BIld zeigt die französische Nationalmannschaft bei der Hymne vor dem Spiel.
Reuters/Vasily Fedosenko
Fußball-EM

Frankreich auf besonderer Mission

In der Gruppe F der EM 2021 mit Deutschland, Frankreich, Portugal und Ungarn könnte ein Titelkandidat in der Vorrunde auf der Strecke bleiben. Für die meisten Buchmacher gilt es als sicher, dass Frankreich es nicht sein wird. Der regierende Weltmeister steht auf der Favoritenliste ganz oben und könnte seinem Teamchef Didier Deschamps einen historischen Erfolg bescheren. Das Gefühl als Spieler Welt- und Europameister hintereinander zu werden, kennt der 52-Jährige schon. Der Klassiker gegen Deutschland ist am Dienstag (21.00 Uhr, live in ORF1) der Auftakt einer speziellen Mission.

Die Franzosen, die sich vor drei Jahren in Russland zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die WM-Krone aufsetzten, könnten bei den 16. europäischen Titelkämpfen nun zum insgesamt dritten Mal nach 1984 und 2000 – als man zwei Jahre nach dem WM-Titel 1998 gewann – am Ende als Gewinner dastehen. Damit würde die „Equipe Tricolore“ mit Deutschland und Spanien als EM-Rekordgewinner gleichziehen.

„Das ist gleich ein riesen Knallerspiel. Für Deutschland. Und auch für uns“, sagte Deschamps in der Pressekonferenz am Montagnachmittag. Während Deschamps aber glaubt, dass am Dienstag noch keine Entscheidung über das Weiterkommen fällt, rechnet sein Kapitän Hugo Lloris der Partie größere Bedeutung zu. „Das ist direkt ein Schlüsselspiel. Wenn wir Geschichte schreiben wollen, müssen wir direkt da sein.“

Gruppe F, erster Spieltag

Dienstag, 21.00 Uhr (live in ORF1):

Frankreich – Deutschland

München, SR Del Cerro Grande (ESP)

Mögliche Austellungen:

Frankreich: Lloris – Pavard, Varane, Kimpembe, Hernandez – Pogba, Kante, Tolisso – Griezmann – Benzema, Mbappe

Deutschland: Neuer – Ginter, Hummels, Rüdiger – Kimmich, Kroos, Gündogan, Gosens – Havertz, Gnabry, Müller

Optimismus bei Deutschland

In der fordernden Gruppe F ist ein beschaulicher EM-Auftakt nicht drin. „Der größte Gegner ist erstmal die Gruppe. Die zu überstehen, wäre schon mal ein Statement“, sagte Deutschlands Toni Kroos über die Ausgangslage. Coach Joachim Löw geht 14 Jahre, neun Monate und 30 Tage nach seinem ersten Spiel und zum Abschluss seiner Ära als Bundestrainer „mit sehr viel Vorfreude und einem gesunden Optimismus in das Turnier“, wie er betonte.

Deutschland bestreitet gegen Frankreich das 50. Spiel bei einer EM-Endrunde seit 1972. So oft war keine andere Mannschaft bei einem Kontinentalturnier im Einsatz. Nur zwölf Partien gingen für den dreifachen Europameister verloren, die bisher letzte beim 0:2 im Halbfinale 2016 gegen Frankreich. Bei der WM in Brasilien hatte sich zwei Jahre davor im Viertelfinale Deutschland durchgesetzt (1:0).

Rekorde für Deschamps zweitrangig

Deschamps durfte vor 21 Jahren als Kapitän Frankreich als ersten regierenden Weltmeister auch zum EM-Titel führen. Heuer können die Franzosen nicht nur als erste Mannschaft überhaupt den Coup des Titeldoubles wiederholen, sondern ihren Teamchef auch zum bisher einzigen Trainer küren, der sowohl Welt- als auch Europameister wurde. Dass er damit doppelt Geschichte schreiben würde, hat für ihn keine große Bedeutung. „Auch wenn ich immer ein Wettkämpfer bin, jage ich dem nicht hinterher. Rekorde waren nie eine treibende Kraft für mich“, sagte der 52-Jährige gegenüber dem deutschen Magazin „kicker“.

Der ehemalige französische Fußballer Didier Deschamps.
Reuters/Jerry Lampen
Vor 21 Jahren stemmte Deschamps zwei Jahre nach dem WM- auch den EM-Pokal

Schon jetzt ist Deschamps – neben Franz Beckenbauer und Mario Zagallo – einer von drei Akteuren, die als Spieler und Coach Weltmeister wurden. Die Endrunde in Russland war das große Highlight, nachdem man davor auch im EM-Finale gegen Portugal (2016) gestanden war. In der neunjährigen Amtszeit Deschamps ging es nur bergauf. Und geht es nach Deschamps, soll der Aufwärtstrend nicht aufhören, auch wenn sein Vertrag vorerst nur bis zum Ende der WM 2022 in Katar gültig ist. „Ich denke aktuell nicht darüber nach, wieder ein Clubtrainer zu sein. Ich bin sehr glücklich“, sagte der 103-fache Ex-Teamkicker.

Noch glücklicher würde ihn Frankreichs dritter EM-Titel nach 1984 und 2000 machen. Auf dem Weg warten mit Deutschland und Titelverteidiger Portugal, der den Franzosen vor fünf Jahren im Finale mit einem 1:0-Sieg in der Verlängerung die Titelparty auf eigenem Boden vermasselte, gleich in der Gruppenphase zwei große Brocken. Anlaufschwierigkeiten wie in früheren Turnieren darf man sich keine erlauben. Bereits das erste Match in München gegen Deutschland (Dienstag, 21.00 Uhr live in ORF1) ist richtungsweisend.

Comeback von Benzema

Um das Ziel zu erreichen, ließ Deschamps im Vorfeld nichts unversucht. Sogar Stürmerstar Karim Benzema wurde für die EM pardoniert. Der Real-Star gab beim 3:0 im Testspiel gegen Wales nach mehr als fünfeinhalbjähriger Abwesenheit sein Comeback im Teamdress und bot abgesehen von einem vergebenen Elfmeter eine ansprechende Leistung. Bei der Generalprobe am vergangenen Dienstag gegen Bulgarien – auch ein 3:0-Sieg – schied er allerdings vor der Pause am Knie angeschlagen aus.

Auf Benzema lastet jedenfalls großer Druck. Nicht nur wegen seiner 30 Tore in 46 Pflichtspielen für Real Madrid, sondern auch weil seine Nominierung überraschend kam. Der Stürmer war wegen seiner Verwicklung in den Fall um eine Erpressung von Mathieu Valbuena Ende 2015 zunächst suspendiert und dann nicht mehr berücksichtigt worden. Die Causa ist noch immer nicht ausgestanden, im Oktober muss der 33-Jährige erneut vor Gericht erscheinen. Um erfolgreich zu sein, wurde darüber hinweggesehen, zudem wurden auch die alten Meinungsverschiedenheiten mit Deschamps ausgeräumt. „Was passiert ist, ist passiert. Jetzt zählt, was auf dem Platz passiert, da will ich mein Bestes zeigen“, sagte Benzema.

Der französische Fußballer Karim Benzema in Action.
Reuters/Eric Gaillard
Benzema (r.) ist nach fünf Jahren auf der „Strafbank“ heuer wieder mit von der Partie

Starensemble noch kein Erfolgsgarant

Die Hoffnungen sind groß, dass der Routinier sein Torkonto im Teamdress von 27 Treffern in 83 Länderspielen aufbessern kann. „Jeder, nicht nur ein Spieler, muss auf seinem besten Level sein“, nahm Kapitän Hugo Lloris den Druck von Benzema. Das unterstrich auch Deschamps. „Ich möchte die drei Stürmer nicht vom Rest der Mannschaft trennen. Unser Abschneiden wird davon abhängen, was jeder Einzelne bringen wird. Da gehören die Verteidiger und Mittelfeldspieler genauso dazu.“

Im Sturm scheinen grundsätzlich Benzema neben Kylian Mbappe und dahinter Antoine Griezmann gesetzt. Wenn man dann auch noch einen wie Olivier Giroud, der am Dienstag doppelt traf, in der Hinterhand hat, kann man personell nicht besser aufgestellt sein. Ein ähnliches Prunkstück ist dahinter das Mittelfeld rund um Paul Pogba und Champions-League-Sieger N’Golo Kante. „Er würde sich den Ballon d’Or verdienen. Er ist immer eine treibende Kraft, von der Körpergröße zwar klein, aber aus sportlicher Sicht riesengroß“, lobte Deschamps den Chelsea-Motor. Viele hochkarätige Spieler im Team zu haben sei ein großes Privileg, so Deschamps. Allerdings: „Es ist keine Garantie für den Erfolg.“