Der ehemalige San Francisco 49ers Spieler Colin Kaepernick.
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NFL

Rückenwind für Protestikone Kaepernick

Wer an Colin Kaepernick denkt, hat in der Regel einen Kniefall im Kopf. Doch die Ikone der Protestbewegung in der National Football League (NFL) ist auch als früherer Quarterback der San Francisco 49ers sportlich in Erinnerung geblieben. Nach über drei Jahren Pause scheint nun die Zeit für ein nicht mehr möglich gehaltenes Comeback gekommen zu sein. Mit US-Präsident Donald Trump gibt es sogar einen überraschenden Befürworter.

„Trotz des Kniefalls würde ich es begrüßen, wenn er noch eine Chance bekommt. Natürlich muss er noch gut sein. Wenn er nicht gut spielt, wäre es sehr unfair“, sagte ausgerechnet Trump, der den 32-Jährigen vor drei Jahren noch wüst beleidigt hatte, in einem Interview. Der Quarterback war 2016 der erste NFL-Spieler, der bei der Nationalhymne kniete, um gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und Rassismus zu demonstrieren. Das kostete ihn seinen Job in der größten und teuersten Sportliga der Welt. Nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt räumte nun auch die NFL Fehler ein, was wiederum Kaepernick aus sportlicher Sicht in die Karten spielen könnte.

Der Quarterback aus Milwaukee, Wisconsin, wird keineswegs als Elitespielmacher in die Geschichte der NFL eingehen, doch der 36. Pick des Drafts 2011 hat in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts durchaus für Aufsehen gesorgt. Am ganz großen Triumph schrammte er nur knapp vorbei, als die Super Bowl XLVII in New Orleans mit den 49ers gegen die Baltimore Ravens verloren ging. In dieser Zeit führte Kaepernick mit seinen schnellen Beinen die 49ers zumindest zweimal hintereinander ins Halbfinale. Eine Rückkehr in die NFL – wenn auch nicht als Schlüssel-, sondern als Ergänzungsspieler, scheint wieder möglich zu sein, auch dank des Sinneswandels der NFL.

Colin Kaepernick mmit den San Francisco 49ers beim SuperBowl 2013
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Kaepernick hat bereits sportlich überzeugt: 2013 zog der Quarterback mit den 49ers erst in der Super Bowl den Kürzeren

„Es wäre verrückt, ihn nicht auf der Liste für die Workouts stehen zu haben“, betonte zuletzt Anthony Lynn, Head-Coach der Los Angeles Chargers. Die Kalifornier haben mit Philip Rivers nach der vergangenen Saison ihren langjährigen Spielmacher abgegeben und mit Tyrod Taylor bzw. Justin Herbert jeweils einen routinierteren sowie einen jungen Quarterback im Kader. Das Interesse an Kaepernick ist da. „Ich bin sehr glücklich mit meinen Spielmachern, aber man kann nie genug Leute haben, die sich auf der Startbahn befinden“, ergänzte Lynn.

Prominente Fürsprecher Kaepernicks

Das Interesse des 51-Jährigen, der seine Worte stets mit Bedacht wählt, scheint keineswegs aufgesetzt zu sein. „Ich habe mit Colin noch nicht gesprochen, weiß nicht, was er vorhat, aber er passt definitiv in unser System, das wir spielen werden“, sagt Lynn, einer von nur drei afroamerikanischen Headcoaches – von 32. Kaepernick selbst bekräftigte seinen Wunsch auf ein Comeback in der Vergangenheit.

Zuletzt sprach sich auch NFL-Commissioner Roger Goodell für eine Verpflichtung Kaepernicks durch ein Team aus. „Wenn er seine Karriere in der NFL fortsetzen möchte, braucht es ein Team, das diese Entscheidung trifft. Aber ich begrüße das, unterstütze einen Club, der diese Entscheidung trifft, und ermutige ihn, das zu tun“, sagte Goodell.

Im Zuge der Rassismusdebatte hatte der 61-Jährige zuletzt Fehler eingeräumt. „Wir, die National Football League, verurteilen Rassismus und die systematische Unterdrückung schwarzer Menschen“, sagte Goodell. Der NFL-Boss gab in diesem Kontext auch zu, das Thema zu lange nicht ernst genommen zu haben: „Wir, die National Football League, geben zu, dass es falsch war, nicht schon früher auf die NFL-Spieler gehört zu haben, und ermutigen alle, sich zu äußern und friedlich zu protestieren. Wir, die National Football League, glauben, dass schwarze Leben wichtig sind“, sagte Goodell unlängst. In einer Liga mit rund 70 Prozent schwarzen Spielern eine relativ späte Einsicht.

Endgültiger Karrierebruch nach Kniefall

Noch ist kein Besuch bei einem Team eingeplant, doch Kaepernick darf sich berechtigte Hoffnungen machen, seine Karriere nach drei Jahren Pause fortsetzen zu können. Im März 2017 kam der endgültige Bruch, nachdem unter dem damaligen neuen Headcoach Kyle Shanahan die Aussichten auf Einsätze bei den 49ers gering waren. Die Formkurve hatte allerdings sowohl bei San Francisco als auch bei Kaepernick selbst die Saisonen davor nach unten gezeigt, zumal sich auch die Gegner auf das lauffreudige Spiel immer besser eingestellt hatten.

Auch wenn Kaepernick in dieser Phase schlagkräftige Argumente für eine Verpflichtung gefehlt haben, so wurden in dieser Zeit auch Spielmacher von anderen Teams als Back-ups geholt, deren Qualitäten von Experten unter jenen Kaepernicks angesiedelt worden waren. Im Februar 2019 einigten sich die Liga und Kaepernick außergerichtlich, nachdem der Spieler rechtliche Schritte wegen systematischer Ausgrenzung und entgangener Einnahmen eingeleitet hatte. Kaepernick avancierte zu einer Werbeikone von Sportartikelhersteller Nike, auch das rief nicht nur Bewunderung hervor.

San Francisco 49ers Spieler Eli Harold #58, Colin Kaepernick #7 und Eric Reid #35 knien bei der amerikanischen Nationalhymne.
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Kaepernicks Kniefall sorgte für Aufsehen und Nachahmer – doch er verlor dadurch auch seinen Platz in der NFL

Zuletzt veranstaltete Kaepernick im November des vergangenen Jahres ein privat organisiertes Workout in Atlanta, das ursprünglich von der NFL geplant worden war. Die Liga wollte das Training allerdings nicht öffentlich abhalten, woraufhin Kaepernick den Termin 30 Minuten vor Beginn abgesagt hatte und eine Stunde entfernt seine Fähigkeiten unter Beweis stellte, von einem eigens engagierten Kamerateam gefilmt und auf YouTube live gesendet. Das Feedback war positiv, dennoch wurde Kaepernick auch seither von keinem Team verpflichtet.

Das könnte sich im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung und des offenkundigen Sinneswandels bald tatsächlich ändern. Pete Carroll, Headcoach der Seattle Seahawks, die in den besten Jahren Kaepernicks als große Widersacher auftraten, sagte zuletzt, „dass wir ihm vieles schuldig sind“ und bereute, ihn 2017 nach einem Workout nicht verpflichtet zu haben. Nun scheint ein Comeback nicht nur wieder möglich, es scheint sogar durchaus realistisch.