Hannes Brandecker auf dem Smart-Rollentrainer
Hannes Brandecker
Radsport

Österreichs Profis satteln auf E-Sport um

Die Coronavirus-Pandemie hat den internationalen Radsport ausgerechnet vor den jährlichen Höhepunkten gestoppt. Die Räder stehen still. Selbst im Training nehmen zahlreiche Profis die Gefahren des Radfahrens auf der Straße nicht mehr in Kauf, auch wegen möglicher Stürze und drohender Spitalsaufenthalte. Um das Training zu Hause sprichwörtlich mit dem Nützlichen und also Wettkämpfen zu verbinden, wurde nun die eLiga aus der Taufe gehoben. Das Auftaktrennen am Samstag verlief vielversprechend.

Das Phänomen E-Sport weitet sich auf den Radsport aus – kein Wunder, wurden vom Internationalen Radsportverband (UCI) die Wettkämpfe in allen Disziplinen (Straße, Bahn, Mountainbike) bis 1. Juni ausgesetzt. Der Giro d’Italia im Mai wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, die Tour de France, die am 27. Juni in Nizza starten würde, steht genauso in Schwebe wie die traditionelle Österreich-Rundfahrt, die zeitgleich vom Stapel laufen würde.

Noch ehe die offizielle Strecke der Österreich-Tour 2020 präsentiert wurde, droht die Absage. Spätestens Ende April soll die Entscheidung fallen, in Sachen Tour der France soll bis höchstens 15. Mai zugewartet werden. Teams, Sponsoren und Organisatoren zittern. Für die im Vergleich zur World-Tour kleinen UCI-Continental-Teams in Österreich wie Vorarlberg-Santic, Felbermayr-Simplon und Tirol-KTM-Cycling wäre der Ausfall der Landesrundfahrt als Saisonhöhepunkt finanziell nur schwer verdaulich.

Direkter Vergleich auf der Rolle

Die eLiga bringt den Sponsoren vorerst wenig, den Sportlern aber Motivation beim Training auf der Rolle und zugleich die Möglichkeit, sich virtuell mit anderen Radfahrern zu messen. „eCycling league Austria“ nennt sich die Rennserie, die vom Österreichischen Radsportverband (ÖRV) als Ersatz für die Straßen-Bundesliga initiiert wurde. Die virtuellen Rennen mit Smart-Rollentrainern werden auf der Onlineplattform Zwift ausgetragen.

Zwei Fotos mit Hannes Brandecker und Daniel Eichinger auf dem Smart-Rollentrainer
Hannes Brandecker, Daniel Eichinger
Hannes Brandecker (l.) und Daniel Eichinger (r.) sind für die digitalen Rennen bereit

Bis 2. Mai sind wöchentlich insgesamt fünf virtuelle Rennen zwischen 40 und 60 Kilometern bei einer Dauer von bis zu eineinhalb Stunden vorgesehen. Die Bewerbe sind offen für alle Radsportbegeisterte, die sich nun direkt mit den Profis messen können. In die Ligaranglisten der diversen Kategorien kommen dagegen nur Sportler und Sportlerinnen mit einer gültigen ÖRV-Lizenz.

Zuflucht in der digitalen Welt

Die Anzeige von Herzfrequenz- und Wattleistungswerten ist dabei Pflicht. Der ÖRV ersuchte in einer Aussendung weiters um ehrliche Angaben der Teilnehmer bezüglich des eigenen Körpergewichts, weil es bei abweichenden Daten zu Verfälschungen der Leistungsparameter käme. Bei unrealistischen Werten behält sich der Radsportverband, wie er mitteilte, den Nachweis des tatsächlichen Körpergewichts vor.

Indoor-Training und -Rennen sollen den österreichischen Radsport in Schwung und Form halten – Motto: Weg von der Straße in eine digitale Welt, die vor dem Coronavirus derzeit am besten schützt. „Zum Radsport mit seiner Emotion und Faszination gibt es natürlich keine echten Alternativen. Aber die neue eCycling-Radliga soll helfen, diese schwierige Zeit zu überbrücken“, sagte ÖRV-Präsident Harald Mayer. „Sie soll eine neue Herausforderung sein und zudem auch noch Spaß machen.“ Als Belohnung für die besten E-Radler gibt es Sachpreise der Verbandssponsoren.

ÖRV-Präsident Harald Mayer
GEPA/Juergen Berlesreiter
ÖRV-Präsident Harald Mayer hofft auf Ansporn und Spaß für Profis und Hobbyradfahrer

Begeisterung bei den Siegern

Gleich das Auftaktrennen der Serie am Samstag wurde zum großen Erfolg. Die Herren-Wertung ging an Felix Ritzinger (WSA KTM Graz), bei den Frauen gewann Katharina Machner (La Musette Radunion). Mehr als 100 Athleten hatten sich angemeldet, 79 kamen ins Ziel – darunter auch ÖRV-Vizepräsident Jürgen Brettschneider. „Ein tolles Format mit Zukunft, vor allem in der Wintersaison. Es war richtig cool, wenn man gemeinsam mit den Profis, Hobbyfahrern und Nachwuchsathleten unterwegs ist“, sagte Brettschneider.

Auftaktsieger Ritzinger benötigte für die virtuellen 42,3 Kilometer 52:13 Minuten, Siegerin Machner war knapp mehr als sechs Minuten langsamer. „Einen gewissen Hang zur Selbstgeißelung muss man auf der Rolle haben, aber es macht gemeinsam natürlich mehr Spaß, als allein im stillen Kämmerlein zu trainieren. Wir Radsportler sind in einer sehr glücklichen Lage, weil wir die Möglichkeit haben, virtuell Rennen zu bestreiten“, so Ritzinger.

Machner: „Es war super und eine wirklich coole Idee, die mit der E-Liga da umgesetzt wurde.“ Insgesamt hatten sogar mehr als 1.000 Athleten und Athletinnen an dem Rennen teilgenommen, darunter zahlreiche Profis aus der WorldTour. Dem Rennergebnis insgesamt wurde die Wertung für die heimische E-Liga entnommen, die eben Machner und Ritzinger vorne sah. Der zweite Bewerb hebt nächsten Samstag an.

„Echte Rennen nicht zu ersetzen“

Rene Haselbacher, wie auch ÖRV-Generalsekretär Rudolf Massak ein begeisterter E-Radfahrer, befürwortete das neue Format und outete sich als großer Fan, wiewohl es echte Rennen „nie ersetzen kann“. „Als Ersatzevent in der rennfreien Zeit finde ich das aber super“, sagte der frühere Gerolsteiner-Profi. Laut Haselbacher sei das Format unter den vielen Hobbyradlern schon jetzt riesig bei steigender Tendenz.

Lösung für die Österreich-Rundfahrt sei E-Radsport laut Haselbacher trotzdem keine, weil der Werbewert für die Sponsoren zu gering sei. „Damit könnten sie keine Geldgeber an der Leine halten.“ Haselbacher war bei der Premiere der österreichischen eLiga nicht am Start: Seinen Smart-Trainer hatte er dem Wiener Felbermayr-Profi Matthias Krizek zur Verfügung gestellt. Krizek kam nicht ins Ziel respektive in die Wertung.

Matthias Krizek
Privat
Krizek schaffte es trotz Haselbachers Hilfe beim Auftakt nicht in die Wertung

Reges Interesse der ÖRV-Teams

Als erste komplette Mannschaft hatte sich Hrinkow Advarics Cycleang offiziell für die eLiga formiert. Letztlich standen fünf der sechs ÖRV-Profiteams am Start des ersten Bewerbs. „Wir stecken den Kopf nicht in den Sand. Irgendwann wird es weitergehen, bis dahin finden wir Wege, um Rennen zu bestreiten. E-Sport ist ein ganz großes Ding und wird uns auch danach über die kalten Wintermonate begleiten“, sagte Ex-Profi Dominik Hrinkow, der mit Vater Alexander Hrinkow nun die Geschicke der Mannschaft lenkt – auch internationale E-Sport-Einsätze stehen auf dem Rennkalender.

„Trotz der schwierigen Situation zieht unser Team an einem Strang. Ich muss den Fahrern ein großes Lob aussprechen, die sich aktiv an der Erstellung des Rennkalenders eingebunden haben. Mit vollem Herzblut werden wir zwangsläufig bei diesen Rennen angreifen“, so Hrinkow. Für Konkurrenz ist gesorgt: Auch WSA-KTM-Graz, Vorarlberg-Santic, Felbermayr-Simplon und Cycling Team Sportland NÖ erhoben ihre Ansprüche auf den Gesamtsieg in der eLiga.

Formel 1 und Tour de Suisse

Dass E-Sport mehr als ein Notnagel in der rennfreien Zeit sein kann, demonstriert aktuell die Formel 1 mit der Esports Virtual Grand Prix Series. Nach dem Auftaktrennen in Bahrain ging am Sonntag in Australien der zweite virtuelle Grand Prix mit zahlreichen echten Piloten in Szene. Den Sieg nach 28 Runden im Albert Park holte Ferrari-Star Charles Leclerc aus Monaco vor dem dänischen Formel-2-Piloten Christian Lundgaard, der aus der Poleposition gestartet war. Dritter wurde der Brite George Russel vom Williams-Team.

Im Radsport setzt neben der Flandern-Rundfahrt, die am Sonntag der Belgier Greg van Avermaet gewann, auch die am Freitag endgültig abgesagte Tour de Suisse auf E-Sport. Von 22. bis 26. April werden die Digital Swiss 5 ausgetragen, eine Serie von Eintagesrennen, die in prominenter Besetzung teilweise auf dem für die Tour de Suisse geplanten Parcours stattfinden. Die Rennen auf der Plattform Rouvy dauern eine Stunde und werden im Schweizer Fernsehen live übertragen. Bewährt sich das Format, wird es eine digitale Tour de Suisse zum ursprünglichen Termin vom 7. bis 14. Juni geben.