100 Jahre nachdem die NFL in Canton im US-Bundesstaat Ohio gegründet worden war und 84 Jahre nachdem im Ritz-Carlton Hotel in Philadelphia der erste Draft über die Bühne gegangen war, fand die Auswahl der besten College-Talente aufgrund der Coronavirus-Pandemie nur virtuell statt. Statt auf der vorgesehenen großen Draft-Party in Las Vegas vor Tausenden Zuschauern verlas NFL-Commissioner Roger Goodell die Namen der ausgewählten Akteure im für den Anlass adaptierten Keller seines Hauses im Bundesstaat New York.
Als ersten Namen nannte Goodell wie erwartet jenen von Burrow, der als Quarterback die Louisiana State University (LSU) heuer im Jänner zum Gewinn der College-Meisterschaft geführt hatte. Der 23-Jährige ist der neue Hoffnungsträger der Cincinnati Bengals, die sich in der vergangenen Saison mit nur zwei Siegen bei 14 Niederlagen das Recht auf den ersten Pick „erspielt“ hatten. Vor 17 Jahren hatte das Team aus Ohio zuletzt das erste Auswahlrecht. Auch damals sicherten sich die Bengals mit Carson Palmer einen Spielmacher, der das Team in den folgenden Jahren wieder zu einer Gewinnermarke formte.
Rekordmann kehrt heim
Nicht nur die Hoffnungen auf eine ähnliche Trendumkehr bei den Bengals verbindet Burrow mit Palmer. Beide wurden auch mit der Heisman Trophy für den besten College-Spieler ausgezeichnet. Seine 1.846 Punkte Vorsprung in der Wahl auf Jalen Hurts (Oklahoma) waren der größte der Geschichte. Burrow wurde von 841 Wahlberechtigten auf Platz eins gesetzt. Zum Vergleich: Hurts fand sich nur auf 20 abgegebenen Wahlzetteln auf dem ersten Rang.
Apropos Heisman: Mit Burrow wurde nach Baker Mayfield (Cleveland 2018) und Kyler Murray (Arizona 2019) zum dritten Mal in Folge ein Quarterback und Heisman-Trophy-Sieger als Nummer eins im Draft gewählt. „Ich habe sehr hart dafür gearbeitet, dass ich es bis hierher schaffe“, sagte Burrows in einer ersten Reaktion. Für den 23-Jährigen ist Cincinnati eine Art Heimkehr. In Iowa geboren verbrachte Burrow einen großen Teil seiner Jugend in Ohio und startete dort auch an der Highschool seine Football-Karriere. Der neue Spielmacher der Bengals erhielt die frohe Botschaft auch in seinem Elternhaus in The Plains.
Spielmacher heiß begehrt
Auch sonst wurde die erste Runde vor allem von der Auswahl der Quarterbacks geprägt. Burrow war einer von drei Spielmachern unter den ersten sechs ausgewählten Spielern. Die Miami Dolphins entschieden sich als Nummer fünf für Tua Tagovailoa. Der Hawaiianer, dem ein herausragendes Talent bescheinigt wird, führte vor zwei Jahren Alabama mit einem furiosen Comeback zum Titel. Nach einer weiteren starken Saison galt der 22-Jährige als Kandidat auf die Nummer eins im Draft. Doch eine schwere Hüftverletzung und eine folgende Operation warfen Tagovailoa aus der Bahn. Die Dolphins gingen das Risiko trotzdem ein.
Nach Cincinnati und Miami sicherten sich auch die Los Angeles Chargers, die als sechstes Team an der Reihe waren, mit Justin Herbert ihren möglichen Spielmacher der Zukunft, nachdem das Team nach der vergangenen Saison Philip Rivers nach 16 Jahren hatte ziehen lassen. Ein Statement gaben auch die Green Bay Packers ab, die nach Tausch mit Miami auf Position 26 wählen durften und sich mit Jordan Love (Utah State) ebenfalls für einen Quarterback entschieden. Ein klares Signal, dass sich die Ära von Superstar Aaron Rodgers ihrem Ablaufdatum nähert. Zuletzt wählten die Packers 2005 in der ersten Runde mit dem 24. Pick einen Spielmacher aus. Sein Name: Aaron Rodgers.
Ohio State stellt Topverteidiger
Stichwort Ohio: Nach Burrow wurden wie erwartet zwei Verteidiger der renommierten Ohio State University vom Markt genommen. Die Washington Redskins sicherten sich mit dem zweiten Pick die Dienste von Defensive Chase Young, der für viele Experten als komplettester Spieler im Draft auserkoren wurde. Nach Young holten sich die Detroit Lions seinen Teamkollegen Jeff Okudah. Der Cornerback hatte im Vorfeld ebenfalls als Bank für eine Wahl unter den Top Fünf gegolten.
Die im Vorfeld hoch gehandelten Widereceiver gingen hingegen nicht in den Top Ten vom Tisch. Als erster Passempfänger wurde der pfeilschnelle Henry Ruggs III (Alabama) von den Las Vegas Raiders ausgewählt und kommt damit als erster Draftpick nach dem Umzug des Teams von Oakland nach Nevada in die Geschichtsbücher. Die Denver Broncos sicherten sich als 15. die Rechte an Jerry Jeudy (Alabama), der hoch eingeschätze CeeDee Lamb (Oklahoma) fiel zwei Plätze später den Dallas Cowboys in den Schoß.
LSU-Runningback schließt Kreis
Auf den ersten Runningback mussten Fans und Experten bis zum Schluss der ersten Runde warten. Titelverteidiger Kansas City Chiefs zog zum Abschluss des ersten von sieben Umläufen Clyde Edwards-Helaire an Land. Mit dem 21-Jährigen aus Baton Rouge im US-Bundesstaat Lousiana schloss sich im wahrsten Sinne des Wortes der Kreis der ersten Runde. Edwards-Helaire spielte an der Seite von Burrow für die LSU Tigers und steuerte im College-Finale auf dem Weg zum Titel gegen Clemson 110 Yards Raumgewinn im Laufspiel bei.
Der erste virtuelle Draft der NFL-Geschichte steht aber nicht nur aufgrund seiner Durchführung im Zeichen der Coronavirus-Krise. Gleichzeitig mit der Auswahl der Spieler werden im Rahmen des dreitägigen Drafts Spenden zur Unterstützung des Kampfes gegen die Ausbreitung der Pandemie gesammelt. Der „Draft-A-Thon“ soll Geld für das Rote Kreuz und Einrichtungen, die Menschen mit Essen versorgen, einbringen. Aktuelle und ehemalige NFL-Spieler warben während des Drafts für Spenden.