Marathonläufer bei den olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau
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Olympia

Moskau 1980 als Zerreißprobe

Die Olympischen Spiele in Tokio können wegen der Coronavirus-Pandemie nicht termingerecht ausgetragen werden, sie sollen 2021 nachgetragen werden. Es ist das vierte Mal, dass Olympia nicht wie geplant stattfindet: Die Sommerspiele 1916 entfielen wegen des Ersten Weltkriegs, die Sommer- und Winterspiele von 1940 und 1944 wegen des Zweiten Weltkriegs. Zuletzt stand Olympia vor 40 Jahren vor einer richtigen Zerreißprobe: 1980 wurden die Sommerspiele endgültig zum Spielball der Politik.

66 Staaten hatten 1980 die Sommerspiele in Moskau boykottiert. Einzelne Länder waren zwar schon zuvor manchmal der Großveranstaltung ferngeblieben. So auch schon vier Jahre zuvor: In Montreal 1976 verlangten afrikanische Staaten den Ausschluss Neuseelands, weil dessen Rugby-Team mehrfach in dem vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ausgeschlossenen Apartheidsland Südafrika spielte. Das IOC widerstand dem Druck, und 28 afrikanische Länder boykottierten die Spiele.

1980 wurden die Olympischen Spiele dann endgültig wieder zum Politikum. Angeführt von den USA blieben mehr als 60 Länder Moskau fern. Der Kalte Krieg zwischen der damaligen Sowjetunion unter Staatschef Leonid Breschnew und den USA unter Präsident Jimmy Carter wurde als „Stellvertreterkrieg“ auf die sportpolitische Bühne verlagert.

Plakat von Leonid Breschnew auf Hausfassade
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Moskau stand 1980 ganz im Zeichen der Olympischen Spiele

Große Pläne

Dabei hatte man sich in Moskau, nachdem die Stadt am 23. Oktober 1974 im Wiener Rathaussaal als erstes sozialistisches Land den Zuschlag erhalten hatte (mit Los Angeles als einzigem Gegenkandidaten), viel erwartet. Erstmals in der Olympiageschichte standen über 200 (203) Wettkämpfe auf dem Programm, Damen-Hockey feierte seine Olympiapremiere, der 50-km-Bewerb der Herren im Gehen sein Comeback. Das Maskottchen „Mischa“ hatte weltweiten Bekanntheitsgrad erlangt und sorgte für Einnahmen.

Moaskottchen der olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
Maskottchen „Mischa“ war weltweit beliebt

Doch dann kam alles anders. Grund für den Boykott war der sowjetische Einmarsch in Afghanistan ein Jahr zuvor. Nachdem die Winterspiele in Lake Placid absolviert waren, begannen die USA einen Boykott Moskaus zu forcieren. Das IOC wies die US-Forderung nach Verlegung des Austragungsortes allerdings zurück.

Am 12. April 1980 beschloss das Nationale Olympische Komitee (NOK) der USA auf immensen Druck von Präsident Carter den Olympiaboykott. Am 15. Mai schloss sich das deutsche NOK an, nachdem sich der Bundestag für ein Fernbleiben ausgesprochen hatte. Auch u. a. Japan, Kanada und die europäischen Staaten Albanien, Liechtenstein, Monaco und Norwegen schlossen sich an, ebenso die Türkei. Allerdings beteiligten sich 16 westliche Staaten nicht am Boykott, dazu gehörten Großbritannien, Italien, die Schweiz und Österreich. Die Zahl der Teilnehmerstaaten schrumpfte so auf 81.

Erfolgreiche Spiele für Österreich

Trotz der Absagen fielen 34 Weltrekorde. Für Rot-Weiß-Rot verliefen die Spiele erfolgreich. Die Boykottspiele in Moskau bescherten Österreichs Equipe mit viermal Edelmetall die beste Medaillenbilanz seit London 1948: Die Gesamtzahl von vier Medaillen gab es zwar auch schon in Mexiko 1968, doch die damals 23-jährige Elisabeth „Sissy“ Theurer sorgte für das erste Gold seit 20 Jahren. Auf Mon Cherie holte sie sich den Olympiasieg im Dressurreiten.

Dressurreiterin Elisabeth Max-Theurer in Moskau 1980
Elisabeth Theurer holte die bisher einzige rot-weiß-rote Goldmedaille im Reitsport

Der Finn-Dinghi-Segler Wolfgang Mayrhofer gewann Silber. Silber errang auch sein Kollege Hubert Raudaschl, der bereits zum sechsten Mal dabei war, mit Karl Ferstl im Starboot. Bronze gab es zudem für den Schützen Gerhard Petritsch. International räumten die Gastgeber und die DDR ab. Die UdSSR holte 80-mal Gold, 69-mal Silber und 46-mal Bronze, die DDR 47-mal Gold, 37-mal Silber und 42-mal Bronze; gemeinsam holten sie mehr als die Hälfte der Medaillen.

Retourkutsche folgt 1984

Und obwohl der Boykott politisch nichts bewirkt hatte und nur die Sportler als Verlierer zurückließ, sollten sich vier Jahre später die politischen Spielchen wiederholen, diesmal unter umgekehrten Vorzeichen. Am 8. Mai 1984 beschloss dieses Mal das NOK der UdSSR auf Befehl des Kremls, den Spielen von Los Angeles fernzubleiben: mit der offiziellen Begründung der mangelnden Sicherheit für ihre Athleten.

Die Sportler folgten, wenn auch widerwillig. Durch den Revancheboykott stand Olympia am Rande des Abgrunds. Umso erstaunlicher, dass 1988 in Seoul die olympische Welt fast wieder vereint war. Lediglich Nordkorea und sechs weitere Länder wie der Pjöngjang-Sympathisant Kuba blieben fern. Die eigentliche Wiedervereinigung wurde 1992 in Barcelona gefeiert.