Aleksandar Dragovic, 2016
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Fußball-EM

Dragovic hat noch eine Rechnung offen

Für ÖFB-Routinier Aleksandar Dragovic soll die am Freitag beginnende EM eine Art Wiedergutmachung bringen. Bei der verpatzten Endrunde 2016 war der damalige Abwehrchef einer von Österreichs Unglücksraben. Im Auftaktspiel gegen Ungarn (0:2) wurde er ausgeschlossen, beim 0:0 gegen Portugal fehlte er gesperrt, gegen Island (1:2) schoss er einen Elfmeter an die Stange. Alessandro Schöpf hat bessere Erinnerungen.

„Gestern war gestern, heute ist heute. Vielleicht haben wir damals nach der Quali geglaubt, wir sind die Könige. Aber wir reden nicht über 2016, sondern fokussieren uns voll auf Nordmazedonien. Wir haben etwas gutzumachen“, sagte Dragovic, der nach der EM bei Roter Stern Belgrad spielen wird. Das treffe auch auf ihn zu.

Der 30-Jährige ist einer von acht Akteuren im ÖFB-EM-Kader, der bereits bei der Endrunde vor fünf Jahren in Frankreich mit dabei war. David Alaba, Marko Arnautovic, Julian Baumgartlinger, Martin Hinteregger, Stefan Ilsanker, Marcel Sabitzer und Schöpf spielten 2016 auch im Team, das am Ende mit einem Punkt Gruppenletzter wurde.

„Wir wollten zu viel“

„Wir haben es beim letzten Mal verkackt. Wir haben uns zu viel Druck gemacht, wir wollten zu viel“, sagte der Verteidiger. „Daraus müssen wir lernen.“ Man wolle besser abschneiden als 2016, als nach einer eindrucksvollen Qualifikation bereits in der Gruppenphase das Aus kam. „Aber wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen.“

Aleksandar Dragovic
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Solche Szenen wie beim EM-Spiel 2016 gegen Island will Dragovic nicht mehr erleben

Einen Elfmeterschützen Dragovic wird man bei der bevorstehenden EM wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen. „Ich bin auf jeden Fall weit hinten in der Liste“, schmunzelte der Abwehrspieler. Alaba, Sabitzer oder Arnautovic seien die ersten Anwärter auf eine Ausführung.

„Brauchen noch das eine oder andere Jahr“

2016 unter Marcel Koller waren die Erwartungen groß gewesen. Fünf Jahre später unter Franco Foda ist nach Rückschlägen zum Auftakt der WM-Qualifikation im März, darunter einer 0:4-Abfuhr in Wien gegen Dänemark, von Euphorie wenig zu spüren. „Es sind uns vielleicht wieder einmal die Grenzen aufgezeigt worden, dass wir noch nicht so weit sind, wie viele denken“, sagte Dragovic dazu vor einiger Zeit.

„Auf die europäische Topspitze fehlt uns noch das gewisse Etwas. Wir sind eine sehr gute, aufstrebende Mannschaft, aber für ganz oben müssen wir meiner Meinung nach noch hart arbeiten. Da brauchen wir noch das eine oder andere Jahr.“ Was fehle, sei vor allem Konstanz. „Wir spielen teilweise ganz gut, bringen es aber nie 90 Minuten über die Bühne.“

Das hat man zuletzt auch beim 0:0 gegen die Slowakei gesehen. Bei der EM-Generalprobe, die Dragovic von der Bank verfolgt hat, führten mehrere Schnitzer zu slowakischen Großchancen. „Wir sind alle Menschen, Fehler gehören dazu“, sagte der gegen die Slowaken geschonte Dragovic und mahnte zur Besonnenheit. „Wir brauchen uns nicht verrückt machen oder zu viel Druck machen, wir müssen einfach an uns glauben. Jeder muss frei von der Leber weg spielen, natürlich mit einer gewissen Absicherung.“

„Es gibt keine schwachen Gegner mehr“

Bei der EM soll es Schritt für Schritt gehen. Das Wichtigste sei, das Auftaktspiel am 13. Juni in Bukarest gegen Nordmazedonien nicht zu verlieren. „Wir sind Österreich, da muss jeder an die 100 Prozent kommen, sonst wird es sehr, sehr schwierig“, sagte Dragovic. „Es ist eine sehr ausgeglichene Gruppe. Nordmazedonien hat gegen Deutschland gewonnen, es gibt keine schwachen Gegner mehr.“

Aleksandar Dragovic
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Der Abwehrspieler weiß, was auf ihn zukommt

Nach dem Match gegen Nordmazedonien folgen Duelle mit den Niederlanden (17. Juni in Amsterdam) und der Ukraine (21. Juni erneut in Bukarest). Dragovic: „Natürlich ist unser Ziel, die Gruppe zu überstehen, sonst brauchen wir gar nicht hinfliegen. Wir brauchen aber auch nicht große Töne spucken und sagen, wir kommen da leicht weiter. Es wird jedes Spiel brutal hart, da muss jeder an seine Grenzen gehen. Dann bin ich zuversichtlich, dass wir gut abschneiden werden.“

Entscheidend sei ohnehin eine geschlossene Teamleistung. „Wenn wir nur elf Egoisten auf dem Platz haben, werden wir nicht weit kommen. Der Schlüssel ist, dass die Mannschaft gut harmoniert.“

90 Länderspiele mit Höhen und Tiefen

Dragovic selbst hält bei 90 Länderspielen. Beim Turnier könnte er nicht nur die Marke von Gerhard Hanappi (93 Länderspiele) einstellen, sondern bei einem Viertelfinal-Einzug in der ewigen ÖFB-Einsatzbilanz auch mit dem zweitplatzierten Toni Polster (95) gleichziehen. Nur noch Andreas Herzog (103) läge dann vor ihm.

„Natürlich macht es mich stolz, dass ich mittlerweile zwölf Jahre im Nationalteam bin, dass ich alles miterlebt habe an Höhen und Tiefen“, sagte der Wiener. Entscheidend sei aber der Erfolg der Mannschaft. „Alles andere kommt von alleine. Es ist schön, wenn ich noch ein paar mehr Spiele drauf habe. Aber ich mache mich nicht verrückt, dass ich noch auf Andi Herzog kommen könnte.“

Schöpf hat gute Erinnerungen an 2016

Alessandro Schöpf ist unterdessen der wohl einzige Spieler, der relativ gute Erinnerungen an das Turnier in Frankreich hat. Der Tiroler zählte leistungsmäßig zu den wenigen heimischen Lichtblicken und erzielte auch das einzige ÖFB-Tor, das allerdings wegen der 1:2-Niederlage gegen Island wertlos war.

Dennoch denkt Schöpf gerne an die Endrunde 2016 zurück, wie er am Donnerstag in Seefeld erzählte. „Ich habe sehr schöne Erinnerungen an die EM. Jetzt hoffe ich, dass wir diese EM als Mannschaft positiver bestreiten und dass ich mich an die bevorstehende EM genauso gerne zurückerinnere wie an die letzte.“

Alessandro Schöpf trifft gegen Island, 2016
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Mit links erzielte Schöpf das zweite EM-Tor der ÖFB-Geschichte, die Isländer gewannen aber und stiegen auf

Schöpf hält bei 26 Länderspielen und fünf Toren, seine Treffer hatten fast alle großen Wert. Im Oktober schoss er das ÖFB-Team in der Nations League zu einem 1:0-Auswärtssieg gegen Rumänien. Sein Tor zum 2:1-Endstand am 2. Juni 2018 in Klagenfurt gegen Deutschland bedeutete den ersten Sieg über den großen Nachbarn seit 32 Jahren. Drei Tage zuvor hatte der Offensivmann die Auswahl zu einem 1:0-Erfolg über den späteren WM-Viertelfinalisten Russland geschossen.

Schöpf auf Clubsuche

Wohl auch deswegen hält Teamchef Franco Foda große Stücke auf den 27-Jährigen, obwohl dessen Saison bei Schalke überaus enttäuschend verlief. Die „Königsblauen“ stiegen als abgeschlagener Letzter ab, Schöpfs Vertrag wurde nicht verlängert, weshalb der Flügel ohne Club dasteht. „Ich hatte so eine Situation noch nie in meiner Karriere.“

Gute Leistungen bei der EM könnten die Vereinssuche erleichtern. „Ich will jetzt einfach täglich im Training Gas geben und dem Trainer zeigen, dass ich eine Option sein kann. Die EM ist eine Riesenbühne. Ich hoffe, dass ich Einsatzzeiten bekomme, meine Leistungen abrufen kann und so auch ein kleines Bewerbungsschreiben abgeben kann.“