Max Verstappen, am Vormittag noch Dritter hinter den beiden nun in Schwarz fahrenden Silberpfeilen, kam in der zweiten Session nicht über Platz acht hinaus. Der Niederländer hat die jüngsten zwei Auflagen des Rennens in der Steiermark gewonnen, der hoch eingeschätzte RB16 zeigte aber zunächst kein gutes Fahrverhalten. Sowohl Verstappen als auch Alexander Albon klagten am Nachmittag über Abstimmungsprobleme und verzeichneten einige Dreher.
Die 71. Formel-1-WM beginnt am Sonntag (15.10 Uhr, live in ORF1) wegen der langen Coronavirus-Pause mit knapp viermonatiger Verspätung. Die Startaufstellung wird im Qualifying am Samstag (15.00 Uhr, live in ORF1) ermittelt. Das Rennen auf dem Red Bull Ring findet ohne Zuschauer und unter rigorosen Hygienebedingungen statt. Eine Woche später folgt ebendort der Grand Prix der Steiermark.
Mercedes dominiert erste Trainings in Spielberg
Alle Augen der Motorsportwelt waren am Freitag auf Österreich gerichtet, denn in Spielberg begann nach der mehrmonatigen CoV-bedingten Pause die Formel-1-Saison mit den ersten freien Trainings. Eines war wie immer: Mercedes dominierte.
Keine Überraschungen
Seit den Testfahrten im Februar hatte die Formel 1 pausiert, weil danach die Saison wegen der CoV-Krise nicht gestartet werden konnte. Dementsprechend groß war die Spannung vor dem ersten Vergleich auf der Rennstrecke. Er brachte zunächst einen Punktesieg für Mercedes. Die schwarzen Silberpfeile waren beim Neustart vorerst einmal die klar schnellsten Autos. Wobei Hamilton noch einmal eine Liga über Bottas fuhr. Fast zwei Zehntelsekunden Vorsprung sind auf der Formel-1-Strecke mit der kürzesten Rundenzeit eine Menge.
Moderate Temperaturen spielten dem Team von Toto Wolff ebenso in die Hände wie das zweiaxiale Lenksystem, das in Spielberg erstmals im Mercedes zum Renneinsatz kommen soll – wenn es nicht davor doch noch von Red Bull hinausprotestiert wird. Mit dem Dual-Axis-Steering (DAS) kann der Pilot durch Schieben und Ziehen des Lenkrades die Spur der Vorderräder während der Fahrt verstellen, was vor allem in der Aufwärmrunde oder hinter dem Safety Car Vorteile bringt.
„Ich denke, dass man protestiert und es dann zu einer Klarstellung der FIA kommt. Wir werden sehen, wer sich durchsetzt. Jedenfalls wollen wir am Sonntag keine Debatte“, sagte Wolff, der das DAS-System als „coole Innovation“ bezeichnete.
Wolff zufrieden, Verstappen zu aggressiv
„Es war fraglos ein guter Tag, wir hatten keinerlei Probleme“, war der österreichische Mercedes-Teamchef im ORF-Interview zufrieden. Wolff warnte aber auch. „Wir wissen zumindest, dass wir nicht komplett daneben liegen. Abgerechnet wird aber erst am Sonntag.“ Man müsse abwarten, was die anderen Teams noch in der Hinterhand hätten.
Bei Red Bull gab man sich gelassen, obwohl beide Fahrer Dreher verzeichneten. Sowohl Verstappen als auch Albon machten dafür beschädigte Frontflügel und die erhöhten Streckenbegrenzungen verantwortlich. „Vielleicht waren wir einfach ein wenig zu aggressiv“, sagte Verstappen, der am Sonntag auf den Spielberg-Hattrick losgeht.

Hamilton hat gutes Gefühl
Hamilton war angetan. „Es war großartig, wieder auf der Strecke zu sein. Das neue Auto fühlte sich wirklich gut an“, sagte der Brite, der „Black Lives Matter“ am schwarzen Helm trug sowie „End Racism“ am Auto zeigte und am Sonntag den Kampf um seinen siebenten WM-Titel einläutet. Am besten mit einem Erfolg. Seit seinem Debütsieg 2016 ist der 35-Jährige in Österreich nicht mehr auf das Podest gekommen.
Während der Deutsche Sebastian Vettel zum Auftakt seiner letzten Saison bei Ferrari seinen 33. Geburtstag mit Platz vier feierte, zeigte auch Racing Point einen starken Start. Der Mexikaner Sergio Perez sorgte als Tagesdritter für einen Hattrick der Mercedes-Motoren.
Wetter als Vorteil für Red Bull?
Das Auftaktrennen wird heißer und sonniger als erwartet: Am Sonntag soll es laut Wetterprognose sogar bis zu 29 Grad Celsius heiß werden. Das könnte Red Bull in die Karten spielen, das in den letzten Jahren bei hochsommerlichen Temperaturen jeweils Vorteile hatte.
Mercedes und Red Bull gelten als die Topteams in der bevorstehenden Saison. Die „Bullen“ hoffen, die seit Jahren dominierenden Silberpfeile herauszufordern und den 22-jährigen Verstappen zum jüngsten Champion aller Zeiten zu machen. „Wir haben unsere beste Vorbereitung in der Hybridära hinter uns und stehen im zweiten Jahr mit Honda“, lautete Horners Hoffnung auf einen guten WM-Verlauf. Wolff zeigte Respekt. „Red Bull ist uns schon im Vorjahr mehrmals sehr nahe gekommen, und über das Potenzial von Max brauchen wir nicht zu diskutieren. Red Bull wird uns einen harten Kampf liefern.“
Keine automatische Absage bei CoV-Fall
Formel-1-Renndirektor Michael Masi ist übrigens überzeugt, dass ein positiver CoV-Fall im Fahrerlager beim Neustart nicht zu einer Rennabsage führt. Man sei in einer wesentlich besseren Situation als beim Saisonstart im März in Australien, sagte Masi am Freitag in einer Zoom-Pressekonferenz in Spielberg.
Die FIA hat für den Neubeginn der Motorsportkönigsklasse Zuschauer verboten und einen umfangreichen Maßnahmenkatalog erstellt. Ohne Vorab-PCR-Test kommt niemand an die Strecke. Dort herrscht Maskenpflicht, und man muss sich spätestens alle fünf Tage erneut testen lassen. Die rund 2.000 an der Rennstrecke befindlichen Personen wurden aus Sicherheitsgründen in aktuell 57 Gruppen (Blasen) sowie Hunderte Untergruppen geteilt, berichtete Masi.
Diese „Profile-1“-Gruppenmitglieder, die während der Rennen in den Hochsicherheitszonen arbeiten, müssen unter sich bleiben bzw. dürfen kaum Kontakt mit der Außenwelt haben. Bis zu 14 Tage nach Anwesenheit bei einem Rennen muss eine CoV-Infektion auch an die Formel 1 rapportiert werden. Sollte es positive Fälle geben, werde man aber nicht wie in Australien zwingend abbrechen, sagte Masi. „Mit unserem heutigen Konzept sind wir wesentlich widerstandsfähiger.“
Spielberg liefert Konzeptblaupause
Die Formel 1 beginnt ihre verkürzte WM 2020 an den kommenden Sonntagen mit einem Spielberg-Doppel und hat derzeit insgesamt acht Läufe in Europa auf dem Plan. Österreich liefert die Konzeptblaupause. Allerdings seien die Bedingungen in den Ländern zu unterschiedlich, um alles über den Kamm scheren zu können, so Masi.
Bei positiven Fälle müssten die lokalen Gesundheitsbehörden entscheiden. „Da sind wir heute weiter als noch in Australien“, sagte Masi. Im Fall von Spielberg wären laut Epidemiegesetz die Landessanitätsdirektion Steiermark sowie die Bezirkshauptmannschaft Murtal die zuständigen Institutionen. In Australien war das Auftaktrennen kurz vor dem Start wegen einer einzigen Infektion bei McLaren nach einer Abstimmung unter den Teams abgeblasen worden. Das nun in Spielberg angewendete Gesundheitskonzept wird im Wesentlichen bei den ersten acht Rennen angewendet.
Die Formel 1 will sich Blamagen wie jene bei der Tennis-Adria-Tour ersparen und achtet strikt auf die Einhaltung der Vorgaben und die Vermeidung von Risiken. Im Mediencenter etwa werden für die nur knapp 20 zugelassenen Journalisten nicht einmal die Ergebnislisten auf Papier aufgelegt, sondern ausschließlich digital versendet. Ein WM-Abbruch wäre nämlich wohl eine mittlere Katastrophe für die Formel 1.