Testfahrt von Daniel Ricciardo am Red Bull Ring in Spielberg.
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Formel 1

Spielberg sorgt für viele Premieren

Fast vier Monate Verspätung und Not- statt Rekordkalender: Wegen des Coronavirus beginnt die Formel-1-Weltmeisterschaft 2020 kommendes Wochenende in Spielberg unter ganz speziellen Umständen. Der Start in die 71. WM-Saison geht ohne Zuschauer über die Bühne und ist sporthistorisch, denn erstmals ist Österreich Schauplatz eines WM-Auftaktes.

Ungeachtet dessen geht Lewis Hamilton auf seinen siebenten Titel los. Der Mercedes-Pilot kann mit einem neuerlichen WM-Triumph die Rekordmarke von Michael Schumacher egalisieren. Während der Engländer trotz seiner bereits 35 Jahre aber wohl noch mehrere Chancen bekommt, kann der 22-jährige Niederländer Max Verstappen nur noch dieses Jahr jüngster Weltmeister werden und in dieser Hinsicht Sebastian Vettel ablösen. Der Deutsche startet in sein letztes Jahr mit Ferrari, wo Charles Leclerc längst der Pilot der Zukunft ist.

Nur acht Europarennen statt der ursprünglich geplanten 22 Saisonläufe weltweit sind vorläufig fixiert. Je nach Verlauf der Covid-19-Saison plant man zwar immer noch an die 15 Rennen, weil dann auch die TV-Gelder fällig sind. Fix ist aber nichts, und alleine aufgrund der vielen Unbekannten könnte es 2020 eine der spannendsten Weltmeisterschaften überhaupt geben.

Für Titelvergabe acht Rennen notwendig

Acht Rennen würden grundsätzlich auch schon für eine Titelvergabe reichen, setzt aber die Teams unter besonderen Druck. Zuletzt gab es in Spielberg zwei Verstappen-Heimsiege für Red Bull, die Mercedes-Boliden hingegen rollten wegen der Höhenlage der Rennstrecke in der Steiermark sowie zuletzt stets großer Hitze nur als Statisten um den Kurs. Diesmal tappen aber wohl alle im Dunkeln. Ausfälle können gravierende Folgen haben, andererseits muss man aber sofort aggressiv auf Punkte fahren.

Max Verstappen (NED/) fährt 2019 in Spielberg über die Ziellinie
GEPA/Daniel Goetzhaber
Verstappen gewann die letzten beiden Rennen in Spielberg

Aufgrund des verknappten Kalenders zählt jedes Rennen doppelt und dreifach. Auch und besonders für Hamilton und Verstappen. Dass Verstappen nur noch diese eine Chance bekommt, Vettel als jüngsten Weltmeister abzulösen, bezeichnete Motorsportkonsulent Helmut Marko aber sogar als „zusätzlichen Turbo“. Red Bull kam bisher stets erst zur Saisonmitte in Form und steht vor einer kuriosen Situation. 2020 wäre Spielberg das elfte Saisonrennen gewesen, nun ist das große Heimrennen aber der WM-Auftakt.

Fabriken standen bis Anfang Juni still

Die sportlichen Aspekte standen in den Monaten vor dem verspäteten WM-Auftakt aber im Hintergrund. Wegen der Coronavirus-Pandemie wurde der eigentliche WM-Beginn Anfang März in Australien nach einem positiven Fall im Fahrerlager kurzfristig abgesagt und der ganze Formel-1-Tross in die Langzeitpause geschickt. Bis Anfang Juni standen die Fabriken still. Getestet werden konnte seitdem nur mit zwei Jahre alten Autos bzw. bei Filmtagen.

Dass die Formel 1 als erste globale Sportart nach der Coronavirus-Krise eine WM-Saison starten kann, ist vorrangig zwei Dingen zu verdanken. Einerseits der guten Covid-19-Situation in Österreich, andererseits Red-Bull-Chef und Streckenbesitzer Dietrich Mateschitz. Dessen Projekt Spielberg arbeitet seit März unter Hochdruck an zwei erfolgreichen WM-Wochenenden und betrat dafür organisatorisches und sportliches Neuland. In Österreich finden nun sogar die Rahmenserien Formel 2 und Formel 3 sowie der Porsche Supercup statt und werden erstmals auch live im TV übertragen.

Gemeinsam mit der F1-Gruppe und dem Automobilweltverband (FIA) wurde vom Projekt ein umfangreiches Sicherheits- und Gesundheitskonzept erstellt. Der Grand Prix von Österreich am 5. und der GP der Steiermark am 12. Juli finden unter riesigen Sicherheitsvorkehrungen statt. Regelmäßige Tests, umfangreiche Hygienemaßnahmen und die Halbierung des Formel-1-Trosses sowie die Aufteilung desselben in „Blasen“ ohne Berührungspunkte sind zentral, um die Gesundheit aller Personen an der Rennstrecke und der Menschen in der Region zu schützen. Nur knapp 20 Journalisten dürfen ins Mediencenter. Darunter aus Österreich nur jener der Austria Presse Agentur (APA).

Vorgaben der Ministerien werden übererfüllt

Spielberg soll schlicht eine Musterveranstaltung für die nachfolgenden Rennen werden. Man versucht deshalb peinlichst genau, jede Möglichkeit auf Ansteckung oder Verbreitung zu verhindern. Dafür werden die Vorgaben der heimischen Ministerien sogar übererfüllt. Obwohl selbst ein positiver Fall im GP-Umfeld nicht zur Absage des Rennens führen soll, ist die Angst vor zumindest einem Imageschaden spürbar. Das Tennisdesaster bei der Adria-Tour lässt grüßen.

Spielberg bereit für F1-Auftakt

Die Vorbereitungen für die Rennwoche in Spielberg laufen auf Hochtouren. Das gesamte Ringareal ist zum Sperrgebiet erklärt worden.

Die Spielberg-Rennen sind jedenfalls in mehrerer Hinsicht historisch. Erstmals wird in Österreich eine Formel-1-Saison eröffnet, erstmals gibt es zwei WM-Läufe an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auf der gleichen Rennstrecke. Erstmals auch gehen Formel-1-Rennen ohne Zuschauer und damit als „Geisterrennen“ über die Bühne. Niedrigere Ausgaben sollen den Ausfall der Ticketeinnahmen zumindest teilweise abfedern. Dieser ist enorm, 2019 hatten 203.000 Zuschauer Eintrittskarten gekauft.

Enormer Werbewert für Österreich

Sie erlebten eines der spannendsten Rennen des Jahres mit einem famosen, aber umstrittenen Überholmanöver von Verstappen kurz vor Schluss gegen Leclerc. Erst nach drei Stunden stand damals der Sieger offiziell fest. Nach Monaten mit virtuellen Rennen sollen nun endlich wieder „echte“ Autos für reale Dramatik und Begeisterung bei den Fans sorgen. Auch wenn diese weiterhin das Geschehen nur auf Bildschirmen verfolgen können.

Für Österreich und die Region ist der Werbewert dank der global zu sehenden TV-Bilder dennoch fast unbezahlbar. Groß ist die Hoffnung, dass ein Monat später die ebenfalls mit einem Doppel in Spielberg gastierende MotoGP bereits unter zuschauerfreundlicheren Bedingungen stattfinden kann.