Formel 1

Reifenschachzug bringt Hamilton Sieg

Weltmeister Lewis Hamilton hat am Sonntag im Grand Prix von Spanien in Barcelona nach einer taktischen Meisterleistung seines Mercedes-Teams einmal mehr das bessere Ende für sich gehabt. Der WM-Leader siegte im Reifenpoker gegen seinen Red-Bull-Kontrahenten Max Verstappen, der über weite Strecken das Feld anführte. Dritter wurde mit Valtteri Bottas ein weiterer Mercedes-Pilot.

Für Hamilton, der sich bereits im Qualifying seine 100. Poleposition geholt hatte, war es der 98. Karriereerfolg, der fünfte in Folge auf dem Circuit de Catalunya. Fünf Siege en suite auf derselben Rennstrecke hat in der F1-Geschichte bisher nur Ayrton Senna in Monaco geschafft. Auch die Mercedes-Serie hielt in Barcelona an: Acht der letzten neun Rennen in Spanien gingen an die in Schwarz fahrenden Silberpfeile.

„Guter Job mit dieser Strategie“, gratulierte Weltmeister Hamilton bei der Zieldurchfahrt. „Großartige Strategie und mutiges Fahren“, gab Teamchef Toto Wolff das Kompliment an seinen Superstar zurück. In der WM-Wertung liegt der Brite vor dem nächsten Grand Prix am 23. Mai in Monte Carlo mittlerweile 14 Punkte vor seinem ersten Verfolger Verstappen.

Verstappen bringt Red Bull in die Bredouille

Bei Red Bull war nach dem Rennen die Überlegenheit der Mercedes Hauptgrund für die Niederlage. Zur am Ende missglückten Reifentaktik sei man aber auch durch einen Fehler von Verstappen gezwungen worden, meinte Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko im Interview in der ORF-Sendung „Motorhome“: „Max ist unaufgefordert an die Box gekommen.“

„Es gab ein Missverständnis“, gestand auch Verstappen nach dem Rennen. „Es war eine andere Runde gemeint.“ Durch seinen verfrühten Stopp brachte der Niederländer nicht nur die Abläufe in der Box durcheinander, sondern auch die weitere Reifentaktik.

„Es war die nächste Runde gemeint. Dadurch waren wir ausgeliefert“, sagte auch Marko. „Danach gab es kein gutes Fenster mehr, noch einmal die Reifen zu wechseln. Das Renntempo der Mercedes war einfach deutlich über unserem. Wir sind mit dem Rücken zur Wand gestanden.“

Verstappen zieht am Start durch

„Wenn man hier nach der ersten Runde vorne liegt, dann kann man das Tempo kontrollieren“, sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff schon vor dem Rennen. Doch es waren nicht die Mercedes, denen dieses Vorhaben auf dem Circuit de Catalunya, auf dem Überholen traditionell schwierig ist, gelang.

Start und erste Runde

Am Start konnte sich Verstappen mit einem gelungenen Manöver noch vor Pole-Mann Hamilton setzen.

Verstappen hatte den um Nuancen besseren Start und zog in der ersten Kurve innen ohne Zögern an Pole-Mann Hamilton vorbei. Der Brite konnte im letzten Moment eine Berührung der beiden Autos verhindern. Auch Charles Leclerc nutzte die Möglichkeit und fuhr am zweiten Mercedes von Valtteri Bottas vorbei auf Platz drei. Verstappen setzte sich rasch vom Feld ab.

Reifenpoker nach Safety-Car-Phase

In der achten Runde wurde die Tempojagd an der Spitze wieder eingebremst. Der Japaner Yuki Tsunoda hatte seinen Alpha Tauri ausgangs Kurve zehn am Streckenrand nach einem Defekt abgestellt, dieser musste während einer Safety-Car-Phase abgeschleppt werden. Einige Fahrer nutzten die Möglichkeit für einen Reifenwechsel.

Doch die Pneus hielten im Rennverlauf jedoch besser als vermutet, und so fuhren Verstappen und Hamilton im Gleichschritt, der Brite immer rund eine Sekunde hinter dem Niederländer, einsam an der Spitze: Einander belauernd, wer denn wann oder ob überhaupt, an die Box fährt.

Hamilton vorerst in der Defensive

In der 25. Runde war es Verstappen, der sich – wie man später wusste, irrtümlich – zum frühen Reifenwechsel wagte. Die Red-Bull-Crew, die den Weltrekord im Reifenwechsel hält, benötigte diesmal unübliche 4,2 Sekunden, weil ein Ersatzreifen noch nicht parat war. Hamilton witterte seine Chance, den Vorsprung zu vergrößern, und blieb noch für ein paar Runden im Rennen. Doch Verstappen drückte aufs Tempo und machte Zeit wieder gut.

Red Bull verpatzt Verstappen-Stopp

Zunächst hatte Red Bull aus dem verpatzten Boxenstopp von Verstappen keinen Nachteil.

Vier Runden später kam auch der WM-Leader an die Box und reihte sich sechs Sekunden hinter dem Red Bull wieder auf Rang zwei ein. In der Folge verkleinerte der Mercedes den Abstand sukzessive, und zur Halbzeit des Rennens „klebte“ Hamilton wieder an Verstappen dran. Nach einer kurzen „Sturm und Drang“-Sequenz stellt der siebenfache Weltmeister seine Bemühungen vorerst wieder ein.

Mercedes dreht den Spieß um

In der 44. Runde holte Mercedes Hamilton zum zweiten Mal in die Box und verpasste dem Weltmeisterauto einen Satz gebrauchter Medium-Reifen. Damit setzte das Team von Toto Wolff Red Bull unter Druck und zwang diese quasi, an einer Einstoppstrategie festzuhalten. „Sie hatten zu viele Reifen verbraucht“, meinte Wolff nach dem Rennen. „An der Spitze konnte Red Bull so einen Gamble auch nicht eingehen und den ersten Platz aufgeben.“

Hamilton überholt Verstappen

Sechs Runden vor Schluss konnte Verstappen Hamilton nicht mehr hinter sich halten.

„Ich sehe nicht, wie wir das schaffen sollen“, meinte Verstappen schon während des Rennens im Teamfunk, da er nun 42 Runden mit den gleichen Reifen bestreiten musste. Zehn Runden vor Schluss startete Hamilton seinen nächsten Anlauf, Verstappen von der Spitze zu verdrängen. Sechs Runden vor Schluss war es dann so weit: Hamilton zog mit DRS-Unterstützung auf der Start-Ziel-Geraden an Verstappen vorbei und raste Richtung 98. Sieg.

In der Jagd ist der Jäger im Vorteil

„Es war ein ganz enger Start. Danach war es eine Jagd, ich war immer knapp dran. Es ist ein Spiel gewesen. Wir wussten, wir haben zwei Medium-Reifen, deswegen machen wir zwei Stopps. Mit einem Stopp wäre es hier zu hart gewesen. Eine knappe Sache. Der Sieg gehört zu einem guten Teil dem Team.“

ORF-Experte Alexander Wurz war jedenfalls begeistert vom Verlauf des Rennens: „Ich ziehe meinen Hut. Aber es war als Jäger auch leichter, den Gejagten mit diesem Manöver in die Enge zu treiben. Allerdings muss man das alles auch so gut exekutieren. Mercedes profitierte natürlich auch von seinem höheren Topspeed. Das war das Allerfeinste, was der Rennsport zu bieten hat.“

Grand Prix von Spanien

Endstand nach 66 Runden (308,4 km):
1. Lewis Hamilton GBR Mercedes 1:33:07,680
2. Max Verstappen NED Red Bull + 15,841
3. Valtteri Bottas FIN Mercedes 26,610
4. Charles Leclerc MON Ferrari 54,616
5. Sergio Perez MEX Red Bull 1:03,671
6. Daniel Ricciardo AUS McLaren 1:13,768
7. Carlos Sainz ESP Ferrari 1:14,670
8. Lando Norris GBR McLaren 1 Runde
9. Esteban Ocon FRA Alpine 1 Runde
10. Pierre Gasly FRA Alpha Tauri 1 Runde
11. Lance Stroll CAN Aston Martin 1 Runde
12. Kimi Räikkönen FIN Alfa Romeo 1 Runde
13. Sebastian Vettel GER Aston Martin 1 Runde
14. George Russell GBR Williams 1 Runde
15. Antonio Giovinazzi ITA Alfa Romeo 1 Runde
16. Nicholas Latifi CAN Williams 1 Runde
17. Fernando Alonso ESP Alpine 1 Runde
18. Mick Schumacher GER Haas 2 Runden
19. Nikita Masepin RUS Haas 2 Runden

Out: Yuki Tsunoda (JPN/Alpha Tauri)

Schnellste Runde: Verstappen 1:18,149 (62.)