nizza zum insgesamt dritten Mal für das Bora-Team in die Frankreich-Rundfahrt starten.

Ob die 107. Auflage der Tour de France wie geplant und in diesem Jahr überhaupt in Szene geht, ist derzeit aber noch ungewiss. Die Hoffnung darauf hat Konrad ebenso nicht verloren wie seine Motivation. „Wenn mir die Möglichkeit geboten wird, würde ich die Tour auf jeden Fall fahren“, sagte der 28-jährige Niederösterreicher. Im ORF.at-Interview sprach Konrad auch über die Fans, Schutzmaßnahmen und den ganz besonderen Reiz der Tour trotz der aktuellen Ausnahmesituation.

ORF.at: Patrick Konrad, wie ist es derzeit, angesichts fehlender Rennen, um ihre Motivation bestellt?

Patrick Konrad: Wenn die Tour stattfindet, was ich glaube, weil es konkrete Pläne gibt, sie stattfinden zu lassen, hätten wir wieder ein Ziel. Das wäre eine Riesenmotivation. Schwierig wäre es nur, wenn wir gar keine Ziele mehr hätten. Die Tour ist erst Ende Juni, Juli. Bis dahin könnte sich alles wieder ein bisschen beruhigt haben. Vielleicht wird die Tour auch nach hinten verschoben, weil durch die Olympiaabsage ein Polster von ein paar Wochen frei geworden ist. Die Tour de France, das größte Radrennen der Welt, die Möglichkeit dort zu starten, würde uns Fahrer wieder voll motivieren.

Radfahrer Patrick Konrad
APA/AFP/Anne-Christine Poujoulat
Das einzige Zeitfahren der Tour 2020 müsste am vorletzten Tag (18. Juli) bestreiten

ORF.at: Ist Coronavirus-Schutz im Peloton ein Thema?

Konrad: Wir im Team haben natürlich auch Vorgaben, wir geben uns nicht die Hände. Das machen wir generell nicht und jetzt schon gar nicht, um Ansteckungen zu verhindern. Weitere Schutzmaßnahmen hat man schon bei Paris – Nizza gesehen. Es gibt kein Einschreiben mehr vor dem Start, keinen direkten Kontakt zu den Fans oder zumindest mehr räumliche Distanz.

Vor den Bussen gibt es Absperrgitter, damit nicht mehr jeder direkt hingehen kann. Es gibt einen Korridor von 50 bis 100 Meter zu den Fans. Trinkflaschen, die wir sonst verschenken, dürfen wir nicht mehr weitergeben. Der Zielbereich ist für Zuschauer abgesperrt, damit man ungehindert zu den Teamfahrzeugen kommt. Im Rennen unter den Fahrern ist der Schutz aber schwierig, irgendeiner rotzt immer. Das kann passieren.

ORF.at: Das Anti-Doping-Programm könnte runtergefahren werden. Was würde das für die Tour bedeuten?

Konrad: Davon habe ich noch nichts gehört. Wenn das tatsächlich so wäre, würde ich das für den gesamten Sport als kritisch erachten, nicht nur für den Radsport.

ORF.at: Würden Sie in Frankreich heuer starten wollen?

Konrad: Wenn mir die Möglichkeit geboten wird, werde ich auf jeden Fall fahren. Im Moment bereitet sich das ganze Team auf die Tour vor. UCI und ASO werden alles tun, damit sie im Rennkalender verankert wird und heuer stattfinden kann. Die Saison wird vermutlich bis Mitte November hinein verzögert. Am Ende des Tages werden aber die französischen Behörden entscheiden, ob oder unter welchen Umständen die Tour stattfindet.

Radfahrer Patrick Konrad
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Das Bora-Team mit Konrad und Peter Sagan im Grünen Trikot bei der Tour de France

ORF.at: Was ist der besondere Reiz der Tour trotz der prekären Umstände?

Konrad: Wenn du als junger Bub so wie ich damals vom Radsport erstmals was mitkriegst, dann ist es die Tour. Über die Tour habe ich den Sport überhaupt erst kennengelernt, begann ich mit dem Radfahren. Bei der Tour wollte ich am Start stehen, sie ist besonders. Präsent sind auch andere Rennen, aber die Tour ist wegen ihrer langen Tradition in der Gesellschaft und in den Köpfen der Leute einfach so stark verankert, dass man auch als Teilnehmer ganz anders wahrgenommen wird als vergleichsweise bei einer Vuelta (Spanien-Rundfahrt, Anm.).

ORF.at: Obwohl die Vuelta zumeist anspruchsvoller ist.

Konrad: Sie ist vom Profil und den Höhenmetern her sogar schwerer als jedes andere Radrennen, auch schwerer als der Giro (Italien-Rundfahrt, Anm.), der brutal hart ist. Allerdings ist die Vuelta vom Fahrerfeld her keinesfalls gleich stark besetzt wie die Tour. Ihr Mythos und ihr Stellenwert im Radsport überstrahlt alles. Für andere Rennen ist es verdammt schwer, mit ihr mitzuhalten oder gleichzuziehen. Obwohl Giro und Vuelta aus sportlicher Sicht nicht mehr in ihrem Schatten stehen.

ORF.at: Welche Rolle spielen Zuschauer für Sie grundsätzlich?

Konrad: Die Zuschauer sind im Radsport natürlich essenziell und wichtig, sie machen unseren Sport aus. Die Fans stehen überall auf den legendären Anstiegen, die wir hochknallen. Sie sind auf Tuchfühlung mit den Superstars, hautnah. Der Radsport ist quasi ein Sport zum Anfassen, kein Fußballfan wird jemals die Möglichkeit haben, direkt neben dem Tor zu stehen, wenn einer der Superstars trifft.

Im Radsport ist der Kontakt normalerweise intensiv, schon wenn wir aus den Bussen kommen und zum Start rollen. Das schätzen auch wir Radsportler, obwohl wir im Rennen auf Abstand bedacht sind, weil es oft chaotisch zugeht und durch Fans schon viele Stürze verursacht worden sind. Trotzdem ist es ein Gänsehauterlebnis, berühmte Berge wie Tourmalet, Col d’Aspin, Alpe d’Huez bei so einer Stimmung hinauf zu fahren. Das vergisst man als Sportler nicht.

ORF.at: Spricht nicht gerade der enge Fankontakt auf den Bergen aktuell gegen die Tour?

Konrad: Dann müssen sie eben auch die Berge sperren. In anderen Sportarten diskutiert man auch über „Geisterspiele“ ohne Zuschauer. Schon bei Paris – Nizza war es für Zuschauer, wie gesagt, quasi nicht mehr möglich, zum Startbereich, zu den Bussen und ins Zielgelände zu gehen.

ORF.at: Würde der Mythos unter einer abgespeckten Version leiden?

Konrad: Nein, selbst über eine verkürzte Version würden sich viele Fans freuen, sei es nur vor dem Fernseher, weil es nach einer langen Durststrecke ohne Rennen im Sommer endlich wieder mit dem Radsport losgehen würde. Außerdem wäre sie extrem gut besetzt, weil der Giro davor nicht stattfand und danach keine Olympischen Spiele sind.

Die Tour wäre diesmal ein Riesenspektakel, selbst wenn sie nur eine Woche dauern würde. Schon bei Paris – Nizza sind allein wir vom Bora-Team mit fünf Kapitänen am Start gestanden und bis auf die letzten beiden Tage immer auf dem Podest. Der Mythos würde unter einer abgespeckten Tour ganz bestimmt nicht leiden, da mache ich mir keine Sorgen.

ORF.at: Welche Folgen hätte eine Absage ihrer Meinung nach?

Konrad: Für einen kurzen Moment wären die Leute draußen vielleicht enttäuscht. Aber bis dahin ist es noch sehr sehr weit, wir werden sehen, wie sich die Lage entwickelt. Ich selbst kann keine Prognosen abgeben. Wenn die Tour in diesem Jahr aber tatsächlich abgesagt werden sollte, werden sich die Menschen nächstes Jahr umso mehr darauf freuen. Die Tour wird aus einer einjährigen Pause noch stärker zurückkommen, als sie davor war.

ORF.at: Wie würden Sie gegebenenfalls die restliche Saison verbringen?

Konrad: Ich würde einfach weiter trainieren und mich auf das nächste Rennen vorbereiten in der Hoffnung, dass es irgendwann vielleicht stattfindet.