ÖSV-Fahrerin Katharina Liensberger mit Slalom-WM-Goldmedaille
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Ski-WM

Liensberger zündete den Turbo

Mit Gold im abschließenden Slalom hat Katharina Liensberger bei der WM 2021 in Cortina noch einmal den Turbo gezündet und es so richtig krachen lassen. Als erste österreichische Slalom-Weltmeisterin seit Marlies Schild 2011 beendete Liensberger zugleich die achtjährige Dominanz von Mikaela Shiffrin, die zuletzt viermal in Serie den Titel für sich in Anspruch genommen hatte. Über den Dolomiten ist sprichwörtlich ein neuer Stern aufgegangen.

Die Vorarlbergerin gewann in bester Shiffrin-Manier mit zweimal Laufbestzeit und exakt einer Sekunde Vorsprung, der Liensbergers Topleistung untermauerte. Ihre kühnsten Erwartungen wurden übertroffen, oder wie sie sagte: „Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.“ Mit nun Gold in Slalom und Parallel-Bewerb sowie Bronze im Riesentorlauf schwang sich die 23-Jährige zum Superstar der zweiten WM-Woche auf und zog mit der Schweizerin Lara Gut-Behrami gleich, die neben Bronze in der Abfahrt Goldmedaillen in Super-G und Riesentorlauf eroberte.

„Dass ich diesen Moment erleben darf, ist unglaublich. Über die Ziellinie zu fahren und eine Sekunde vorn zu sein. Umso wertvoller ist es, weil ich weiß, was ich alles dafür getan habe und wie viele Leute mich dabei unterstützten“, so Liensberger. „Wenn man was unbedingt will, kann man es auch erreichen. Heute war der Tag, an dem es mir gelungen ist, mich auf das zu konzentrieren, was für mich am meisten zählt: Mit Begeisterung Ski zu fahren. Dass es am Ende für Gold reichte, ist wirklich kaum zu glauben.“

Liensberger kürt sich zur Doppelweltmeisterin

Katharina Liensberger fuhr am Samstag mit einer Galavorstellung im Slalom zu ihrer zweiten WM-Goldmedaille. Sie ließ Petra Vlhova (SVK) und Mikaela Shiffrin (USA) klar hinter sich.

Laut Cheftrainer Christian Mitter hat sie schon vor dem Rennen einen guten Eindruck gemacht. Liensberger war fokussiert. „Sie ist mental stark und weiß, was sie kann. Sie hat’s runtergedrückt. Besonders cool ist der Sieg deshalb, weil sie eine der Mitfavoritinnen war“, sagte der Steirer, der von Gold nicht allzu überrascht war: „Es hat sich im Weltcup abgezeichnet. Sie ist immer um das Podium mitgefahren und hat nie zurückgezogen. Sie war schon in der Phase, in der sie wusste: Sie kann immer um den Sieg mitfahren. Auch Laufbestzeiten hat sie geliefert.“

Aufs Skifahren konzentriert

Dass sie nun gleich zweifache Weltmeisterin ist, habe sie vorerst nicht so richtig realisiert, wie Liensberger zugeben musste. „Es ist einfach nur wunderschön. Ein Traum, der wahr geworden ist. Ich könnte mir gerade nichts Schöneres vorstellen“, so die 23-Jährige, die im Slalom-Weltcup in dieser Saison fünfmal auf dem Podest gestanden war. Auf einen Weltcup-Sieg wartete sie bisher vergeblich. Auch deshalb wagte sie von einem möglichen WM-Titel in ihrer Lieblingsdisziplin davor nicht zu sprechen. Umso überraschender kam die Goldmedaille.

ÖSV-Fahrerin Katharina Liensberger im WM-Slalom von Cortina
Reuters/Denis Balibouse
Wie auf Schienen fuhr Liensberger mit zweimal Laufbestzeit zum WM-Titel im Slalom

Obwohl die Gedanken an und die Hoffnung auf den Slalom-Titel im Vorfeld schon da gewesen seien. Davon irritieren ließ sie sich nicht. „Ich wollte mich nicht um das Rundherum kümmern, sondern nur auf mein Skifahren konzentrieren. Ich wusste, dass ich hundert Prozent geben muss, weil so starke Läuferinnen hier sind“, sagte sie. Jede einzelne wolle und könne gewinnen. Doch offenbar nur Liensberger blieb ihrer Linie treu. „Dass ich bei dem Rennen zeigen konnte, was ich wirklich kann, nämlich mit ganzem Herzen gut Ski fahren, das zählt für mich eigentlich am meisten.“

Ungewohnte Situation

Dabei war die Situation als erstmals Führende vor der Entscheidung ausgesprochen knifflig. Eine weitere Medaille schien Liensberger schon sicher. Dosiertes Risiko oder Angriff? Wendy Holdener und Titelverteidigerin Shiffrin lagen als Dritte und Vierte weit mehr als eine Sekunde hinter der Vorarlbergerin, die mit Startnummer eins trotz kleiner Unsicherheiten auf Erfolgskurs geblieben war. Für Gold durfte sie den zweiten Lauf nicht verbremsen. Petra Vlhova, dreifache Saisonsiegerin, war ihr auf den Fersen.

„Ich bin super happy mit dem Lauf. Ich habe attackiert und Gas gegeben, das braucht es da runter. Es hat sich gut angefühlt, auch wenn nicht alles perfekt war“, sagte Liensberger nach Lauf eins auf dem unbekannten und schwierigen Slalom-Hang Druscie A, auf dem schon Toni Sailer bei den Olympischen Spielen 1956 Gold geholt hatte. Liensberger war kurz davor. Für den zweiten Lauf kündigte sie an: „Ich will mich auf mich konzentrieren“ – und angreifen.

Petra Vlhova (Slowakei) im WM-Slalom von Cortina
GEPA/Thomas Bachun
Mit 0,30 Sekunden Rückstand war Vlhova die einzige, die mit Liensberger in Lauf eins halbwegs mithalten konnte

Katharina Huber schaute da nur mehr zu. „Ich wollte volle Attacke von oben bis unten, aber das war zu viel des Guten. Ich wollte mir eben nicht vorwerfen, dass ich es verbremst habe“, sagte die 25-Jährige nach ihrem Out im ersten Durchgang. Franziska Gritsch, die auf eine verunglückte WM mit zurückschaute, verbesserte sich im Finale auf Platz elf, WM-Debütantin Chiara Mair zeigte als Sechste auf. Alle standen aber im Schatten von Liensberger, die sich im Starthaus gerade bereit machte.

„Wusste, was ich zu tun habe“

Von Bremsen war später keine Spur. Liensberger wollte Gold und musste dafür Gas geben, hatte Vlhova doch vorgelegt und sich vor Shiffrin an die Spitze gesetzt. Fehlerfrei waren beide wie im ersten Lauf nicht geblieben. Gespannt richtete Vlhova den Blick nach oben. Doch Liensberger zeigte keine Nerven. Wie auf Schienen carvte die 23-Jährige bei vollem Risiko völlig losgelöst den steilen Hang hinunter, baute ihren Vorsprung auf die Slowakin sogar um sieben Zehntelsekunden auf eine Sekunde aus. 1,98 Sekunden lag Shiffrin zurück. Im Ziel sank Liensberger zu Boden. Sie hatte es geschafft.

ÖSV-Fahrerin Katharina Liensberger jubelt im Schnee liegend nach ihrem Sieg im WM-Slalom
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Der Moment des Triumphs – Liensberger fiel überglücklich in den Frühjahrsschnee

Nervös sei sie nicht gewesen. Über die Momente im Starthaus sagte Liensberger: „Ich kannte meinen Plan und wusste, was ich zu tun habe. Einfach meinen Job. Natürlich kriegt man viel am Rande mit, und doch ist es wichtig, das alles auszublenden und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und das ist mir diesmal definitiv gut gelungen.“ Coach Roland Plattner sagte: „Es ist beeindruckend, dass Kathi so nervenstark ist und all die Infos, die sie kriegt, auch verwertet. Es war eine souveräne Leistung. Sie ist am Start immer komplett im Tunnel, ganz ruhig.“

Mitter ergänzte: „Wie sie reagieren würde, wenn sie als Führende oben steht, wussten wir natürlich nicht. Aber ich habe es so in der Art erwartet, weil sie auf ihre Technik derzeit unglaublich vertraut. Und physikalisch macht sie alles richtig, sie bringt den Ski auf Zug – und dann passt das. Jetzt müssen wir schauen, den Vorsprung nicht nur zu verwalten, sondern auszubauen.“

Christian Mitter (Sportlicher Leiter ÖSV Ski Alpin Damen)
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Damen-Cheftrainer Christian Mitter war von Liensbergers Gala nicht allzu überrascht

Großes Staunen überall

Die geschlagenen Favoritinnen zollten der neuen Weltmeisterin größten Respekt. Shiffrin, die mit zweimal Bronze, einer Silbermedaille und Gold in der Kombi abreist, war richtig angetan von Liensbergers Leistung. „Sie hat sich schon die ganze Saison enorm gesteigert. Von einer Medaille zu träumen ist eine Sache. Dann auch eine zu gewinnen, was anderes. Sie hat es gemacht, das ist beeindruckend“, sagte die entthronte US-Amerikanerin. Vlhova: „Es war schwierig, sie zu schlagen. Sie ist perfekt gefahren.“

Rätsel gab Liensberger auch ihren Teamkolleginnen auf. Gritsch staunte: „Das sieht man, was Selbstvertrauen ausmacht. Sie kann zurzeit auf den Ski machen, was sie will. Richtig lässig. Durch die Erfolge ist sie in dem berühmten Flow drin. Da marschiert es dann von selber“, sagte die Tirolerin. Mair: „Unvorstellbar, was sie gerade macht. Aber es ist schon gut, so jemanden im Team zu haben. An ihr können wir uns alle orientieren. Denn wir wissen: Wenn wir nahe an ihr dran sind, sind auch wir sehr gut.“

ÖSV-Fahrerin Chiara Mair im WM-Slalom von Cortina
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Mair nahm sich Teamleaderin Liensberger zum Vorbild und wird sich an ihr orientieren

Für Liensberger gibt es nach dem WM-Mammutprogramm mit vier Rennen in fünf Tagen eine verdiente Verschnaufpause. In zwei Wochen geht ihr Weltcup-Programm mit Riesentorlauf und Slalom in Jasna weiter. Neben dem ersten Weltcup-Sieg kämpft sie dort um die Führung im Slalom-Weltcup, den Vlhova derzeit 40 Punkte vor der Vorarlbergerin anführt. Die Slowakin ist gewarnt: „Jeder hat gesehen, wie gut Katharina drauf ist. Das wird ein zäher letzter Monat. Der Kampf um den Weltcup wird noch hart.“