Jubel von Milan Skriniar (SVK)
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Fußball-EM

Slowakei bremst dezimierte Polen aus

Die polnische Nationalmannschaft hat einmal mehr ihr Eröffnungsspiel bei einer Endrunde verpatzt. Das Team um Weltfußballer Robert Lewandowski musste sich bei der Fußball-EM am Montag in St. Petersburg der Slowakei überraschend mit 1:2 (0:1) geschlagen geben. Die Slowaken nutzten dabei die Fehler des vermeintlichen Favoriten eiskalt aus. Vor allem ein polnischer Ausschluss eine halbe Stunde vor Schluss wurde zur Schlüsselszene.

Starverteidiger Milan Skriniar wurde vor 34.500 Zuschauern in der 69. Minute zum Matchwinner für die Slowaken, die bereits zur Pause nach einem Eigentor von Polens Goalie Wojciech Szczesny (18.) geführt hatten. Den Polen war zwar unmittelbar nach Wiederbeginn durch Karol Linetty der Ausgleich gelungen (46.), doch Gelb-Rot für Grzegorz Krychowiak rund eine halbe Stunde vor Schluss (62.) wurde schließlich zum Knackpunkt im Spiel.

Während den Slowaken in Gruppe E damit ein erster Schritt in Richtung K.-o.-Runde gelang, mussten die Polen erneut zum Auftakt einen Dämpfer hinnehmen. Seit der WM 2002 waren einer polnischen Auswahl in sieben Versuchen nur ein Sieg in einem Auftaktmatch gelungen. Für die Slowakei geht es am Freitag gegen Schweden (15.00 Uhr, live in ORF1) weiter, Polen steht hingegen gegen Spanien (21.00 Uhr, live in ORF1) bereits unter Zugzwang.

Jubel von Milan Skriniar (SVK) und Teamkollegen
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Inter-Verteidiger Skriniar (r.) bescherte der Slowakei einen perfekten Start ins Turnier

Stürmerstar gegen Topverteidiger

Bereits im Vorfeld der Partie war vor allem das Duell der Stars beider Mannschaften das große Thema. Auf polnischer Seite trug Torjäger Lewandowski, der heuer mit 41 Toren in der deutschen Bundesliga einen neuen Rekord aufgestellt hatte, einmal mehr die Hoffnungen auf ein erfolgreiches Turnier. Bei den Slowaken stand wie erwartet Topverteidiger Skriniar von Inter Mailand dem Weltfußballer gegenüber. Auch Routinier und Kapitän Marek Hamsik war im Gegensatz zum letzten Test gegen Österreich in Wien diesmal von Beginn an mit von der Partie.

Das erste Aufeinandertreffen der beiden Länder bei einer Endrunde war das erste von drei Spielen, das St. Petersburg von Dublin geerbt hatte. Weil die Verantwortlichen in der irischen Haupstadt die vom Europäischen Fußballverband (UEFA) geforderte Zuschauergarantie angesichtes der Pandemiesituation im Vorfeld der Endrunde nicht abgeben konnten und wollten, wurden die im Aviva Stadium geplanten Vorrundenpartien der Gruppe von der Liffey ins Krestovsky-Stadion an die russiche Newa verlegt.

Polen drängt, Slowakei führt

Die Zuschauer saßen zwar nicht am geplanten Schauplatz, sahen aber in der Anfangsphase das erwartete Geschehen. Die Polen versuchten ihre Favoritenrolle mit einer von Beginn an durch hohes Tempo geprägten, auf Lewandowski ausgerichteten und dominanten Vorstellung zu unterstreichen. Gleich zweimal versuchte es der Bayern-Torjäger in den ersten fünf Minuten zwar aus der Distanz, beide Male wurde der Schuss geblockt. Die Slowakei beschränkte sich darauf, ihre Abwehr zu stabilisieren und auf etwaige Konter zu lauern.

Und obwohl sich die Polen in der Anfangsphase mehr oder weniger permanent in der gegnerischen Hälfte aufhielten, stand es nach 18 Minuten 1:0 für die Slowaken. Nachdem Ondrej Duda vier Minuten davor nach einem angesprochenen Konter noch knapp daneben geschossen hatte, lag der Ball im polnischen Tor. Nach schöner Einzelaktion von Robert Mak sprang der Ball über den überraschten Goalie Szczesny ins Netz. Der Keeper von Juventus Turin kam damit nach dem Türken Merih Demiral gegen Italien als zweiter Eigentorschütze der EM 2021 in die Statistik. In der EM-Geschichte sorgte Szczesny sogar für eine Premiere: Noch nie hatte ein Torhüter ein Eigentor erzielt.

Szczesny-Eigentor bringt slowakische Führung

Der polnische Keeper wehrt einen von der Stange abgeprallten Schuss von Robert Mak unglücklich ins eigene Tor ab.

Der unerwartete Gegentreffer brachte Lewandowski und Co. sichtlich aus dem Konzept. Denn die Polen blieben zwar spielbestimmend, fanden gegen die tief und sicher stehende slowakische Abwehr aber kein Rezept. Selbiges konnte man von der polnischen Defensive nicht behaupten, die sich gedanklich ebenfalls nur nach vorne zu orientieren schien und in der Verteidigung nachlässig agierte. Die Slowakei war dem 2:0 daher auch näher als Polen dem Ausgleich: Ein Hammer von Juraj Kucka strich nur knapp über die Querlatte (27.). Für die Polen waren ein geblockter Versuch von Maciej Rybus (26.) und ein abgerissener Schuss von Lewandowski noch die „heißesten“ Chance (43.). Trotz mehr als 60 Prozent Ballbesitz auf polnischer Seite stand es zur Pause 1:0 für die Slowakei.

Ausgleich und Ausschluss

Teamchef Paulo Sousa dürfte in der Pause die richtigen Worte gefunden zu haben, denn seine Polen kamen zwar in gleicher Besetzung, aber trotzdem wie ausgewechselt aus der Kabine. Nach nur 30 Sekunden der zweiten Hälfte waren die Slowaken ihre Führung los. Rybus bediente nach schöner Kombination den völlig frei stehenden Linetty, und der schob die Kugel zum Ausgleich ins Tor (46.). Und die Slowaken mussten sogar froh sein, dass sie nicht sogar in Rückstand gerieten. Aber Piotr Zielinski schoss knapp vorbei (49.), Linetty feuerte den Ball genau in die Arme von Martin Dubravka (51.), und Kamil Glick köpfelte drüber (53.).

Linetty gleicht aus (46. Minute)

Unmittelbar nach Wiederbeginn steht Linetty im slowakischen Strafraum goldrichtig und trifft zum Ausgleich.

Die Polen schienen die Partie nun sicher im Griff zu haben, doch in der 62. Minute bestrafte der rumänische Schiedsrichter Ovidiu Hategan eine ungestüme Attacke von Krychowiak mit der Gelben Karte. Weil es für den Routinier von Lok Moskau bereits die zweite im Spiel war, musste er vorzeitig unter die Dusche. Für Krychowiak war es ausgerechnet in seinem 80. Länderspiel eine Premiere, denn in den 79 Partien davor war der 31-Jährige noch nie vorzeitig vom Platz geflogen. Besonders bitter für Krychowiak: Die erste Gelbe Karte in der 22. Minute fiel in die Kategorie hart.

Gelb-Rote Karte für Krychowiak (62. Minute)

Der Ausschluss des Routiniers wird zum Knackpunkt der Partie.

Slowakei nutzt Gunst der Stunde

Damit war es mit dem polnischen Sturm und Drang wieder vorbei, die Risikobereitschaft bei Lewandowski und Co. ging schlagartig nach unten. Die Slowaken nutzten hingegen die Gunst der Stunde und übernahmen mit einem Mann mehr die Kontrolle. Ein Umstand, der nur sieben Minuten nach Krychowiaks Ausschluss in der neuerlichen slowakischen Führung gipfelte. Nach einem Eckball fiel die Kugel vor die Beine von Skriniar, und der Superstar der Slowaken ließ Szczesny mit einem satten Schuss keine Chance (69.).

Nun war auch die Taktik der Polen, sich in Unterzahl zumindest einen Punkt zu ermauern, über den Haufen geworfen. Der Gegner Österreichs in der Qualifikation zu den aktuellen Titelkämpfen musste nun wieder offensiver werden, wollte er nicht als Verlierer vom Platz gehen. Gegen die nun wieder sicher stehende slowakische Abwehr war den Polen aber der Ausgleich nicht mehr vergönnt. Obwohl es noch zwei dicke Chancen gab: Zuerst rutschte Lewandowski kurz vor Schluss nach einem Eckball knapp am Ball vorbei (88.), dann schoss Jan Bednarek in der Nachspielzeit noch hauchdünn daneben (90.+1).

Stimmen zum Spiel

Stefan Tarkovic (Slowakei-Teamchef): „Wir sind ein kleines Land, aber ich bin total glücklich, dass wir das hingekriegt und so eine große Fußballnation geschlagen haben. Wir haben ein Spiel dieser Art erwartet. Wir konnten Lewandowski in Schach halten. Die erste Halbzeit war großartig. Am Anfang der zweiten Hälfte haben wir geschlafen, aber wir konnten noch ein Tor schießen und haben die letzten Minuten überstanden.“

Paulo Sousa (Polen-Teamchef): „Es sind nicht nur die polnischen Fans enttäuscht. Ich bin enttäuscht, die ganze Mannschaft ist enttäuscht. So dürfen wir nicht verlieren. Wir wollten den Ball haben und Chancen kreieren, das ist uns gelungen. Wir hätten es aber auch besser machen können. Wir müssen besser sein und mutiger sein, gerade auch in der Defensive. Unser Angriff hat nicht so funktioniert, wie er sollte. Das Zentrum des Spiels war zu weit weg von Robert (Lewandowski, Anm.). Wir haben daran gearbeitet, Skriniar zu decken, aber dann haben wir ihn bei einer Ecke verloren. Das muss ich mir anschauen und nachvollziehen, warum er nicht gedeckt war.“

Robert Lewandowski (Polen-Stürmer): „Es hat nicht gereicht. Uns hat mehrmals der letzte Pass gefehlt. Wir müssen die Verantwortung auf unsere Schultern nehmen. Wir haben natürlich noch zwei Spiele vor uns, aber das erste mit dem theoretisch schwächsten Gegner haben wir verloren. Deshalb sind wir in keiner leichten Lage.“

EM 2021, Gruppe E, erster Spieltag

Montag:

Polen – Slowakei 1:2 (0:1)

St. Petersburg, 34.500 Zuschauer, SR Hategan (ROU)

Torfolge:

0:1 Szczesny (18./Eigentor)
1:1 Linetty (46.)
1:2 Skriniar (69.)

Polen: Szczesny – Bereszynski, Glik, Bednarek, Rybus (74./Puchacz) – Linetty (74./Frankowski), Krychowiak, Klich (85./Moder) – Jozwiak, Lewandowski, Zielinski (85./Swiderski)

Slowakei: Dubravka – Pekarik (79./Koscelnik), Satka, Skriniar, Hubocan – Haraslin (87./Duris), Kucka, Hromada (79./Hrosovsky), Mak (87./Suslov) – Duda (91./Gregus), Hamsik

Gelb-Rote Karte: Krychowiak (62./Foul)

Gelbe Karten: Keine bzw. Hubocan

Die Besten: Linetty bzw. Mak, Kucka