Christian Pömer
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Radsport

Utopischer Plan mit Signalwirkung

Die Planungen des Weltradverbands (UCI) für einen Restart der Saison laufen auf vollen Touren. Aber noch ist der mögliche Rennkalender völlig zerfranst und in Schwebe. Wird die Tour de France am 29. August gestartet? Sogar vor Zuschauern? Der utopische Plan: Binnen drei Monaten soll eine komplette Radsaison mit allen großen Rundfahrten und Klassikern bis Ende November abgespult werden. „Zurück ins Leben, der Radsport wird Signalwirkung haben“, sagte der Österreicher Christian Pömer, sportlicher Leiter beim World-Tour-Team Bora.

Für die großen Profi-Equipes und deren Sponsoren gibt es nun sowas wie Hoffnung auf Rennen. Nach Paris – Nizza im März war die Saison wegen der Coronavirus-Pandemie abgebrochen worden. Das deutsche Bora-Team – Arbeitgeber der ÖRV-Profis Lukas Pöstlberger, Patrick Konrad, Felix Großschartner, Gregor Mühlberger und Patrick Gamper – hatte dort beeindruckt und mit Maximilian Schachmann zudem den Gesamtsieger gestellt. Seither stehen die Rennräder offiziell still. Die Vorbereitungen auf mögliche Renneinsätze liefen aber weiter. Gute Form und Durchhaltevermögen werden nötig sein, falls die UCI-Pläne bis in den Spätherbst umgesetzt werden.

Wohlwollend nahm Pömer (seit 2013 „Directeur sportif“ bei Bora, auch letztverantwortlich für Grand Tours, Anm.) das Vorhaben der UCI zur Kenntnis. „Fahren auf Sicht“ nannte der Ex-Profi gegenüber ORF.at den Hintergrund, vor dem die UCI gemeinsam mit den Rennveranstaltern die weitere Saison geplant habe. Pömer gab sich eher vorsichtig als optimistisch. „Eine Vielzahl der Rennen könnte im Herbst theoretisch durchgeführt werden. Durchaus möglich. Persönlich glaube ich aber, dass es schwierig wird“, sagte der 42-Jährige. „Von daher freue ich mich über jedes einzelne Rennen, das gefahren werden kann.“

Christian Pömer
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Maximilian Schachmann im Gelben Trikot bei Paris – Nizza, dem bisher letzten Rennen dieser Saison

Hoffnung auf Overkill

Pömer sprach mit Bezug auf den von der UCI gezeichneten Plan von einem „Best case“-Szenario. „Soll heißen, dass für jede Veranstaltung, die noch im Kalender wäre, ein passender Termin gefunden wurde und dazu die Möglichkeit, alle abgesagten Rennen noch unterzubringen.“ Nach der Tour stünden der Giro d’Italia und die Vuelta a Espana auf dem Programm.

Dazu sollen die fünf Monumente der Eintagsklassiker wie etwa Paris – Roubaix oder die Flandern-Rundfahrt und weitere namhafte Rennen bis Ende November ausgetragen und im UCI-Kalender unter einen Hut gebracht werden. Der Termin für die Straßen-WM in der Schweiz (20. bis 27. September) blieb unverändert. „Wir vom Bora-Team und alle, die mit Radsport ihr Geld verdienen, hoffen sogar auf diesen Overkill im Herbst“, sagte Pömer.

Den Overkill für Fans – wie befürchtet – werde es keinesfalls geben, vielmehr würde der Radsport ein Zeichen für Menschen in Zeiten der Coronavirus-Pandemie setzen. „Irgendwann wird es nötig sein, zu einer gewissen Normalität im Leben zurückzukehren und der breiten Bevölkerung zu zeigen, dass wieder normale Zeiten angebrochen sind. Radsport wird Signalwirkung haben. Dafür ist er besonders prädestiniert“, so Pömer. „Die Tour de France im Frühherbst könnte für alle als Zeichen dafür dienen, dass das Leben wieder losgeht.“ Ob die Tour, die rund 70 Prozent des Jahreswerbewerts der Teams ausmacht, so wie von der ASO (Tour-Veranstalter) geplant mit Publikum anheben wird oder hinter verschlossenen Türen, bleibt ungewiss.

Christian Pömer sieht eine Karte an
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Pömer (l.) mit Jay McCarthy beim Giro d’Italia 2019

Saisonabbruch nie Thema

Im Radsport keine Alternative ist laut Pömer ein Saisonabbruch – sei er gar nie gewesen, „weil niemand genau wusste und sagen konnte, wie sich die Krisensituation weiter entwickelt. Aus aktueller Sicht kann die Saison doch gefahren werden.“ Bora-Teamchef Ralph Denk sagte über die UCI-Planungen und die weiteren Rennperspektiven dieser Tage: „Wir als Team sind bereit, bis Weihnachten zu fahren. Viel hängt von der Austragung der Tour de France ab. Wenn wir dann noch die fünf Monumente reingeschoben bekämen, hätten wir nahezu alles gerettet. Damit könnten wir leben. Dann könnten wir am Jahresende sagen: Es ist fast alles gut.“

„Man muss bedenken, dass der Radsport ein Wirtschaftszweig ist“, sagte Pömer, „es hängt viel Industrie und der Tourismus dran, auch im Profizirkus selbst sind viele Existenzen damit verbunden. Würden wir den Radsport zusperren und die Saison frühzeitig beenden, würde es uns so ergehen wie einem Wirtshaus, das nicht mehr aufsperrt. Von daher war es von der UCI und den Veranstaltern richtig, dass sie auf Sicht gefahren sind. Aus heutiger Sicht hat es sich ausgezahlt, die Saison so lange wie möglich einzuplanen“, so Pömer. Die Folgen eines Saisonabbruchs seien wirtschaftlich nicht abzuschätzen gewesen.

Teambus
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Rennbesprechungen im Teambus wird es ob der Coronavirus-Sicherheitsmaßnahmen nicht geben

Gehälter voll ausgezahlt

Trotz der prekären Umstände stünde Bora finanziell derzeit noch gut da, niemand müsse sich Sorgen machen, sagte Pömer. „Sowohl von Teamleitung als auch von Hauptsponsoren wurde uns persönlich versichert, dass mit keinen größeren Einschränkungen zu rechnen ist, sofern die Tour wie geplant im Frühherbst gefahren wird.“ Ein Vorteil des Bora-Teams seien die ansprechenden Leistungen zu Beginn der Saison, die beim Werbewert und damit bei den Geldgebern positiv nachwirken. Im April konnten die vollen Gehälter überwiesen werden. Die Mannschaft sei nicht in ihrer Existenz gefährdet.

Teamchef Denk bestätigte: „Wir bewerten die Situation mit unseren Sponsoren in kurzen Abständen. Wir haben tolle Partner, die zu ihrem Engagement und Investment stehen.“ Pömer: „Obwohl wir seit sechs Wochen kein Rennen mehr bestritten haben, sind wir noch halbwegs auf Kurs und die Sponsoren zufrieden. Ich hoffe, dass es noch länger so bleibt und wir positiv nach vorne schauen können.“ Im Moment liege der Fokus noch auf sozialen Medien und E-Races, bei denen die Geldgeber durch Erfolge ins Licht gerückt werden sollen – wie derzeit bei den Digital Swiss 5, die von den Veranstaltern der Tour de Suisse organisiert wurden und als Basis für eine digitale Schweiz-Rundfahrt vom 7. bis 14. Juni dienen sollen.