Spieler bilden eine Kette als Zeichen des Zusammenhalts.
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NFL

Brennpunkte einer ungewöhnlichen Saison

Mit dem Duell der Kansas City Chiefs gegen die Houston Texans hat in der Nacht auf Freitag die neue Saison der National Football League (NFL) begonnen. Die 101. Ausgabe fiel bereits vor dem ersten Spieltag in die Kategorie denkwürdig. Die Saison steht einerseits im Zeichen der Coronavirus-Pandemie und der erstmals von der Liga unterstützten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, andererseits stehen sportlich eine Modusänderung und der neue Arbeitgeber eines Superstars im Brennpunkt.

Die Frage, ob die Chiefs, die Anfang Februar mit einem 31:20-Sieg über die San Francisco 49ers ihren zweiten Super-Bowl-Sieg feiern konnten, einen „Championship Hangover“ haben könnten, durfte im ersten Spiel mit Nein beantwortet werden. Beim 34:20 über die ebenfalls hoch gehandelten Houston Texans setzte der Titelverteidiger unter Superstar Patrick Mahomes dort an, wo er in der Super Bowl in Miami aufgehört hatte. Der 24-Jährige zeigte mit drei Touchdownpässen, dass er seinen im Sommer unterzeichneten Zehnjahresvertrag für eine halbe Milliarde US-Dollar wert ist.

Neben den Chiefs sollte man auch Vorjahresfinalist San Francisco, der am Sonntag zum Auftakt mit den Arizona Cardinals einen gefährlichen Außenseiter empfängt, auf der Titelrechnung haben. Im Powerranking der NFL gehören auch die Baltimore Ravens mit Lamar Jackson, dem wertvollsten Spieler (MVP) der Saison 2019, und die New Orleans Saints rund um Altstar Drew Brees zu den ersten Herausforderern von Kansas City. Aufpassen heißt es auch auf die Tennessee Titans, Buffalo Bills und Green Bay Packers, vergangene Saison immerhin im Halbfinale.

Die Chance, im Play-off mit dabei zu sein, hat sich heuer deutlich erhöht. Denn die Liga stockte die Teilnehmer für die K.-o.-Runde von insgesamt zwölf auf 14 Teams auf. Nur noch die beiden Topteams – und nicht mehr die ersten zwei – pro Conference erhalten in der ersten Play-off-Runde ein Freilos. Neu sind auch zwei Teamnamen, die es bisher nicht gab. Die Raiders firmieren nach dem Umzug in den US-Bundesstaat Nevada ab sofort unter Las Vegas Raiders. Und erstmals seit 1933 sucht man die Washington Redskins vergeblich – das Team aus der US-Hauptstadt gab aufgrund der Proteste gegen Rassismus dem Druck nach und den seit Langem umstrittenen Namen auf. Washington Football Team ist die provisorische Bezeichnung.

Saison im Zeichen der Proteste

Beim Auftaktspiel in Kansas City wurde auch offensichtlich, worauf sich die Fans an den TV-Geräten in aller Welt in dieser Saison einstellen müssen: spärlich besetzte bzw. leere Tribünen und offene Aktionen gegen Polizeigewalt und Rassismus. Die Proteste, die vor vier Jahren mit dem Kniefall des damaligen 49ers-Quarterbacks Colin Kaepernick bei der US-Hymne begannen, rückten durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer Polizeiaktion Ende Mai wieder in den Fokus. Und im Gegensatz zu früher unterstützt die NFL das Anliegen nun offen und erklärte sich mit allen Spielern solidarisch.

Die Spieler dürfen nun auf ihren Helmen Aufkleber mit Namen von Opfern tragen, Schiedsrichter und Trainer werden Schriftzüge auf ihren Kappen präsentieren. In den Endzonen werden zudem die Schriftzüge „End Racism“ („Beendet Rassismus“) und „It Takes All of Us“ („Es braucht jeden von uns“) zu lesen sein. Spieler haben zudem das Recht, aus Protest auf Partien komplett zu verzichten. „Ich wünschte, wir hätten früher zugehört“, gestand NFL-Boss Roger Goodell. Protestierende Spieler hatten sich immer wieder gegen den Vorwurf – unter anderem von US-Präsident Donald Trump – wehren müssen, dass sie unpatriotisch oder gegen das US-Militär seien.

Wie vielfältig die Art der Proteste sein wird, zeigte sich bereits im ersten Spiel. Während die Akteure der Chiefs der via Videowall eingespielten US-Hymne mit verschränkten Armen lauschten, blieben die Spieler aus Houston bei „The Star Spangled Banner“ in der Kabine. Vor Spielbeginn versammelten sich die Akteure beider Teams jedoch gemeinsam in der Mitte des Feldes, um den nötigen Zusammenhalt der Gesellschaft einzufordern. Dass die Aktion, so wie der Einlauf der Gäste aus Houston, von vereinzelten Buhrufen begleitet wurde, zeigte, dass der Weg bis zur beschworenen „Unity“ noch weit ist.

Vor leeren Rängen

Dass im Arrowhead Stadium Zuschauer überhaupt die Möglichkeit haben, sich lautstark ins Geschehen einzumischen, wird im Anfangsstadium der Saison die große Ausnahme bleiben. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie werden vorerst im September nur in sechs der insgesamt 30 Arenen – die je zwei Teams in New York und Los Angeles teilen sich ein Stadion – Zuschauer auf den Tribünen erlaubt sein. Aus Sicht der Fans besonders bitter: Die Stimmung in den brandneuen Stadien in Los Angeles und Las Vegas wird man frühestens kommende Saison erleben können.

Szene vom Match zwischen den Kansas City Chiefs und den Houston Texans am 10. September 2020.
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Spärliche Kulisse: Was normalerweise in US-Stadien erst kurz vor Schluss Standard ist, wird heuer ein gewohntes Bild sein

Allerdings wird auch in jenen Arenen, in denen Zuschauer zugelassen werden, die Kapazität begrenzt. Das erste Spiel der Chiefs verfolgten anstatt knapp 73.000 nur 16.000 im Stadion weit verteilte Zuschauer. Neben Kansas City können auch die Indianapolis Colts, Cleveland Browns, Cincinnati Bengals, Jacksonville Jaguars und Miami zumindest auf beschränkte Unterstützung von den Rängen rechnen.

Damit überhaupt wieder gespielt werden kann, wird die NFL Spieler und Betreuer mit Ausnahme der Spieltage weiter täglich auf das Coronavirus testen. Während der Trainingscamps kam es zu keinen größeren Coronavirus-Ausbrüchen. Bis kurz vor Saisonstart gab es lediglich gut ein Dutzend positiver Tests bei den Teams. Aufgrund der Pandemie wurden auch die Vorbereitungsspiele komplett gestrichen. Den Spielern wurde auch freigestellt, ob sie heuer ihrer Arbeit nachgehen. 67 NFL-Profis nahmen von der Möglichkeit gebrauch, aufgrund der Pandemie freiwillig auf die Saison zu verzichten.

Brady lenkt Fokus auf Tampa

Die Superstars wie Mahomes, Jackson und Jungstar Kyler Murray ließen sich von der Pandemie jedenfalls nicht abschrecken. Ebenso wenig wie Altstar und Rekordmeister Tom Brady, der in seine 21. NFL-Saison geht. Und trotzdem steht der 43-Jährige vor einer Premiere: Denn erstmals in seiner Karriere wird der Quarterback nicht das Trikot der New England Patriots, sondern jenes der Tampa Bay Buccaneers tragen. „Warum ich mich für einen anderen Ort entschieden habe? Weil es einfach an der Zeit war“, hatte Brady unmittelbar nach seinem Wechsel die neue Herausforderung umrissen.

Tom Brady von den Tampa Bay Buccaneers.
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Nach 20 Jahren im Nordosten der USA ist Brady mit seinem Talent in den Süden gezogen

Der Wechsel des Superstars, der New England zu sechs Titeln führte, bugsierte die Buccaneers nach Jahren der Unscheinbarkeit wieder zurück ins Rampenlicht und verdrängte die Patriots erstmals seit Jahren aus dem engsten Favoritenkreis. An der Westküste Floridas träumt man bereits vom zweiten Titel nach jenem der Saison 2002. Die Strahlkraft Bradys bewog auch seine langjährige Lieblingsanspielstation Rob Gronkowski dazu, den Ruhestand ruhen zu lassen und nach einem Jahr in die NFL zurückzukehren. Das erste Spiel Bradys im Tampa-Outfit wird jedenfalls mit Spannung erwartet. Gegner ist kein Geringerer als New Orleans, wo der 41-jährige Drew Brees seine vielleicht letzte Titeljagd startet.

Woche 1

Donnerstag, 10. September:
Kansas City Houston 34:20
Sonntag, 13. September:
Atlanta Seattle 25:38
Washington Philadelphia 27:17
New England Miami 21:11
Minnesota Green Bay 34:43
Jacksonville Indianapolis 27:20
Detroit Chicago 23:27
Baltimore Cleveland 38:6
Buffalo NY Jets 27:17
Carolina Las Vegas 30:34
Cincinnati LA Chargers 13:16
New Orleans Tampa Bay 34:23
San Francisco Arizona 20:24
LA Rams Dallas 20:17
Montag, 14. September:
NY Giants Pittsburgh 16:26
Denver Tennessee 14:16