Joachim Loew
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Fußball-EM

Deutschland sucht die Durchschlagskraft

Deutschland steht bei seinem zweiten Spiel bei der EM 2021 am Samstag (18.00 Uhr, live in ORF1) bereits mit dem Rücken zur Wand. Nach der 0:1-Niederlage zum Auftakt gegen Weltmeister Frankreich darf sich die Truppe von Joachim Löw gegen den amtierenden Europameister Portugal keinen weiteren Umfaller erlauben. Gegen Cristiano Ronaldo und Co. muss auf jeden Fall mehr Durchschlagskraft als gegen die „Equipe Tricolore“ her.

Die Deutschen benötigen zumindest einen Punkt, um Rechenspiele, wie man es im Worst Case als einer der vier Gruppendritten ins Achtelfinale schaffen könnte, so einfach wie möglich zu halten. Der Anspruch des vierfachen Welt- und dreifachen Europameisters ist aber ein Sieg. Doch dazu müssen die Deutschen in der Offensive mit mehr Druck agieren.

Serge Gnabry, Thomas Müller und Kai Havertz bildeten bei der 0:1-Niederlage gegen Frankreich – bei der ein frühes Eigentor von Mats Hummels den Unterschied ausmachte – ein recht stumpfes Offensivtrio, „Joker“ Timo Werner blieb ohne gelungene Aktion. Scharfe Tiefenläufe wurden kaum angerissen, die Straufraumszenen waren rar, ganz allgemein blieb der Stresslevel in Frankreichs Hintermannschaft überschaubar.

Frankreichs Paul Pogba gegen Toni Kroos (Deutschland)
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Toni Kroos (r.) und Co. machten gegen die Franzosen offensiv kaum einen Stich

Kritik von ehemaligen Größen blieb nicht aus. Mit Bastian Schweinsteiger etwa monierte eine Säule des Weltmeisterteams von 2014: „Dem DFB-Team hat der Punch gefehlt, und es ist zu wenig ins Risiko gegangen.“ Der langjährige Kapitän Michael Ballack regte eine Systemänderung an, nachdem Löw auf eine Dreierabwehr gesetzt hatte. „In der Dreierkette fühlen sich noch nicht alle wohl. Mit einer Viererkette kann man in Zukunft auch andere Möglichkeiten haben, um dann auch mehr Durchschlagskraft zu erzielen.“

Gruppe F, zweiter Spieltag

Samstag 18.00 Uhr, live in ORF1

Portugal – Deutschland

München, SR Taylor (ENG)

Möglich Aufstellungen:

Portugal: Rui Patricio – Nelson Semedo, Ruben Dias, Pepe, Guerreiro – Danilo, Bruno Fernandes, William Carvalho – Bernardo Silva, Cristiano Ronaldo, Diogo Jota

Deutschland: Neuer – Ginter, Hummels, Rüdiger – Kimmich, Kroos, Gündogan, Gosens – Havertz, Gnabry, Müller

„Wir sollten offensiv denken“

Bundestrainer Löw wehrte sich gegen den Vorwurf, nicht genug ins Risiko gegangen zu sein: „Das haben wir gemacht, wir hatten ja nur drei statt vier Verteidiger auf dem Feld.“ Anzeichen für einen radikalen System- und Personalwechsel gab es vor Spiel zwei nicht. Möglicherweise schickt Löw dieselben elf auf das Münchner Grün wie gegen Frankreich mit Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger. Dieser forderte: „Wir müssen im nächsten Spiel zeigen, dass wir auch ein Favorit sind.“

Wie beim Pokern „All in“ gehen muss der vierfache Weltmeister jedoch nicht. Auch ein Weiterkommen als einer der vier besten Gruppendritten ist möglich – immer einen Sieg zum Abschluss gegen Ungarn vorausgesetzt. Ilkay Gündogan hofft dennoch auf mehr Esprit. „Ich hoffe, dass wir mehr nach vorne spielen, wir sollten offensiv denken. Weil wir es auch können.“ Bei prognostizierten Temperaturen über 30 Grad Celsius kündigt sich auch ein körperlicher Abnützungskampf an. Gegen große Nationen haben die Deutschen seit zwei Jahren nichts gerissen, Niederlagen gegen Frankreich (0:1), Spanien (0:6) und die Niederlande (2:4) stehen in der Statistik.

Ronaldo gegen Deutsche ohne Stich

Den Portugiesen gelang gegen Ungarn in Budapest, wenn auch erst dank später Tore, ein gelungener Start ins Turnier. Cristiano Ronaldo holte sich mit seinen zwei Treffern nicht nur den Titel des EM-Rekordtorschützen, sondern schoss sich für die deutsche Abwehr warm. Das war auch notwendig, denn gegen die deutschen Verteidiger machte der portugiesische Superstar zuletzt keinen Stich.

Deutschland gegen Portugal unter Druck

Am Samstag kämpft Deutschland gegen Portugal um den Verbleib im Turnier. Die Nationalelf von Teamchef Joachim Löw muss nach der Niederlage gegen Frankreich unbedingt punkten.

Fast schon mit etwas Schadenfreude rechneten portugiesische Medien in diesen Tagen vor, dass der Kapitän der „Selecao“ schon gegen 34 verschiedene Nationalteams getroffen habe, aber gegen Deutschland noch nicht. Viermal stand der Nationalheld den Deutschen bei Großturnieren gegenüber – immer gewann der von Löw (mit)betreute Gegner. Portugals letztes Erfolgserlebnis ist schon 21 Jahre her. Das fiel bei der EM 2000 dank eines Hattricks von Sergio Conceicao mit 3:0 dafür recht deutlich aus.

Cristiano Ronaldo jubelt
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Gegen Ungarn kam Ronaldo spät, dafür aber dann richtig auf Touren

Respekt, aber keine Angst

Ronaldo orientiert sich auch ausschließlich am Ergebnis vom Ungarn-Spiel und von vor 21 Jahren gegen die Deutschen. „Jetzt ist es notwendig, so weiterzumachen und das nächste Spiel zu gewinnen“, sagte der Doppeltorschütze und gab damit die Marschroute vor. Nach den Toren Nummer zehn und elf ist er nun alleiniger EM-Rekordtorschütze. Portugals Bruno Fernandes warnte dennoch: „Vor eigenem Publikum in München zu spielen, bedeutet für sie eine zusätzliche Motivation.“

Der Kreativgeist von Manchester United sieht eine Drucksituation mit ungewissem Ausgang. „Sie müssen gewinnen. Das kann manchmal ein positiver Faktor sein, kann sich aber auch negativ auswirken, weil die Nerven eine Rolle spielen.“ Vor seinem 70. Pflichtspiel seit September 2020 sagte Fernandes: „Es wird ein hartes Spiel für uns, für Deutschland aber auch.“ Auch sein Trainer Feranando Santos sah es gegen eine „fantastische Mannschaft mit tollen Spielern“ ähnlich. Es werde schwer, „Deutschland zu schlagen“, sagte er am Freitag, „ich habe keine Angst vor ihnen, wir respektieren uns gegenseitig.“