Archivaufnahme von Fritz Pollard mit Ball
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Football

Fritz Pollard: Der lange unbedankte Pionier

Am 20. August feiert die National Football League (NFL) zum 100. Mal Geburtstag. Die erste Saison der NFL 1920 war nicht nur von einem konfusen Spielplan geprägt, sondern auch von Fritz Pollard. Zu einer Zeit, als die Diskriminierung von Afro-Amerikanern in Teilen des Landes gesetzlich festgeschrieben war, drückte der Mann aus Chicago der Liga als Pionier seinen Stempel auf.

Wenn am 10. September trotz der aktuellen Coronavirus-Pandemie wie geplant der Startschuss zur 101. NFL-Saison erfolgen soll, werden bei den Teams nicht nur afroamerikanische Spieler in den Kadern dominieren. Auch die Posten als Cheftrainer und General Manager sind schon seit Längerem nicht nur Menschen mit heller Hautfarbe vorbehalten. Der Weg zur Normalität in der NFL war jedoch lang. Erst 1962 verpflichtete George Preston Marshall, der Besitzer der Washington Redskins, als Letzter einen afroamerikanischen Spieler.

Marshall, dem die Bezeichnung „größter Rassist der NFL“ anhaftete, gab allerdings erst auf Druck des damaligen Justizministers Robert F. Kennedy nach. Der Bruder des 35. Präsidenten John F. Kennedy hatte Marshall damit gedroht, ihn aus dem mit öffentlichen Geldern finanzierten neuen D.C. Stadium zu werfen, sollte er sich der Integration weiter widersetzen. Detail am Rande: Das Stadion in der US-Hauptstadt wurde später nach dem 1968 ebenfalls ermordeten jüngeren Kennedy benannt.

Archivaufnahme einer Spielszene zwischen den Detroit lions und den Boston Yanks aus dem Jahr 1945
Picturedesk.com/FOX/AP
Bis 1946 waren Auftritte in der NFL weißen Spielern vorbehalten – wie hier zwischen Detroit und Boston im November 1945

Superstar der Eliteuniversität

Das Ende der Ausgrenzung 1962 wurde von der NFL als Abschluss eines Modernisierungsprozesses gefeiert, der 1946 mit dem ersten Profivertrag von Kenny Washington bei den Los Angeles Rams begonnen hatte. Dabei war der Runningback höchstens der erste schwarze Profi der „modernen“ NFL. Denn die ersten beiden Afroamerikaner, die in der heute umsatzstärksten Liga der Welt Geld verdienten, waren Bobby Marshall und eben Frederick Douglass Pollard, der aufgrund seiner Kindheit in einem vornehmlich von deutschen Einwanderern bevölkerten Stadtteil Chicagos zeitlebens Fritz gerufen wurde.

Benannt war der Sohn eines Friseurs nach Frederick Douglass, einem ehemaligen Sklaven und berühmten Kämpfer für Gleichberechtigung. Und wie Douglass machte sich Pollard entgegen aller Widerstände und Diskriminierungen früh einen Namen. Dank seiner herausragenden Leistungen auf dem Football-Feld erhielt er als einer von wenigen Afroamerikanern ein Stipendium an der renommierten Brown University und führte die Mannschaft der Ivy-League-Institution 1916 auch in die Rose Bowl, das inoffizielle College-Finale.

Auch wenn Pollard mit Brown die Rose Bowl verlor, als erster dunkelhäutiger Teilnehmer am prestigeträchtigen Endspiel hatte er längst Geschichte geschrieben. Der nächste berufliche Schritt des mit 1,75 Metern für einen Football-Spieler kleinen Runningbacks sollte eigentlich Zahnarzt sein, doch die Akron Pros, ein Gründungsmitglied der neuen American Professional Football Association, der späteren NFL, klopften an. „Sie haben mir ein sehr gutes Angebot gemacht, also habe ich damit angefangen, professionell Football zu spielen“, sagte Pollard später.

Erster Meister und Trainer

Die für damalige Verhältnisse unglaubliche Summe von 1.500 Dollar pro Spiel soll Pollard erhalten haben. In einer Zeit, wo rassistisch motivierte Morde an Afroamerikanern an der traurigen Tagesordnung standen, war der ehemalige College-Star auch vom Verdienst her ein Superstar. „Er war so außergewöhnlich, dass man ihm die Möglichkeit, auf dem höchsten Level zu spielen, nicht verwehren konnte“, sagte Damion Thomas, vom Museum of African American History in Washington in einer NFL-Dokumentation.

Pollard stach nicht nur auf dem Mannschaftsfoto der Pros, sondern auch auf dem Feld heraus. Der damals 26-Jährige blieb als Führungsspieler mit Akron in der ersten – ohne offiziellen Spielplan noch recht konfusen – NFL-Saison mit acht Siegen und drei Remis ungeschlagen. In der nächsten Ligasitzung nach Saisonende wurde Akron aufgrund der Bilanz zum ersten Champion der neuen Liga gekürt.

Enkel von Fritz Pollard neben seiner Büste
Reuters
Erst 2005 durfte Steven Towns, ein Enkel des NFL-Vorreiters, Fritz Pollards Büste in der Hall of Fame enthüllen

In der folgenden Saison schrieb Pollard ein weiteres Stück Geschichte. Der Starspieler wurde zum Spielertrainer der Pros bestimmt und war damit der erste Afroamerikaner, der in der NFL den Posten des Head-Coachs bekleidete. Für Pollard erfüllte sich damit ein Traum. „Ich wollte die Ehre, der erste schwarze Trainer zu sein, mehr als alles andere auf der Welt“, sagte der Vorreiter in einem späteren Interview. Bis 1926 war Pollard – teilweise bei mehreren Clubs gleichzeitig – im Trainergeschäft, ehe u. a. die Weltwirschaftskrise 1927 vielen Vereinen den Garaus machte.

Rassismus an der Tagesordnung

Pollard wurde letztlich aber vor allem wegen seiner Hautfarbe in den Hintergrund gedrängt. Schon als College-Spieler hatte er trotz aller sportlichen Höchstleistungen mit Schikanen zu kämpfen. Vor dem Rose-Bowl-Spiel wurde Pollard zunächst ein Platz im Mannschaftshotel verweigert. Später als Profi wurde der Star des Teams gebeten, nicht zu früh ins Stadion zu kommen, um Aufregung zu vermeiden. Am College sei er mit „Flaschen und Steinen begrüßt worden“, meinte Pollard später. Schmähungen von den Rängen sowie Beleidigungen und unfaire Attacken seiner weißen Gegenspieler standen an der Tagesordnung.

„Ich habe sie einfach angegrinst, denn ich wollte mich nicht provozieren lassen und gegen sie kämpfen“, erinnerte sich Pollard später auf NFL Films, „ich habe sie einfach angeschaut, gelächelt, und eine Minute später war ich nach einem 80-Yard-Lauf in der Endzone.“ Selbst Jim Thorpe, neben Pollard der erste Superstar und aus PR-Gründen erste Präsident der Liga, hielt sich mit rassistischen Beleidigungen nicht zurück. Und das, obwohl er wie Pollard eine indianische Mutter hatte und daher selbst immer wieder Zielscheibe von Diskriminierungen war.

Vergessener Erfolgsmensch

Pollard ließ sich von allen Widerständen zumindest nicht stoppen. Der afroamerikanische Vorreiter sorgte als Teamgründer „schwarzer“ Clubs, wie den Chicago Black Hawks und den Brown Bombers in New York, für Furore. Nach dem finanziell bedingten Ende der Teams in der „Great Depression“ war Pollard als Musikproduzent und Herausgeber diverser Magazine erfolgreich. Der NFL-Vorreiter musste aber auch ansehen, wie die Rassisten in der NFL die Oberhand gewannen. Von 1934 bis 1945 waren Afroamerikaner von der Liga ausgeschlossen. Der nächste schwarze Cheftrainer war Art Shell bei den Los Angeles Raiders im Jahre 1989.

Archivaufnahme von Oakland-Raiders-Coach Art Shell
APA/AFP/Getty Images/David Paul Morris
63 Jahre nach Pollard wurde mit Shell – hier bei seiner zweiten Amtszeit bei den Raiders – wieder ein Afroamerikaner NFL-Head-Coach

Der Name Fritz Pollard war zu diesem Zeitpunkt bereits ins Vergessen geraten. Shell wurde als erster schwarzer Head-Coach der Ligageschiche gefeiert – und sogar der Gewürdigte selbst hatte von seinem Vorgänger lange Zeit keine Ahnung. Erst bei einem Besuch als Aktiver in der Hall of Fame in Canton im US-Bundesstaat Ohio war dem 73-Jährigen eine Plakette mit Pollards Namen aufgefallen. „Ich und meine Teamkollegen haben es gar nicht gewusst“, sagte Shell.

Späte Würdigung

2005 wurde dem am 11. Mai 1986 im hohen Alter von 92 Jahren verstorbenen Pionier aber dennoch die entsprechende Ehrung zuteil. Pollard wurde in die Hall of Fame aufgenommen. Trotzdem taten sich die Verantwortlichen auch danach immer schwer, den ersten schwarzen NFL-Trainer richtig einzuordnen. Warren Moon wurde ein Jahr später als vermeintlich erster schwarzer Quarterback zum Hall of Famer, obwohl auch Pollard diese Position neben Runningback gespielt hatte. Auch Tony Dungy, der erste Afroamerikaner, der als Head-Coach ein Team (Indianapolis 2007, Anm.) zum Gewinn der Super Bowl führte, wurde als vermeintlich erster schwarzer Trainer in die Hall of Fame aufgenommen.

Wie sehr die überwiegend weißen NFL-Bosse damit kämpfen, überhaupt Coaches aus einer Minderheit auf den Chefposten zu setzen, zeigt die 2003 eingeführte Rooney-Rule. Denn die vom ehemaligen Besitzer der Pittsburgh Steelers Dan Rooney benannte Regel zwingt die NFL-Teams dazu, bei der Suche nach einem neuen Cheftrainer Personen einer ethnischen Minderheit zumindest zu interviewen.

Speziell afroamerikanische Trainer kann man aber auch 34 Jahre nach dem Tod von Fritz Pollard an einer Hand abzählen, obwohl die sich nach ihm benannte Fritz Pollard Alliance für Minderheiten in der umsatzstärksten Sportliga der Welt einsetzt. Von 32 Cheftrainern sind nur drei dunkelhäutig: Anthony Lynn (LA Chargers), Mike Tomlin (Pittsburgh Steelers) und Brian Flores (Miami Dolphins). Mehr waren es 2003 auch nicht.