Dylan Groenewegen stürzt
APA/AFP/Szymon Gruchalski
Radsport

Heftige Kritik nach Sturz bei Polen-Tour

Der schwere Sturz des niederländischen Radprofis Fabio Jakobsen lässt das Sportliche der Polen-Rundfahrt in den Hintergrund rücken. Die Rennveranstalter und auch der Unfallverursacher werden heftig kritisiert. Dylan Groenewegen hatte am Mittwoch in Katowice im Zielsprint der ersten Etappe, einer Bergab-Passage, seinen Landsmann Jakobsen abgedrängt und löste damit einen folgenschweren Massensturz aus. Jakobsen wurde in ein künstliches Koma versetzt. Sein Zustand ist aber mittlerweile stabil.

"Wir beten weiter, dass er überlebt“, sagte sein Teamchef Patrick Lefevere jedoch. „Alle Knochen in seinem Gesicht sind gebrochen“, sagte der Belgier, nachdem Jakobsen zuvor fünf Stunden operiert worden war.

Der 23-jährige niederländische Straßenmeister, der in ein künstliches Koma versetzt wurde, war nach dem Manöver Groenewegens bei sehr hoher Geschwindigkeit in die Absperrgitter gekracht und reglos liegen geblieben.

Erste Entwarnung bei Jakobsen

Rennärztin Barbara Jerschina gab nach der Operation zumindest erste Entwarnung und sagte der Nachrichtenagentur PAP, Jakobsen habe den Eingriff gut überstanden und sei nicht mehr in Lebensgefahr. Bis Freitagmorgen soll Jakobsen schrittweise aus dem künstlichen Koma geholt werden.

„Der Versuch, den Patienten aus dem künstlichen Koma zu holen, wird schrittweise erfolgen, daher wird dies vermutlich erst in den frühen Morgenstunden der Fall sein, und erst dann können wir neue Informationen über seinen Gesundheitszustand geben“, sagte ein Sprecher des Krankenhauses in Sosnowiec.

Gestürzte Radfahrer
AP
Mehrere Fahrer lagen nach dem Massensturz verletzt im Zielbereich

Der bei dem Unfall ebenfalls schwer am Kopf verletzte Mitarbeiter sei wieder bei Bewusstsein und ebenfalls in einem „stabilen Zustand“, wie die Rennorganisatoren mitteilten. Zudem würden noch drei weitere Radprofis in Krankenhäusern behandelt. Die ebenfalls teilnehmenden Österreicher Patrick Konrad (Bora) und Matthias Brändle (Team Israel) waren vom Massensturz nicht betroffen.

Schwere Vorwürfe

Jakobsens Chef Lefevere war auch am Donnerstag noch schockiert von den Geschehnissen und der Aktion Groenewegens. „Ich werfe ihm einen Mordanschlag vor, nichts mehr und nichts weniger“, wählte der Leiter des belgischen Teams Deceuninck-Quick-Step, am Donnerstag im belgischen Radio drastische Worte. Bereits am Vorabend hatte Lefevere gesagt, dass Groenewegen eine Gefängnisstrafe verdiene. Diese Worte bedauere er nicht, sagte er: „Wir werden Schritte unternehmen, um bei der UCI und der Polizei Anzeige zu erstatten.“

Auch der Sturzverursacher war erschüttert über den Vorfall. „Ich finde es schrecklich, was gestern passiert ist. Ich kann nicht beschreiben, wie schlimm ich es finde für Fabio und die anderen, die gestürzt oder betroffen sind. Im Moment ist die Gesundheit von Fabio das Wichtigste. Ich denke ständig an ihn“, twitterte er am Donnerstag. Groenewegen selbst kam nicht unbeschadet davon und wurde am Donnerstag am Schlüsselbein operiert.

Zielsprint mit 85 km/h

Heftige Kritik an den Veranstaltern der fünftägigen WorldTour-Rundfahrt übte der Deutsche Simon Geschke und weitere Radprofis. „Jedes Jahr derselbe dumme Bergab-Sprint bei der Polen-Rundfahrt. Jedes Jahr frage ich mich, warum die Organisatoren denken, das sei eine gute Idee“, schrieb Geschke auf Twitter. „Massensprints sind gefährlich genug, man braucht kein Bergab-Finale mit 80 km/h“, ergänzte der Tour-de-France-Etappensieger von 2015.

„Ich habe mir das Finale und den Crash bestimmt 30 Mal angeguckt und die Brutalität des Crashs schockiert mich noch immer“, twitterte Ex-Weltklassesprinter Marcel Kittel. „Ich will da jetzt niemanden angreifen. Ich bin die Polen-Rundfahrt noch nie gefahren, aber ich habe von anderen Rennfahrern gehört, dass die Rundfahrt eh schon sehr berühmt-berüchtigt ist. Ein Bergab-Sprint, bei dem man bis zu 85 km/h erreicht, da fragt man sich schon: Muss das sein?“, sagte Rick Zabel, der in Polen nicht im Einsatz ist, der dpa.

„Solche Zielankünfte sollten verboten werden“

„Ein normaler Sprint mit 50-60 km/h ist schon schnell genug. Da muss man es nicht noch riskanter machen. Solche Zielankünfte sollten verboten werden. Es ist immer schade, dass erst was passieren muss, ehe solche Diskussionen entstehen“, sagte Zabel. Ähnlich sieht es Kittel. Er hoffe, dass die Frage nun ernsthaft diskutiert werde, ob es Bergab-Sprints mit Geschwindigkeiten von 80 km/h geben müsse, sagte der 14-fache Tour-Etappengewinner dem „Münchner Merkur“.

Massensturz bei der Polen-Rundfahrt
AP/Tomasz Markowski
Dylan Groenewegen (l.) löste durch sein aggressives Verhalten im Zielsprint den fatalen Massensturz aus

Bereits im Vorjahr sorgte ein folgenschwerer Sturz bei der Polen-Rundfahrt für einen dramatischen Zwischenfall, als der erst 22 Jahre alte Belgier Björg Lambrecht auf der Etappe nach Zabrze bei vergleichsweise moderatem Tempo gegen eine Betonkonstruktion prallte und später seinen schweren Verletzungen erlag.