Cambridge-Boot
APA/AP/PA Wire/Joe Giddens
Rudern

Kultrennen begibt sich in neue Gewässer

Nach einem Jahr coronavirusbedingter Pause wird am Sonntag wieder die Frage beantwortet, welche englische Eliteuniversität sportlich die Nase vorne hat. Zum 166. Mal bei den Männern und zum 75. Mal bei den Frauen geht das „Boat Race“ zwischen den Ruder-Achtern von Cambridge und Oxford über die Bühne. Das Kultrennen begibt sich dabei in neue Gewässer. Einerseits, weil auf einer neuen Strecke gerudert wird, und andererseits, weil beim Männer-Rennen erstmals eine Frau das letzte Wort hat.

Der 1829 erstmals und seit 1836 mit wenigen Ausnahmen jährlich ausgetragene Wettstreit zwischen den beiden Universitäten fand bisher immer auf der Themse und da fast immer in London statt. Nur bei der Premiere vor 192 Jahren wurde in Henley-on-Thames westlich der Metropole gerudert. Seit 1845 wurde der Sieger ausschließlich auf den 6,8 Kilometern von der Putney Bridge zur Chiswick Bridge im Stadtteil Mortlake ermittelt. Dreimal fuhr man im 19. Jahrhundert die Strecke in die entgegengesetzte Richtung.

Heuer musste das Rennen aus Sicherheitsbedenken verlegt werden. Erstens ist die Gefahr von Menschenansammlungen in Pandemiezeiten zu groß, vor allem weil normalerweise über 250.000 Zuschauer an Ort und Stelle mitfiebern. Und zweitens bereitete der Zustand der Hammersmith Bridge den Veranstaltern große Sorgen. Die markante Kettenbrücke, die den Kurs in etwa in zwei Hälften teilt, ist arg baufällig und wurde von den Behörden als einsturzgefährdet gesperrt. Das Risiko, junge Sportlerinnen und Sportler darunter durchrudern zu lassen, erschien dann doch zu hoch.

Hammersmith Bridge
Reuters
Die baufällige Hammersmith Bridge macht heuer einem Rennen auf dem Originalkurs einen Strich durch die Rechnung

Der Showdown des hellblauen Boots von Cambridge und des dunkelblauen Gefährts von Oxford – eines der meistgesehenen Sportereignisse im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland – steigt daher rund zwei Autostunden nordwestlich Londons. Der Great Ouse nahe dem Städtchen Ely mit seiner beeindruckenden Kathedrale bildet diesmal die Bühne und den Hintergrund für das Rennen. Der Fluss hielt schon einmal während des Zweiten Weltkrieges 1944 als Ersatz her – allerdings nur für ein inoffizielles Rennen zwischen den Universitäten.

Heimvorteil für Cambridge

Im Vergleich zum gewohnten Spektakel ist heuer nicht nur der Austragungsort anders. Die Strecke von der Queen Adelaide Bridge in Ely zur Sandhill Bridge in Littleport ist mit 4.890 Metern um rund zwei Kilometer kürzer als der Championship Course auf der Themse. Dazu ist der Fluss in diesem Abschnitt fast kerzengerade. Die Kurven der Themse sind daher kein taktisches Kriterium. Auch Zuschauer wird es heuer wie bei den meisten Großveranstaltungen beim Frauen-Rennen (16.50 Uhr MESZ) und jenem der Männer (17.50 Uhr) keine geben.

Die Favoritenrolle fällt eindeutig Cambridge zu. Nicht nur weil das hellblaue Boot bei beiden Geschlechtern die letzte Ausgabe 2019 klar gewinnen konnte, sondern auch weil der Ruderclub der 812 Jahre alten Universität auf dem Great Ouse Heimvorteil hat. Der Cambridge-Achter trainiert traditionell auf dem Adelaide Straight genannten Flußabschnitt. „Wir kennen jeden Grashalm am Ufer. Es wird schön, in heimischen Gewässern zu rudern“, machte Sophie Paine, ihres Zeichens Präsidentin des Cambridge-Clubs, aus dem Heimvorteil keinen Hehl. Die Oxford-Teams hatten hingegen nur drei Tage vor dem Rennen Zeit, um sich auf die Gegebenheiten einzustellen.

Die Vorfreude bei den Ruderinnen und Ruderern beider Universitäten ist jedenfalls groß, nachdem im Vorjahr der Lockdown in Großbritannien auch dem „Boat Race“ den Garaus gemacht hatte. „Es fühlt sich irgendwie surreal an. Manche von uns trainieren seit fast zwei Jahren für diese gerade einmal 16 Minuten dieses Jahres“, sagte Paine mit Hinweis auf die Renndauer. Cambridge hat auch in der ewigen Statistik die Nase vorne. Bei den Männern führen die Hellblauen, die auf den dritten Sieg en suite aus sind, gegen die Dunkelblauen bei einem „toten Rennen“ ohne Sieger mit 84:80, bei den Frauen steht es 44:30 für Cambridge.

Fluss in Ely
Reuters/Alexander Smith
Auf dem Great Ouse geht es deutlich idyllischer zu als auf der Themse inmitten der pulsierenden Metropole London

Erstmals Schiedsrichterin im Männer-Rennen

Die 166. Ausgabe der Männer darf aber nicht nur aufgrund der Verlegung des Rennens als historisch bezeichnet werden. Denn erstmals in der Geschichte wird der Wettstreit der Ruderer mit Sarah Winckless von einer Frau geleitet. Die 47-Jährige, die bereits im Vorjahr bei der abgesagten Ausgabe als Schiedsrichterin vorgesehen gewesen wäre, war selbst als erfolgreiche Ruderin aktiv. Winckless holte sich neben zweimal WM-Gold im Doppel-Vierer bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 Bronze im Doppel-Zweier.

Dass die Augen am Sonntag nicht nur auf die Aktiven, sondern auch auf die Vorreiterin in der Umpire-Rolle gerichtet sind, ist Winckless bewusst. „Es ist eine unglaubliche Verantwortung“, sagte die Engländerin der BBC, „du hast sprichwörtlich die Träume von jungen Menschen in deiner Hand.“ Die Rolle der Unparteiischen ist heuer überhaupt fest in weiblicher Hand. Das eine Stunde vor den Männern angesetzte Rennen der Frauen wird von Judith Packer geleitet. „Es ist großartig, dass es endlich passiert und die Welt uns als Schiedsrichterinnen sieht“, so die ehemalige Oxford-Studentin, „ich hoffe, wir sind eine Inspiration für die nächsten Generationen.“