Dominic Thiem mit US Open Pokal
AP/Seth Wenig
US Open

Thiem erreicht ersehnten Gipfel

Der 13. September 2020 ist in den heimischen Sportannalen seit Sonntag der zweite Eintrag nach dem 11. Juni 1995 unter Herren-Einzeltitel bei Grand-Slam-Turnieren. Dominic Thiem stellte sich mit seinem Triumph bei den US Open auf eine Stufe mit Thomas Muster. Nachdem er den Deutschen Alexander Zverev in einem dramatischen Schlagabtausch über fünf Sätzen niedergerungen hatte, regierte bei Thiem nach Kampf und Krampf vor allem die Erleichterung: „Irgendwie war heute der Glaube stärker als der Körper.“

Das Lager der österreichischen Tennisfans ist seit Sonntag wohl in zwei Lager gespalten: in jene, die beim Stand von 2:6 1:5 aus Thiems Sicht aus Frust ins Bett gegangen waren, und in jene, die durchhielten und nach 4:02 Stunden Spielzeit Zeugen wurden, wie Zverev den Ball beim dritten Matchball des Niederösterreicher ins Out pfefferte und Thiem damit zum US-Open-Champion machte. Als erst zweiter Österreicher nach Muster vor 25 Jahren gewann Thiem im vierten Anlauf eines der vier wichtigsten Tennisturniere. Detail am Rande: Beide waren zum Zeitpunkt des Triumphes 27 Jahre alt.

„Wie beim Matchball der Ball ins Out geflogen ist, einfach eine riesige Erleichterung. Die ganzen Emotionen, der ganze Druck von dem Match, von dem ganzen Turnier ist auf einmal abgefallen. Ein überglücklicher Moment: ein bisserl so wie Wien oder Indian Wells, nur noch um einiges stärker“, sagte Thiem nach dem Finale im Arthur Ashe Stadium, das so wie das gesamte Turnier aufgrund der Coronavirus-Pandemie vor leeren Rängen gespielt wurde. „Ich habe immer gesagt, es ist mir wirklich ganz egal, welches von den vier (Majors, Anm.) kommt, Hauptsache, es ist eines gekommen“, so Thiem, der zweimal das Endspiel der French Open und heuer das Finale der Australian Open noch verloren hatte.

Mentaler Krampf

Auch in seinem vierten Endspiel auf Grand-Slam-Ebene sah es so aus, als würde der Österreicher den Kürzeren ziehen. Denn die ersten beiden Sätze gehörten klar Zverev, der Thiem vor allem dank seines Aufschlags jenseits der 200 km/h im Griff hatte. Doch Österreichs Nummer eins kämpfte sich zurück in die Partie und drehte sie am Ende um. Einen Zweisatzrückstand in einem Finale der US Open in einen Sieg zu verwandeln, das hatte zuletzt Pancho Gonzalez gegen Ted Schroeder geschafft. Das Jahr war 1949, die US Open hießen noch US Championships, und gespielt wurde nicht in Flushing Meadows, sondern ein paar Kilometer weiter in Forest Hills.

Überhaupt war Thiem in der Open Era von Grand-Slam-Turnieren erst der fünfte Spieler und der erste außerhalb der French Open, dem dieses Kunststück gelang. Zverevs prominenter Landsmann Boris Becker, 1989 der bis dato letzte deutsche US-Open-Champion, adelte Thiem daher auch als „Houdini des Tennissports“. Thiem holte nicht nur zwei Sätze Rückstand auf, sondern machte auch einen 3:5-Rückstand im Entscheidungssatz wett. Beim Stand von 6:5 aus seiner Sicht hatte der Österreicher sichtlich mit Krämpfen zu kämpfen und vergab die Chance, den Sack zuzumachen. Erst als dann auch bei Zverev – der allerdings noch zwei Matchbälle abwehren konnte – die Krämpfe einschossen, konnte Thiem den Deutschen in die Knie zwingen.

Thiem gewinnt US Open

In der Nacht auf Montag wurde in New York österreichische Tennisgeschichte geschrieben: Dominic Thiem gewann in einem dramatischen Finale als erster rot-weiß-roter Spieler die US Open.

„Ich glaube, dass das nicht physische Krämpfe waren. Es war mental“, sagte Thiem zu den Schmerzen, die sich aber insofern körperlich auswirkten, als der 27-Jährige vor der entscheidenden Phase auch einen Physiotherapeuten bemühen musste. Eine gewisse mentale Blockade sei von Beginn an zu spüren gewesen, speziell in den ersten beiden Sätzen, wo Thiem laut eigener Aussage „teilweise wirklich grottenschlecht“ auftrat. Die Aussicht, in Abwesenheit der „Big Three“ – Roger Federer und Rafael Nadal sagten ab, Novak Djokovic wurde disqualifiziert – den ersehnten Titel zu holen, schlug sich doch aufs Gemüt. „Ich war den ganzen Tag eigentlich supernervös, und auch zu Beginn des Matches“, so Thiem.

Der Rucksack ist weg

Die Nervosität wich nach dem Matchball der Riesenfreude. Thiem konnte sein Glück sichtlich nicht fassen und konnte Freudentränen ebenso schwer unterdrücken wie sein unterlegener Gegner und privater Freund Zverev die Tränen der Enttäuschung. Entgegen dem Protokoll fiel Thiem seinem ersten Gratulanten auch um den Hals. „Wir haben eine langjährige Freundschaft und Rivalität. Ich glaube, wir sind beide vielleicht 14-mal negativ getestet worden. Wir wollten einfach diesen Moment teilen“, sagte der neue US-Open-Champion, „ich denke, dass wir niemanden in Gefahr gebracht haben und dass das von daher in Ordnung war.“

Dominic Thiem und Alexander Zverev mit Pokal umarmen sich
Reuters/USA Today Sports/Robert Deutsch
Thiem und sein Rivale und Freund Zverev ließen nach vier Stunden Fight den Emotionen freien Lauf

Kurz nach der Siegerehrung im leeren Stadion (Thiem: „Das Publikum hätte uns gegen Ende des Matches beiden geholfen.“) blickte der Österreicher bereits wieder nach vorne. Denn mit dem Triumph in Flushing Meadows hatte sich der 27-Jährige durch die drei verlorenen Major-Endspiele davor eines großen Rucksacks entledigt. „Ich hoffe, dass mich der Titel generell erleichtert, weil ich habe bis jetzt eine Riesenkarriere gehabt, auf die ich sehr stolz bin und die ich mir auch nie so erwartet habe. Aber es hat eben der ganz große Titel bis jetzt gefehlt“, sagte Thiem, „das Thema ist jetzt abgehakt und ich hoffe und erwarte auch ein bisschen, dass ich lockerer in die Matches und in die ganz großen Turniere reingehe.“

Grafik zeigt die größten Erfolge von Dominic Thiem
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Emotionale Vorbereitung auf Paris

Den nächsten Auftritt hat Thiem ab 27. September bei den French Open in Paris, wo viele Beobachter aufgrund des Sandbelages eher mit dem ersten Grand-Slam-Titel Thiems gerechnet hätten. „Aber so gegen Ende des letzten Jahres ist der Hardcourt immer mehr zu einem sehr guten Freund von mir geworden“, so der US-Open-Sieger. In Roland Garros stand der Niederösterreicher aber die vergangenen beiden Jahre immer im Endspiel, zog dabei aber jeweils gegen Sandplatzkönig Nadal den Kürzeren.

Dass der Spanier die US Open aufgrund der Coronavirus-Situation ausließ, sieht Thiem nicht als Nachteil für sich. „Ich glaube, dass ich körperlich zu 100 Prozent fit sein werde. Ich werde genug Zeit haben, um mich von den Problemen, die ich hatte, zu erholen“, sagte Thiem und sprach damit seine im Semifinale in New York erlittene Achillessehnenblessur an. Viel mehr fürchtet Österreichs Nummer eins wieder einen mentalen Krampf: „Die Frage ist, wie ich mit den Emotionen mental umgehen werde. Ich war noch nie in dieser Situation. Ich habe ein großes, großes Ziel erreicht. Dennoch erwarte ich, dass es für mich in den großen Turnieren jetzt einfacher wird.“