Fußball-EM

Sterling beschert England Start nach Maß

Nach Italien und Belgien hat am Sonntag mit England auch ein weiterer Titelanwärter bei der EM-Endrunde 2021 einen Start nach Maß hingelegt. Die Engländer setzten sich im Schlager der Gruppe D im Wembley-Stadion gegen Kroatien mit 1:0 (0:0) durch und machten damit den ersten Schritt in Richtung des ersten Titels seit dem WM-Sieg 1966.

Vor 22.500 zugelassenen Zuschauern im Wembley-Stadion, wo am 11. Juli auch das Finale der transkontinentalen Europameisterschaft stattfinden wird, wurde Raheem Sterling in der 57. Minute zum Matchwinner und sorgte für einen letztlich verdienten Sieg der Mitveranstalter. Denn die Engländer hatten vor allem in der ersten Hälfte mehrere hochkarätige Chancen – darunter einen Stangenschuss – zu verzeichnen. Kroatien kam gegen die gut eingestellte Abwehr der „Three Lions“ hingegen kaum zum Zug.

England revanchierte sich mit dem Auftaktsieg auch erfolgreich für die Niederlage im WM-Halbfinale vor zwei Jahren. Damals hatte Kroatien mit 2:1 nach Verlängerung das bessere Ende für sich gehabt. Für die „Three Lions“ war es im elften Duell erste der sechste Sieg über die Kroaten, dafür aber der 16. Heimsieg in den jüngsten 17 Spielen. Das zweite Spiel der Gruppe D bestreiten erst am Montag im Hampden Park von Glasgow Österreichs WM-Qualigegner Schottland und Tschechien (15.00 Uhr, live in ORF1).

Keine Überraschungen vor Anpfiff

Sowohl Gareth Southgate als auch Zlatko Dalic sparten sich im ersten EM-Spiel 2021 die große personelle Überraschung. Wer das Testspiel der Engländer gegen Österreich aufmerksam verfolgt hatte, dem fiel auf, dass nur Kieran Trippier in der Startaufstellung anstelle von Luke Shaw aufgeboten wurde. Bei den Kroaten waren ebenfalls wie erwartet die bekanntesten Namen – von Luka Modric bis Ex-Salzburer Duje Caleta-Car – mit von der Partie.

Die Vorfreude unter den Zuschauern im Wembley-Stadion war beim ersten Auftritt der als Titelkandidaten gehandelten Engländer bei dieser Endrunde groß. Einige Fans der „Three Lions“ störten aber die positive Stimmung wie befürchtet, in dem sie das mittlerweile traditionelle Niederknien der Engländer als Zeichen gegen Rassismus mit Buhrufen bedachten. Der Appell der Mannschaft im Vorfeld, die Unmutsäußerungen zu unterlassen, war doch nicht überall auf fruchtbaren Boden gefallen.

England beginnt überfallsartig

Mit den Unverbesserlichen im Publikum hielten sich Harry Kane und Co. aber nicht lange auf. Denn der Wille der Engländer, sich mit einem Auftaktsieg Selbstvertrauen zu holen und sich gleichzeitig für die Niederlage im WM-Halbfinale 2018 zu revanchieren, war offensichtlich. Bereits nach zehn Minuten hätte es locker 3:0 für England stehen können. Zuerst klatschte ein Schuss von Phil Foden von der Stange zurück (6.), dann verstolperte Raheem Sterling nach schöner Kombination (8.), und schließlich fand Kalvin Phillips mit einem Hammer von der Strafraumgrenze im kroatischen Goalie Dominik Livakovic seinen Meister (9.).

Stangenschuss durch Foden

Der 21-Jährige von Manchester City nimmt Maß, der Ball wird jedoch leicht abgefälscht und geht an die Stange.

Die Kroaten, immerhin Vizeweltmeister, waren angesichts des englischen Drucks offensiv kaum präsent. Nach 20 Minuten wies die Statistik 64 Prozent Ballbesitz für die Engländer aus. Kroatien tat sich schwer, sein Kombinationsspiel aufzuziehen, die Abwehr der Hausherren stand wie schon in den jüngsten Testspielen sicher und aufmerksam. Immerhin fing sich auch die kroatische Abwehr. Zu ähnlichen Topchancen wie in der ersten Viertelstunde kam England bis zur Pause nicht mehr. Ein Freistoß von Kieran Trippier aus guter Position blieb das letzte Highlight in Hälfte eins, doch anders als im Semifinale 2018 in der fünften Minute ging der Versuch des Mannes von Atletico Madrid in die Mauer und nicht ins Kreuzeck (43.).

Sterling bricht den Bann

Die zweite Hälfte begann zwar ohne personelle Veränderungen auf beiden Seiten, aber doch mit einer vom Auftritt veränderten kroatischen Mannschaft. Der Vizeweltmeister ging in der Anfangsphase der zweiten 45 Minuten deutlich giftiger und aggressiver ans Werk. Ein harter Einstieg von Mateo Kovacic, der mit der Gelben Karte „belohnt“ wurde (49.), war der beste Beweis dafür. Die forschere Gangart stellte die Engländer sichtlich vor Probleme, vom Tempo der ersten Hälfte war vorerst nichts zu sehen. Die erste Torchance hatten diesmal die Kroaten, Jordan Pickford packte bei einem Weitschuss von Modric aber im Nachfassen zu (55.).

Doch just in dem Moment, da aufgrund der Stehpartie auf dem Rasen so manchen Fan die Angst vor einer Nullnummer beschlich, brach Sterling nach einer schnellen Kombination den Bann: Kyle Walker von ManCity setzte Phillips von Leeds United ein, der steckte nach einem sehenswerten Haken durch auf Walkers Teamkollegen, und Sterling ließ Livakovic aus kurzer Distanz keine Chance – vor allem dank der Vorarbeit ein echter Treffer für die Highlight-Abteilung (57.).

Tor von Raheem Sterling (ENG)
AP/Laurence Griffiths
Sterling (Mi.) nutzte die ideale Vorarbeit seiner Kollegen zum ersten Tor der Endrunde im Wembley-Stadion

Die Erleichterung war nicht nur dem englischen Teamchef Southgate ins Gesicht geschrieben. Nur fünf Minuten später verfinsterte sich die Miene des Trainers aber bereits wieder, nachdem sein Kapitän Harry Kane bei der nächsten Chance der Engländer gegen die Torstange gerutscht war. Der 27-jährige Goalgetter blieb zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen, konnte jedoch nach kurzer Behandlung zur Erleichterung der englischen Fans weiterspielen.

Kroatien läuft sich fest

Sterlings Tor hatte dem Spiel das erhoffte neue Leben eingehaucht. Vor allem die Kroaten mussten ihre Offensivbemühungen wenig überraschend deutlich erhöhen. Als Folge davon ging es nun deutlich mehr hin und her als davor. Auch die Chancen wurden mehr. Zuerst schoss Ante Rebic aus guter Position am englischen Tor vorbei (66.), dann schlenzte auf der Gegenseite Mason Mount einen Freistoß über den Kasten (67.), und dann strich wieder ein Volleyschuss aus großer Distanz von Marcelo Brozovic am englischen Tor vorbei (70.).

Der Druck der Kroaten nahm nun mit jeder Minute, die verstrich, zu, Modric und Co. bissen sich jedoch immer wieder an der englischen Abwehr fest – eine Erfahrung, die bereits die Österreicher im Testspiel gemacht hatten. Selbst die Einwechslung von Bruno Petkovic, einem Mittelstürmer alter Prägung, konnte den Abwehrbeton der Hausherren nicht aufweichen.

Jude Bellingham (ENG) vor seinem EM-Debüt neben Englands Coach Gareth Southgate
Reuters/Andy Rain
Der Name Bellingham (l.) ist seit Sonntag auch ein Eintrag in den EM-Geschichtsbüchern

Apropos Einwechslung: Mit der Hereinnahme von Jude Bellingham in der 82. Minute schrieb England ein Stück EM-Geschichte. Der Legionär von Borussia Dortmund ist ab sofort mit 17 Jahren und 349 Tagen der bisher jüngste zum Einsatz gekommene Spieler bei einer Europameisterschaft. Bellingham und Co. brachten den Sieg schließlich über die Zeit und konnten das erste Spiel im Wembley erfolgreich abhaken. Zwei Vorrundenspiele, ein Achtel- und ein Semifinale sowie das Endspiel sollen in London aus englischer Sicht noch folgen.

Stimmen zum Spiel:

Gareth Southgate (England-Teamchef): „Es ist schön, dass wir unseren Fans und dem Land einen wirklich erfreulichen Nachmittag beschert haben. Die Spieler sind mit der großen Bühne richtig gut umgegangen. Vom Start weg, bei der unglaublichen Hitze, haben sie gut gespielt. Es gab Momente, wo das Tempo wegen der Hitze geringer war, aber über den Großteil der Partie hatten wir die Kontrolle und haben Kroatien wenige Möglichkeiten gelassen. Wir haben gefährlich gewirkt. Es war ein Tag, an dem alle, die auf dem Platz standen, eine gute Leistung gezeigt haben.“

Raheem Sterling (England-Torschütze): „Ich habe immer gesagt, dass ich, wenn ich im Wembley bei einem großen Turnier spiele, treffen muss. Es ist großartig, das jetzt geschafft zu haben. Es ist gut, mit einem Sieg zu starten. Es war das erste Spiel, und wir brauchten einen Sieg. Wir haben es zusammen erreicht. Wir haben mitunter guten Fußball gezeigt. Ich glaube, die Burschen waren großartig. Wir müssen weiter siegen, diese Siegermentalität haben und nach vorne schauen.“

Zlatko Dalic (Kroatien-Teamchef): „Gratulationen an England zum Sieg, aber auch unseren Spielern. Es war ein schwieriges Spiel, es war heiß. Wie erwartet mussten wir in den ersten 20 Minuten dem Druck standhalten. Danach hatten wir Kontrolle, mehr oder weniger. Dann gab es einen Fehler. Wir haben seit sieben Tagen darüber geredet, dass wir nicht aus der Formation geraten wollen. Sie haben den Raum genutzt und getroffen. England hat ein tolles Team. Wir waren die meiste Zeit ebenbürtig. Das ermutigt mich, es wird besser werden in den kommenden Spielen.“

EM 2021, Gruppe D, erster Spieltag

Sonntag:

England – Kroatien 1:0 (0:0)

London, Wembley-Stadion, 22.500 Zuschauer, SR Orsato (ITA)

Tor: Sterling (57.)

England: Pickford – Walker, Stones, Mings, Trippier – Philipps, Rice – Foden (71./Rashford), Mount, Sterling (92./Calvert-Lewin) – Kane (82./Bellingham)

Kroatien: Livakovic – Vrsaljko, Caleta-Car, Vida, Gvardiol – Modric, Brozovic (70./Vlasic), Kovacic (85./Pasalic) – Kramaric (70./Brekalo), Rebic (78./Petkovic), Perisic

Gelbe Karten: Foden bzw. Caleta-Car, Kovacic, Brozovic

Die Besten: Philipps, Mings, Sterling bzw. Modric