Silhouette einer Tennisspielerin
Reuters/Susana Vera
Coronavirus

Krise als Chance für Welttennis

Es waren nur wenige Zeilen, die Roger Federer Mitte April auf Twitter verfasste. Doch sie schlugen in der Tenniswelt so hohe Wellen, dass sich inzwischen fast jede oder jeder Prominente auf der Tour dazu geäußert hat – zumal die von Federer angestoßene Idee einer Zusammenlegung von ATP und WTA auf Organisationsebene ein Dauerthema ist. Hinter den Kulissen wird heftig diskutiert.

„Bin ich der Einzige, der denkt, dass jetzt die Zeit wäre, dass sich das Männer- und das Frauentennis zusammenschließen?“, fragte der 38-jährige Schweizer, nachdem die Tour wegen der Coronavirus-Pandemie zum Erliegen gekommen war. „Es hätte wahrscheinlich schon viel früher passieren müssen, aber jetzt ist es wirklich an der Zeit. Dies sind schwere Zeiten in jedem Sport. Wir können mit zwei geschwächten Körpern oder einem gestärkten Körper zurückkehren.“

Der Vorschlag erntete zahlreiche zustimmende Reaktionen. „Ich stimme völlig zu“, ließ etwa die Nummer zwei der Welt, Rafael Nadal, auf Twitter wissen. „Du bist nicht der Einzige“, meinte ebendort Simona Halep, regierende Königin von Wimbledon. Für die zwölffache Grand-Slam-Siegerin Billie-Jean King sprach Federer aus, was sie schon lange fordere. „Ich stimme zu und habe das schon seit den frühen Siebzigerjahren gesagt. Eine Stimme, Damen und Herren zusammen, ist schon lange meine Vision für das Tennis. Lasst es uns wahr machen.“

Sieben Entscheidungsträger rittern um Macht und Geld

Die Situation ist allerdings kompliziert. Während Federer nur von zwei „Körpern“ spricht, gibt es in Wirklichkeit sieben Entscheidungsträger, die im Welttennis um Macht, Geld und Einfluss konkurrieren. Neben der Herren-Organisation ATP und dem weiblichen Pendant WTA gibt es noch den Weltverband ITF sowie die Organisatoren der vier Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York. „Wir haben es mit sieben Entscheidungsträgern zu tun, die alle ihre eigenen Interessen haben“, sagte Barbara Rittner, Damen-Chefin im Deutschen Tennisbund (DTB), der dpa. Das sorge „für zu viele Reibungsverluste“.

Tennisprofi Roger Federer
Reuters/Aly Song
Die von Federer im April geforderte Zusammenlegung von ATP und WTA erhielt viel Zuspruch

Es ist seit vielen Jahren ein Spezifikum des Tennis, dass anders als in anderen Sportarten der Weltverband nicht die Führungsrolle innehat. Zwar versuchte der umstrittene ITF-Präsident David Haggerty zuletzt, mit der Reform des Davis-Cups und des Fed Cups das Zepter wieder in die Hand zu bekommen, doch auf den alltäglichen Betrieb der derzeit wegen der Coronavirus-Krise noch mindestens bis Ende Juli pausierenden Tour hat der Weltverband kaum Einfluss.

ATP und WTA bestimmen weitgehend die Tenniswelt

„Wenn die ITF einen gescheiten Job machen würde, bräuchte keiner die ATP und die WTA“, sagte DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff unlängst. So aber seien es die beiden für das jeweilige Geschlecht zuständigen Organisationen, die die Tenniswelt weitgehend bestimmen. Wobei die ATP dort deutlich mehr Macht hat, auch weil es mit Federer, Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray seit Jahren ein Quartett auf absolutem Weltklasseniveau gibt, während an der Spitze des Damen-Tennis ein ständiger Wechsel stattfindet.

Doch in der Coronavirus-Krise haben alle die gleichen Probleme: keine Turniere, keine TV-Gelder, keine Sponsoreneinnahmen. Weshalb der von Federer gewählte Zeitpunkt in der Tat günstig erscheint, das Geflecht im Tennis etwas übersichtlicher zu gestalten. Zumal zwischen dem erst seit Anfang des Jahres fungierenden ATP-Boss Andrea Gaudenzi und WTA-Chef Steve Simon die Chemie zu stimmen scheint und bereits vor dem Vorstoß Federers erste Gespräche zu diesem Thema geführt worden waren.

„Ich denke, es hat allen Sinn der Welt“

„Ich habe keine Angst vor einem Zusammenschluss und hatte nie welche“, sagte der US-Amerikaner Simon vor Kurzem der „New York Times“. „Ich bin sicherlich der Erste, der das unterstützt. Denn ich denke, dann hat man das Geschäft und die Strategie wirklich aufeinander abgestimmt, und das müssen wir machen. Das ist natürlich ein langer und kurvenreicher Weg, aber ich denke, es hat allen Sinn der Welt“, so Simon.

Er betonte, es gehe ihm nicht darum, die WTA wegen der finanziellen Folgen der Coronavirus-Krise zu retten. Wenn es aber gelänge, aus wirtschaftlicher Sicht etwas Gutes zu tun und den Sport zusammenzuführen, dann „denke ich, würde die WTA das unterstützen“. Eine Fusion oder eine deutlich engere Zusammenarbeit müsse laut DTB-Damen-Chefin Rittner nicht automatisch dazu führen, dass Damen- und Herren-Touren komplett gleich werden.

„Wenn es bei den Herren Interesse an mehr höher dotierten Turnieren als bei den Damen gibt, dann ist das eben so. Aber eine gemeinsame Linie wäre für alle von Vorteil“, sagte Rittner, die auch Turnierdirektorin das neuen Rasenevents in Berlin ist, das wegen der Coronavirus-Pandemie seine Premiere statt 2020 nun erst 2021 feiern wird.