Belgiens Eden Hazard
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Fußball-EM

Die Zeit drängt für Belgiens „Rote Teufel“

Die Krönung blieb Belgiens „Goldener Generation“ bisher verwehrt. Seit die „Roten Teufel“ vor knapp zehn Jahren aus der zwischenzeitlichen Versenkung zurück in den Fokus gerückt sind, laufen sie einem Titel hinterher. Seither reisen sie als Geheimfavoriten zu Turnieren, Platz drei bei der WM 2018 war jedoch das Höchste der Gefühle. Seit Jahren verliert der Weltranglistenerste kaum mehr ein Spiel, Eden Hazard und Co. sind überreif für Großes. Die Zeit scheint aber zu drängen.

Vor dem Turnierstart am Samstag (21.00 Uhr, live in ORF1) in St. Petersburg gegen Russland lassen vor allem Verletzungen Zweifel daran aufkommen, dass es diesmal für den ersten Titel reichen wird. Im Eröffnungsspiel der Gruppe B, in die auch Dänemark und Finnland gelost wurden, fallen Kevin De Bruyne und der rekonvaleszente Axel Witsel aus.

De Bruyne hatte sich vor zwei Wochen im Champions-League-Finale Gesichtsverletzungen zugezogen und war danach operiert worden. Zudem könnte Kapitän Eden Hazard auszufallen. Der Real-Legionär dürfte nach einer verletzungsgeplagten Saison aber zumindest auf der Bank sitzen. Das Trio könnte man auch als Herzstück der Mannschaft bezeichnen.

Gruppe B, erster Spieltag

Samstag, 21.00 Uhr, live in ORF1:

Belgien – Russland

St. Petersburg, SR Mateu Lahoz (ESP)

Mögliche Aufstellungen:

Belgien: Courtois – Alderweireld, Denayer, Vertonghen – Castagne, Tielemans, Dendoncker, Carrasco – Mertens, T. Hazard – Lukaku

Russland: Schunin – Fernandes, Dschikia, Semenow, Schirkow – Sobnin, Osdojew – Mirantschuk, Kusjajew, Golowin – Dsjuba

Ältester und erfahrenster Kader

Das einst junge Team ist noch nicht überaltert, der eine oder andere Spieler scheint seinen Zenit jedoch schon überschritten zu haben. Jan Vertonghen, Toby Alderweireld, Thomas Vermaelen, Dries Mertens, Hazard und Witsel sind über 30. Thibaut Courtois, Kevin De Bruyne und Romelu Lukaku knapp darunter. Die Belgier stellen mit einem Durchschnittsalter von 28,7 Jahren den ältesten und auch erfahrensten Kader aller EM-Teams. Sie stehen unter Erfolgsdruck.

„Ich denke, es lautet ‚jetzt oder nie‘ für sie. Viele der Spieler haben nun das perfekte Alter, um es zu schaffen“, sagte Jose Mourinho im britischen Sportradio talkSPORT über die Belgier. Deren Weg zur EM war mit zehn Siegen in zehn Qualispielen bei 40:3 Toren praktisch makellos. Bei der EM sollte für Belgien die Gruppe B mit dem Auftaktduell gegen Russland und danach gegen Dänemark sowie Finnland noch kein Gradmesser sein.

Nur vier Niederlagen in 56 Spielen

Unter dem seit fast fünf Jahren als Teamchef tätigen Roberto Martinez hat Belgien nur vier von 56 Spielen verloren. Weh tat das Aus im WM-Halbfinale 2018 gegen den späteren Champion Frankreich als bessere Elf. Bei der WM vier Jahre davor war für Hazard und Co. im Viertelfinale gegen Argentinien Endstation, bei der EM 2016 ebenfalls im Viertelfinale überraschend gegen Wales. Danach übernahm Martinez.

Belgiens Teamchef Roberto Martinez
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Teamchef Roberto Martinez hofft erneut auf den großen Wurf mit Belgien

Der Spanier vertraut auf seinen bewährten Kader. Von den acht Belgiern mit den meisten Länderspielen in der Geschichte des Landes stehen nicht weniger als sechs im EM-Kader. Auch die besten beiden Torschützen des Landes, Rekordtorjäger Lukaku (60 Tore) und Hazard (32), sind noch aktiv.

Eine Bank ist Lukaku. Der 28-Jährige von Inter Mailand ist für gegnerische Verteidiger beinahe nicht zu stoppen. 60 Tore in 93 Länderspielen sprechen für die Qualitäten des 1,90-Meter-Manns. Lukaku soll Garant dafür sein, dass Belgien der große Wurf gelingt. Der Torschütze selbst meinte nach dem Erfolg gegen Kroatien: „Nun geht es darum, fokussiert zu werden und alle Spieler zu hundert Prozent fit zu bekommen. Dann ist viel möglich.“

Belgiens Romelu Lukaku
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Romelu Lukaku wird bei der EM sein Torkonto im Nationalteam wohl erhöhen

Keine Zweifel an Hazard

Hinter der Fitness einiger Spieler steht aber ein Fragezeichen. Am Beispiel Hazard zeigt sich das aktuelle Problem der Belgier auf: Wichtige Stützen gehen nicht unbedingt in Bestform ins Turnier. Der Real-Legionär plagt sich seit seinem Wechsel von Chelsea nach Madrid mit Verletzungen herum. Erst im Mai kam er wieder regelmäßig zum Einsatz. Für Martinez kein Grund, an ihm zu zweifeln.

Im letzten EM-Test, einem 1:0 gegen Kroatien, kam der Offensivstar nach eineinhalb Jahren Pause im Team aber nur zu einem achtminütigen Kurzeinsatz. „Es kommt nicht darauf an, wie lange Eden spielt, sondern dass er spielt. Das ist mental ein großer Schritt“, meinte Martinez. „Wann Eden wieder für 90 Minuten bereit ist? Das ist schwer zu sagen“, sagte der Nationaltrainer.

De Bruyne zog sich im CL-Finale Brüche im Gesicht zu und droht in den ersten Partien auszufallen. Mit dem Legionär von Manchester City plant Martinez wohl erst in der K.-o.-Phase richtig. Dortmunds Witsel hat nach einem Achillessehnenriss seit Jänner kein Spiel mehr bestritten. Positiv für die Belgier: Mit dem 24-jährigen Mittelfeldmann Youri Tielemans von Leicester City oder dem 19-jährigen Flügelstürmer Jeremy Doku von Stade Rennes stehen auch junge Kräfte parat.

Russland bekundet Respekt

Das Duell mit Russland hat es schon in der Quali für das transeuropäische Turnier zweimal gegeben – jeweils mit dem gleichen Ausgang: Die von Stanislaw Tschertschessow trainierten Russen hatten keine Chance. Einem 3:1 in Brüssel folgte im November 2019 ein 4:1-Auswärtserfolg in St. Petersburg. Dort dürfen am Samstag immerhin maximal 30.500 Fans ins Stadion – das dritthöchste Maximalkontingent von allen EM-Gastgeberstädten.

Russlands Teamchef Stanislav Cherchesov
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Tschertschessow will mit Russlands Team überraschen

Der einstige FC-Tirol-Keeper Tschertschessow bezweifelt trotzdem, dass es so etwas wie echten Heimvorteil geben wird. „Auf der einen Seite ist es natürlich ein Vorteil, aber auf der anderen Seite liegt es nur an uns und daran, wie wir uns vorbereiten“, erklärte der 57-Jährige. Bei der WM 2018 im eigenen Land war die „Sbornaja“ erst im Viertelfinale im Elfmeterschießen am späteren Vizeweltmeister Kroatien gescheitert. In der EM-Qualifikation blieben die Belgien-Spiele die einzigen zwei Niederlagen, das ergab den zweiten Platz.

„Ja, sie haben ein starkes Team, aber wir werden alles versuchen, um gegen sie gut auszuschauen“, sagte Anton Schunin, der Igor Akinfejew als Torhüter nachfolgte. Nicht überraschend wäre, wenn Tschertschessow eine Defensivtaktik mit fünf Abwehrspielern und einer Viererkette davor wählen würde, um die Gäste zu frustrieren. Auf diese Weise mauerte Russland bei der Heim-WM vor drei Jahren im Achtelfinale ein 1:1 gegen Spanien heraus. Das führte letztlich zu einem Sieg im Elfmeterschießen.