Extremsportler Christoph Strasser während eines Heimtrainings
Lex Karelly
Extremsport

RAAM-Sieger Strasser im Ausnahmezustand

Als Extremradsportler und sechsfacher Rekordgewinner des Race Across America (RAAM) ist Christoph Strasser in höchstem Maße an Entbehrungen und in gewisser Weise auch an soziale Isolation gewohnt – allerdings freiwillig und mit Ablaufdatum. In der Coronavirus-Krise betrat der 37-jährige Steirer wie jeder andere Neuland.

Die fehlenden Perspektiven und die Ungewissheit über die weiteren Entwicklungen und das Ende der persönlichen Einschränkungen im Zuge der Pandemie machten Strasser als Sportler und als Menschen zu schaffen. Im ORF.at-Interview sprach er über seine Erfahrungen in den vergangenen Wochen, über seinen Alltag, seine Gedanken und die Strategie, mit der er die Krise bis jetzt meisterte.

ORF.at: Christoph Strasser, wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt? War Ihnen als Extremradfahrer die soziale Isolation in gewisser Weise vertraut?

Christoph Strasser: Das Problem war ja nicht das vorübergehende Zu-Hause-Bleiben, sondern dass niemand weiß, wie lange dieser Zustand andauern wird, wann sich die Lage wieder entspannt und wie es nach der Krise weitergeht. Menschen verlieren Jobs, Aufträge gehen verloren, beruflich hart Erarbeitetes geht gerade den Bach hinunter, und wir können teilweise nicht oder nur kaum darauf reagieren.

ORF.at: Die Perspektive auf ein Ende hilft die Einschränkungen zu ertragen.

Strasser: Hätten wir ein Datum und die Gewissheit gehabt, dass sich ab einem bestimmten Zeitpunkt alles wieder normalisiert, wäre alles viel einfacher gewesen. Das ist der große Unterschied zum RAAM: Dort bin ich zwar auch in einer Ausnahmesituation, muss tagelang auf Schlaf und Komfort verzichten, begebe mich aber freiwillig in eine schmerzhafte Stresssituation und weiß, dass nach acht Tagen alles wieder vorbei ist, dass ich danach wieder in mein normales Leben zurückkehren kann und im Idealfall sogar etwas Schönes erreicht habe.

Christoph Strasser jubelt mit seinem Team nach dem Sieg des Race Across America (RAAM)
Lex Karelly
Mit seinem sechsten Sieg schwang sich Strasser im Vorjahr zum RAAM-Rekordgewinner auf

ORF.at: Mit welcher Strategie hantelten Sie sich durch die Coronavirus-Ausnahmesituation?

Strasser: Es war ganz wichtig, sich Ziele zu setzen. Und zwar nicht langfristige oder unrealistische, sondern kleine Ziele für die kommende Woche oder auch nur von Tag zu Tag. Das kann zum Beispiel eine Kleinigkeit sein, die man schon lange aufschiebt – ein Telefonat, das Lesen eines Buches, das Schreiben einer Nachricht. Für mich war und ist das Abspulen des Trainingsplans oberstes Ziel, da denke ich von einer Einheit zur nächsten und nicht an den nächsten Wettkampf. Außerdem habe ich mir zum Ziel gesetzt, einmal am Tag etwas Lustiges zu tun, damit ich das Lachen nicht verlerne.

ORF.at: Aber fällt es ohne Aussicht auf einen Wettkampf nicht schwer, sich zu motivieren? Noch dazu auf der Rolle in den eigenen vier Wänden?

Strasser: Meine Basis dafür ist eher, dass es mir Freude macht, an mir und meiner Fitness zu arbeiten, mich zu verbessern und mich gesund zu halten. Ich fahre ja nicht nur deswegen mit dem Fahrrad, um bei Wettkämpfen gut drauf zu sein und zu gewinnen, sondern weil es mir Spaß macht, ein Ziel zu verfolgen.

ORF.at: Ihre mentale Stärke und die Erfahrung mit Extremsituationen war in den vergangenen Wochen vermutlich ein großer Vorteil.

Strasser: Ich versuche mich generell, speziell im sportlichen Bereich, immer auf den schlimmsten möglichen Fall vorzubereiten. Konkret am Beispiel RAAM heißt das: Ich spiele alle Szenarien durch, die im schlechtesten Fall eintreten können, und überlege mir Lösungen dafür. Wie reagieren wir bei gesundheitlichen Problemen, bei einem Sturz, bei einer Autopanne, bei einer Hitzewelle? Wenn dann alles glattgeht, ist es umso schöner, aber wenn ich nur auf einen guten Rennverlauf hoffe und dann bei auftretenden Problemen überfordert bin, wäre das ziemlich naiv.

Genau nach diesem Motto bin ich auch jetzt nicht davon ausgegangen, dass die Krisensituation zu Ostern vorbei sein wird und sich danach alle Sportevents und das gesellschaftliche Leben schnell völlig normalisieren. Ich denke, das wird uns noch sehr lange beschäftigen. Zumindest stelle ich mich darauf ein – wäre also nicht enttäuscht, wenn es tatsächlich so eintrifft. Ich würde mich aber freuen, wenn ich unrecht habe.

Extremsportler Christoph Strasser während des RAAM
Lex Karelly
Soziale Abgeschiedenheit war für Strasser nichts Neues – neu hinzu kam die Ungewissheit über deren Ende

ORF.at: Was haben Sie aus dieser Krisensituation für sich gelernt, was nehmen Sie daraus mit?

Strasser: Mehr Dankbarkeit und Bescheidenheit. Die meisten nehmen es als selbstverständlich hin, dass es überall und jederzeit alles zu kaufen gibt, dass man spontan ans andere Ende der Welt fliegen und über offene Grenzen reisen kann, dass es ein üppiges Programm an Sport- und Kulturevents gibt. In der Krise merkten wir, dass all das keine Selbstverständlichkeiten sind und wir, sobald sich die Lage normalisiert, alles möglichst mehr schätzen sollten. Vielleicht wurde uns nur ein klein wenig bewusst, wie schnell sich Dinge ändern können. Dass wir in einem Luxus leben, der nicht selbstverständlich ist und nicht alltäglich sein muss.

ORF.at: Wie darf man sich Ihren Alltag in der Coronavirus-Akutphase vorstellen?

Strasser: Nicht besonders abwechslungsreich, ich trainierte bis zu fünf Stunden pro Tag auf dem Rennrad im Keller und nützte die restliche Zeit so produktiv wie möglich. Ich bereitete mich auf die Rennen so vor, als würden sie stattfinden. Der Vorteil der Absagen war, dass ich ohne Unterbrechung auf meinen Saisonhöhepunkt im September (24-Stunden-Weltrekordversuch in Colorado, Anm.) hintrainieren konnte. Die Chance, dass er stattfindet, ist derzeit allerdings äußerst gering, weil die Einreise in die USA schwierig werden dürfte. Alternativen in Österreich oder Europa gibt es nicht, weil wir auf dieser Seehöhe keine passende Strecke haben. Das Training dafür läuft aber weiter.

Extremsportler Christoph Strasser während eines Heimtrainings
Lex Karelly
In der Zeit der Akutmaßnahmen beschränkte sich Strasser auf Training in den eigenen vier Wänden

ORF.at: Haben Sie sich im Training wirklich an die Vorgaben gehalten und Ihre Ausfahrten im Freien eingeschränkt?

Strasser: Für mich war klar, dass ich vorübergehend ausschließlich auf der Rolle trainiere. Allerdings fiel mir die Umstellung nicht schwer, weil ich ja im Winter sowieso die meiste Zeit indoor trainiere, was auch Vorteile hat: Indoor-Training kann intensiver sein, dazu ist es im Winter draußen einfach zu kalt. Außerdem versuche ich immer, jedes Risiko zu minimieren, und vor allem wenn die Sonne im Winter tief steht, sind Autolenker oft geblendet und haben schlechte Sicht, abgesehen davon, dass es sehr früh dunkel wird. Ich bin mein ganzes Leben noch nie in der Nacht auf der Straße trainieren gewesen, das ist mir zu gefährlich.

Jetzt verlege ich mein Training natürlich wieder nach draußen, ausreichend Sonnenlicht und Bewegung an der frischen Luft sind nicht nur positiv für das Immunsystem, sondern auch für die Psyche. Das ist übrigens etwas, das ich im öffentlichen Diskurs vermisse: Es wird viel über die Krise berichtet, aber wenig darüber, was man zur Stärkung seiner Abwehrkräfte tun sollte. Mit dem Thema muss man sich selbst aktiv beschäftigen.

ORF.at: In der Krise argumentierten viele, dass der Straßenradsport wegen des geringen Verkehrs so sicher wie nie sei.

Strasser: Ich bin im Jänner ohne Fremdverschulden auf einem Radweg gestürzt und habe mir das Schlüsselbein gebrochen. Es kann also immer irgendwas passieren. Im Endeffekt ist jeder selbst für sein Tun verantwortlich, und ich finde es auch unangebracht, über andere zu schimpfen. Es sollte sich aber jeder die Frage stellen, ob er mit seinen Aktivitäten einen positiven Beitrag zur Situation leistet und geleistet hat. Auch als Zeichen der Solidarität gegenüber den Menschen, die auf vieles verzichten mussten, erschwerte Arbeitsbedingungen hatten.

ORF.at: Sie sind selbständiger Unternehmer, spüren auch Sie finanzielle Auswirkungen der Einschränkungen.

Strasser: Ich lebe vom aktiven Sport, der über Sponsoren finanziert wird, sowie von der Vermarktung über Vorträge und Veranstaltungen. Sporthilfe oder staatliche Förderungen bekomme ich nicht. Die Absagen trafen mich daher hart. Und noch ist nicht sicher, wann wieder Wettkämpfe durchgeführt werden und größere Events erlaubt sein werden. Manche Sponsorenverträge sind über Teilnahmen an Bewerben oder mit Erfolgsprämien gekoppelt. Mein Glück ist, dass ich in der Krise auch weniger Ausgaben habe, also sicher nicht so schlimm unter der Situation leide als andere Selbständige.

ORF.at: Hatten Sie Angst vor dem Virus?

Strasser: Um meine Gesundheit hatte und habe ich keine Angst, aber um die Gesundheit von Mitmenschen, die älter oder weniger fit sind als ich. Um ehrlich zu sein, macht mir die Vorstellung Angst, wie sich die Situation in ärmeren und überbevölkerten Ländern entwickeln könnte, wo es ein weniger gutes Gesundheitssystem als in Österreich gibt. Was passiert in Afrika noch?

Ich glaube, es wird sich in den nächsten Monaten einiges nachhaltig ändern und sicher nicht so werden wie vor der Coronavirus-Krise, vor allem wirtschaftlich. Aber das muss nicht heißen, dass es schlechter wird. Wenn man sich ansieht, wie sehr die Umwelt – seien es die verschmutzten Meere, der abgeholzte Regenwald, die Abgassituation – in den letzten Jahrzehnten geschädigt wurde, dann glaube ich nicht, dass es wünschenswert wäre, genauso weiterzuleben wie vor der Krise. Ich hoffe, dass sich nachhaltig etwas zum Positiven ändert.