Skispringer
APA/AFP/Christof Stache
Nordische WM

Wenn der Kontrolleur Gold vergibt

Die WM-Medaillen werden beim Skispringen im Normalfall nach einer Kombination aus Weitenpunkten, Haltungsnoten und Windfaktor vergeben. Bei den Titelkämpfen in Oberstdorf könnte dem Materialkontrolleur jedoch die entscheidende Rolle zufallen. Denn in der bisherigen Weltcup-Saison wurde ein regelwidriger Anzug bereits mehrfach – sogar vermeintlichen Siegerinnen und Siegern – zum Verhängnis.

Beim jüngsten Springen in Rasnov verhinderte die Materialkontrolle die vorzeitige Entscheidung im Kampf um die große Kristallkugel. Mit dem Norweger Halvor Egner Granerud und Markus Eisenbichler aus Deutschland erwischte es die aktuelle Nummer eins und zwei der Wertung. Erstgenannter hatte sich ursprünglich als Sieger feiern lassen, wurde aber aufgrund eines fehlerhaften Anzugs disqualifiziert und steht damit doch noch nicht als Gewinner der großen Kristallkugel fest.

Bereits davor kostete das Durchfallen bei der Materialkontrolle prominenten Namen einen Spitzenrang oder gar den Sieg. Der Salzburger Daniel Huber war etwa beim Springen in Zakopane aus dem Bewerb genommen worden, nachdem der Anzug der Prüfung der Kontrolleure nicht standgehalten hatte. Bei den Damen stolperte Rekordweltcup-Siegerin Sara Takanashi beim ersten der drei Bewerbe in Hinzenbach nach klarer Halbzeitführung über einen nicht regelkonformen Anzug. Tags darauf wurde nach dem ersten Durchgang aus dem gleichen Grund Österreichs aktuelle Überfliegerin Marita Kramer aus dem Bewerb genommen.

Marita Kramer
GEPA/Christian Walgram
Nach ihrer Disqualifikation in Hinzenbach wegen des fehlerhaften Anzugs verging Kramer das Lächeln

Materielle Gratwanderung

Der Grund für die schärferen Kontrollen sind der Hoffnung auf Fairness geschuldet. Die Anzugfläche darf nicht zu groß sein, um dem Körper nicht mehr Tragfläche zu geben und größere Weiten zu ermöglichen. Dabei reizt so mancher und so manche meist bewusst die Grenzen des Erlaubten aus. Harald Rodlauer, Cheftrainer der österreichischen Springerinnen, begrüßt jedenfalls die strengen Kontrollen. „Ich sehe das sehr positiv, das gehört dazu. Es muss alles im Rahmen sein. Im Spitzensport bewegst du dich immer auf einem Grat, wo etwas passieren kann. Das tut eh jeder“, so Rodlauer.

Bei Kramer stellte sich die Disqualifikation im Nachhinein als besonders bitter heraus. Die Salzburgerin durfte zuletzt in Rasnov wegen unklarer Coronavirus-Tests zweimal nicht starten und dürfte nach drei „Nullnummern“ aus dem Rennen um den Gesamtweltcup sein. Die 19-Jährige ist zudem eine seltene Ausnahme im Springerinnen-Zirkus. Denn Kramer verwendet seit Oktober immer den gleichen Anzug. „Für sie persönlich ist das der beste Anzug, mit dem sie sich wohlfühlt. Das müssen wir akzeptieren“, stellte Rodlauer fest.

Kramer setzt auf Lieblingsanzug

Das Problem an der Sache sei, dass das Material mit der Zeit Verschleißspuren zeigen würde. „Der Anzug hat schon mehr Nach- als Vorteile“, sagte der 54-jährige Cheftrainer in einem APA-Gespräch. „Das Problem ist, wenn der Anzug einen Zentimeter zu weit ist, bist du weg.“ So sei Kramer am 31. Jänner bei ihrem zweiten Sieg in Titisee-Neustadt von der Kontrollstelle auf einen Anzugmangel aufmerksam gemacht worden, das Nachbessern brachte aber nur kurzfristig etwas.

Denn trotz Einnähens des Anzugs vor dem Hinzenbach-Triple folgte insgesamt sieben absolvierte Trainings- und Bewerbssprünge später in Oberösterreich die Disqualifikation. Rodlauer: „Dann hat sich das Material wieder verändert. Das hast du dann nicht immer im Griff. Wir müssen aber schauen, dass wir das gut im Griff haben.“ Alle anderen Österreicherinnen wie Daniela Iraschko-Stolz haben das Verschleißproblem nicht, sie wechseln regelmäßig auf neue Anzüge.

Kramer selbst hat allerdings auch für ihre WM-Sprünge nicht vor, in einen anderen Sprunganzug zu schlüpfen: „Das Gefühl passt mit dem Anzug sehr gut“, begründete die 19-Jährige am Montag in Oberstdorf ihre Entscheidung. „Bei jedem Sprung habe ich ein sehr gutes Vertrauen. Ich weiß, das fliegt. Da brauche ich gar nicht daran denken. Da kann ich das abrufen, was ich mir in den Kopf setze. Das passt sehr gut“, so die Salzburgerin. Und schließlich ist das Vertrauen ins eigene Gefühl beim Skispringen der mitunter wichtigste Faktor.