Frankreich beschränkte sich nach dem unglücklichen wie erzwungenen Eigentor von DFB-Abwehrchef Mats Hummels (20.) auf die geschickte Verwaltung des Ergebnisses. Die Truppe von Didier Deschamps überließ den Deutschen das Mittelfeld, verteidigte gleichzeitig um die Gefahrenzone gewohnt konsequent und verließ sich in der Offensive auf die Zielstrebigkeit ihrer Qualitätsspieler. Paul Pogba begann zwischenzeitlich zu zaubern, wie er es sich in der Premier League für Manchester United nie trauen würde, Kylian Mbappe war ein ständiger Gefahrenherd.
Zweimal zappelte der Ball nach mustergültigen Kontern auch im Netz, beide Male nahm der Video Assistent Referee (VAR) den mitgereisten französischen Fans (zu Recht) den Jubel von den Lippen. Adrien Rabiot traf zudem die Stange. Auf der Gegenseite kamen Raphael Varane und seine Abwehrkompagnons bei all dem Aufwand, den die Deutschen betrieben, nur selten in Bedrängnis. Deschamps war glücklich über den Teamspirit, den die wohl kompletteste Mannschaft des Turniers exemplarisch vorlebte.
Highlights von Frankreich – Deutschland
Mats Hummels besiegelt mit einem Eigentor die knappe Niederlage Deutschlands.
Deschamps: „Mussten nicht viel leiden“
Trotzdem sah der 52-jährige nach nur vier Torschüssen (gegenüber zehn der DFB-Auswahl) Raum für Verbesserung: „Wir haben sehr gut verteidigt. Aber wir hätten vieles besser machen können, wir müssen uns vor allem mit dem Ball steigern.“ Höfliche Respektsbekundungen an den Gegner hatte der frühere Welt- und Europameister auch parat: „Es war ein großes Spiel gegen einen großen Gegner.“ Deschamps sagte aber auch: „Mit einem zweiten Tor wären wir auf der sicheren Seite gewesen, wir mussten aber auch so nicht viel leiden.“
In der Tat hatte die deutsche Mannschaft wesentlich öfter den Ball als Frankreich, kam aber kaum zu Tormöglichkeiten, auch wenn die Spieler das Positive hervorhoben. „Wir haben viel von dem umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten. Wir hatten nicht weniger Chancen als Frankreich“, sagte Toni Kroos. Der Real-Star war mit dieser Einschätzung nicht alleine. „Frankreich war absolut schlagbar. Wir haben das Niveau, um mit den Topteams mitzuhalten“, sagte Joshua Kimmich. Und Robin Gosens vermisste das berühmte „Quäntchen Glück“.
Schlüsselspiel gegen Europameister
Nüchterner und kritischer sah das noch DFB-Bundestrainer Löw, der konstatierte: „Die Mannschaft hat richtigen Biss gezeigt, viele Duelle gewonnen. Das Einzige: Wir haben kein Tor erzielt und vorne in manchen Situationen noch die Durchschlagskraft vermissen lassen. Daran gilt es zu arbeiten.“ Zeit dafür hat die DFB-Auswahl bis Samstag (18.00 Uhr, live in ORF1), wenn Europameister Portugal in München gastiert. Andernfalls droht ein Aus nach der Gruppenphase wie vor drei Jahren bei der WM.
Frankreich gastiert am Samstagnachmittag (15.00 Uhr, live in ORF1) in Ungarn, das Portugal spät mit 0:3 unterlag. Das deutsche Team steht gegen Cristiano Ronaldo und Co. jedenfalls fast schon mit dem Rücken zur Wand. „Wenn du das erste Spiel verlierst und drei Gruppenspiele hast, ist der Druck groß. Da muss man nicht drüber reden“, sagte nach der ersten deutschen EM-Auftaktniederlage überhaupt auch Kroos. Löw richtete den Blick voraus: „Wir werden uns wieder aufrichten. Wir werden das nächste Spiel dann angehen – und gewinnen.“
Ronaldo mit historischem Doppelpack
Zu tun bekommen es die Deutschen am Samstag unter anderen mit Ronaldo, der seinen EM-Torausbeute gegen Ungarn mit einem späten Doppelpack auf elf Treffer schraubte und damit vor Michel Platini (9) einsam an der Spitze liegt. „Man muss zu leiden wissen, bis zum Ende kämpfen und stets mit aller Macht daran glauben“, schrieb der Superstar der „Selecao“ nach dem erst spät fixierten Auftakterfolg.
„Ich bin der Mannschaft sehr dankbar, dass sie mir geholfen hat, zwei Tore zu schießen“, sagte Ronaldo. „Jetzt ist es notwendig, so weiterzumachen und das nächste Spiel zu gewinnen.“ Die Portugiesen waren gegen Ungarn tonangebend, auch wenn über 55.000 Zuschauer die Gastgeber frenetisch anpeitschten und Ronaldo und Co. heftig auspfiffen. „Cristiano regiert in der Hölle“, befand „As“ in Spanien angesichts der in Coronavirus-Zeiten ungewöhnlichen Kulisse in der Puskas Arena.
Knock-out und „Beißattacke“
In München für Diskussionen sorgten zwei Nebenschauplätze im Spiel. Zum einen war das eine Aktion nach knapp einer Stunde, als Deutschlands Gosens mit voller Wucht gegen Benjamin Pavards Kopf sprang. Der Franzose spielte nach kurzer Behandlung weiter, gab im Anschluss aber gegenüber dem TV-Sender beIN Sports zum Protokoll: „Ich war ein wenig ausgeknockt. Zehn bis 15 Sekunden lang. Danach war es besser.“
Die andere Szene betraf einen angedeuteten Biss von Deutschlands Antonio Rüdiger in den Rücken von Paul Pogba. Das „Opfer“ nahm die Aktion locker. „Er ist ein Freund von mir. Das war auf dem Platz, wir sind da kurz aneinandergeraten. (…) Ich wollte nicht, dass er für so eine Situation bestraft wird“, sagte Pogba.