Fußball-EM

Österreich muss sich Italien beugen

Österreichs Nationalmannschaft ist am Samstag nach einem sensationellen Auftritt im EM-Achtelfinale ausgeschieden. Die ÖFB-Auswahl musste sich im Londoner Wembley-Stadion Italien nach einem heroischen Kampf mit 1:2 nach Verlängerung geschlagen geben. Die Treffer des vierfachen Weltmeisters erzielten die eingewechselten Federico Chiesa (95.) und Matteo Pessina (105.). Österreichs Tor durch „Joker“ Sasa Kalajdzic (114.) kam zu spät.

Die Italiener blieben damit auch im 31. Spiel in Folge ungeschlagen und treffen im Viertelfinale auf den Sieger aus dem Duell Belgien gegen Portugal. Das ÖFB-Team war hingegen knapp dran, dem haushohen Favoriten erstmals seit 1960 eine Niederlage zuzufügen. Am Ende konnte das Team von Coach Franco Foda nur einen Teilerfolg verbuchen. Nach 1.169 Minuten ging durch Kalajdzic nämlich die Torsperre der „Squadra Azzurra“ zu Ende.

Pech hatte Österreich allerdings in der zweiten Hälfte, als ein Tor von Marko Arnautovic wegen einer hauchdünnen Abseitsstellung vom Videoreferee aberkannt wurde. Das ÖFB-Team blieb damit im 14. Spiel in Serie gegen Italien sieglos. Beim fünften Duell bei einem Großereignis gab es die fünfte Niederlage. Der Auftritt hätte sich aber mehr verdient gehabt, denn Österreich zeigte eine seiner besten, wenn nicht die beste Leistung unter Foda.

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Österreichisches Team vor dem Anpfiff
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Vor dem Spiel schworen sich die ÖFB-Kicker auf die große Herausforderung ein
Marko Arnautovic gegen Leonardo Bonucci
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Marko Arnautovic wurde an vorderster Stelle aufgeboten und sollte die Italiener in Verlegenheit bringen
Tormann Daniel Bachmann
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Daniel Bachmann im ÖFB-Team hielt, was zu halten war. Bei den Gegentoren war er machtlos.
Lattenschuss von Ciro Immobile
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Mit einem Kracher ans Lattenkreuz sorgte Ciro Immobile in der 32. Minute für einen Schreckmoment im ÖFB-Team
Aleksandar Dragovic gegen Marco Verratti
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Aleksandar Dragovic machte in seinem 94. Ländermatch eine Weltklassepartie und ließ nichts anbrennen
Torschuss von Marko Arnautovic
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Marko Arnautovic machte mit seinem Kopfball (65.) alles richtig, wäre er davor nicht um Zentimeter im Abseits gestanden.
Marko Arnautovic reagiert auf die Zurücknahme seines Tors
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Entsetzt musste Arnautovic die Entscheidung des Video Assistant Referee (VAR) zur Kenntnis nehmen
Teamchef Franco Foda mit Team vor der Nachspielzeit
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Teamchef Franco Foda (M.) motivierte seine Elf noch einmal für die entscheidende Phase der Verlängerung
Federico Chiesa schießt das 1:0
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Bachmann war bei einem Schuss des eingewechselten Chiesas zur Stelle.
Torjubel von Federico Chiesa
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Kurz darauf lässt sich Federico Chiesa für seinen Treffer zum 1:0 (95.) feiern.
Matteo Pessina schießt das 2:0
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Zehn Minuten nach dem 1:0 für Italien schlägt Matteo Pessina mit dem Tor zum 2:0 (105.) zu.
Sasa Kalajdzic schießt das 2:1
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Doch Österreich gibt nicht auf und Sasa Kalajdzic verkürzt in der 114. Minute mit einem Kopfball in Bodennähe zum 1:2
Jubel von Sasa Kalajdzic
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Zwei-Meter-Mann Kalajdzic (r.) feiert mit Michael Gregoritsch den Anschlusstreffer. Die Hoffnung lebt wieder.
Trauriger David Alaba nach dem Spiel
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Doch es sollte nicht sein. Italien bringt den Vorsprung über die Zeit und Österreich scheitert trotz sehr starker Leistung.
Spieler von Italien jubeln
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Am Ende jubeln die Italiener ausgelassen. Der Turnierfavorit stand knapp vor dem Aus gegen eine ebenbürtige ÖFB-Elf.

Perfekte Bedingungen im Wembley-Stadion

Personell und taktisch vertraute der Teamchef seiner Startformation wie gegen die Ukraine. Florian Grillitsch agierte im 4-2-3-1-System als „Sechser“ und bekam Unterstützung von Xaver Schlager. Die Rolle des Wolfsburg-Legionärs war defensiver ausgerichtet, um die Kreise der italienischen „Zehner“ Lorenzo Insigne und Nicolo Barella zu stören. Dieses Duo bildete mit Ciro Immobile die Offensivabteilung der „Squadra Azzurra“. Defensiv musste Italien aber auf Giorgio Chiellini verzichten, der durch Francesco Acerbi ersetzt wurde. Im Mittelfeld bekam Marco Verratti den Vorzug gegenüber Manuel Locatelli.

Die äußeren Bedingungen hätten für die Spieler nicht besser sein können. Bei angenehmen 20 Grad ging die Partie über die Bühne. Auch die beeindruckende Dimension des Wembley-Stadions bot den passenden Rahmen für Österreichs ersten Auftritt in einem EM-Achtelfinale. Einziger Wermutstropfen war die aufgrund der CoV-Bestimmungen spärliche Besetzung der Tribüne. Etwas mehr als 18.000 Plätze und damit ein Fünftel des 90.000 Fans fassenden Fußballtempels waren besetzt. Der Großteil davon befand sich im italienischen Lager.

Blick ins Wembley Stadium
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Nicht annähernd vollbesetzt, bot das Wembley-Stadion dennoch eine eindrucksvolle Kulisse für das Achtelfinale

Dieser Vorteil machte sich auch akustisch bemerkbar. Als die Italiener ihr wie üblich mit viel Leidenschaft intoniertes „Fratelli d’Italia“ beendeten, ging eine Welle der Begeisterung durch das Stadion. Bei der österreichischen Hymne waren sogar vereinzelt Buhrufe zu hören. Die ÖFB-Auswahl ließ sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen, schwor sich noch einmal im Kreis auf das Duell ein und legte gleich mit einem ersten guten Angriff los. Nach einer Hereingabe von Christoph Baumgartner kam Konrad Laimer aber nicht an den Ball (1.).

Bewegliche Italiener übernehmen Kommando

Österreich lieferte einen guten Beginn und war gewillt, offensive Akzente zu setzen. Der Spielaufbau klappte vor allem am Anfang kontrolliert. Mit Fortdauer der Partie erarbeiteten sich die flinken und beweglichen Italiener aber ein Übergewicht. Die „Squadra Azzurra“ überbrückte immer wieder schnell das Mittelfeld und kam so zu Abschlüssen.

Ein Schuss von Leonardo Spinazzola ging am kurzen Eck vorbei (11.). ÖFB-Goalie Daniel Bachmann war gegen Insigne zur Stelle (14.) und zeichnete sich kurz darauf mit einer starken Fußabwehr gegen Nicolo Barella aus (17.). Alaba konnte Immobile gerade noch den Ball wegspitzeln, bevor dieser zum Abschluss kam (25.). Österreich kam hingegen nur einmal vor das Tor der Italiener. Nach langem Pass von Marcel Sabitzer schoss Arnautovic, der sich eine frühe Gelbe Karte geholt hatte (2.), über das Tor.

Lattenkreuz verhindert Rückstand für Österreich

Der Spielverlauf kippte immer mehr in Richtung der Italiener, die spielerisch das Heft in der Hand hatten. Österreich versuchte, im Ballbesitz etwas das Tempo rauszunehmen, um sich Luft zu verschaffen. Die „Squadra Azzurra“ blieb aber gefährlich, wobei Österreich in der 32. Minute Glück hatte. Ein Schuss von Immobile aus gut 25 Metern ging ans Lattenkreuz. In den österreichischen Reihen hieß es tief durchatmen, denn Bachmann war zum Zuschauen verurteilt gewesen.

Immobile ans Lattenkreuz

Ein Distanzschuss von Ciro Immobile landete mit Glück für die Österreicher nicht im Tor, sondern am Lattenkreuz (32.).

Die Österreicher kamen nicht wie gewünscht ins Gegenpressing und damit selten vor das Tor von Gianluigi Donnarumma, unbeschäftigt war Italiens Goalie aber nicht. Nach einer Flanke von Xaver Schlager räumte er Baumgartner, der danach behandelt werden musste, aus dem Weg (37.). Auf der Gegenseite ging Bachmann bei einem Spinazzola-Schuss auf Nummer sicher und wehrte zum Eckball ab (43.). Mit dem 0:0 ging es in die Pause, womit eine spannende zweite Hälfte garantiert war.

Italien-Coach Mancini wird unentspannt

Personell unverändert kamen beide Teams aus der Kabine, wobei die Österreicher ihre Chance in der Offensive suchten. Nach einem Solo von Arnautovic im Strafraum probierte er selbst den Abschluss, statt auf den im Rückraum besser positionierten Sabitzer aufzulegen (49.). Kurz darauf kam Giovanni di Lorenzo gegen Baumgartner zu spät und beging ein Foul an der Strafraumgrenze und damit in idealer Freistoßposition. Alaba richtete sich den Ball für seinen starken linken Fuß her, der Schuss ging allerdings hauchdünn über die Latte (52.). Auf der Gegenseite rettete der Kapitän nach einem Insigne-Querpass vor Domenico Berardi (56.).

Je länger die Partie dauerte, desto weniger behagte den Italienern der Zwischenstand. Coach Roberto Mancini ärgerte sich an der Seitenlinie immer wieder über missglückte Aktionen seines Teams. Nach knapp einer Stunde wurde Italiens Teamchef noch ein wenig blasser um die Nase. Ein abgefälschter Sabitzer-Schuss ging am langen Eck vorbei (62.). Nach dem Corner kam Arnautovic über Umwegen zum Abschluss, traf aber den Ball nicht richtig (63.).

Zu früh gefreut, VAR erkennt ÖFB-Tor ab

In der 65. Minute schien dann die zu diesem Zeitpunkt 1.120 Minuten währende Torsperre der Italiener gebrochen. Nach Flanke von Lainer gab Alaba per Kopf zurück auf Arnautovic. Der Stürmer bezwang ebenfalls per Kopf Donnarumma aus kurzer Distanz. Spieler und Coach Foda bejubelten den Führungstreffer, ehe der Videoschiedsrichter zur Tat schritt. Beide Teams hatten bange Momente zu überstehen. Die Österreicher zitterten um ihr Tor, die Italiener um das 0:0. Der VAR entschied auf Abseits, Arnautovic war um den Hauch zu weit vorne gewesen beim Abspiel.

Arnautovic-Treffer aberkannt

Marko Arnautovic bringt die Österreicher vermeintlich in Führung. Nach längerer Überprüfung des Videoschiedsrichters wird das Tor wegen einer Abseitsposition aber aberkannt (65.).

Mancini reagierte auf die Schwächephase und brachte Manuel Locatelli für Verratti in eine Partie, die nun auf Biegen und Brechen geführt wurde. Insigne lupfte einen Ball zu lässig über das österreichische Tor (72.), auf der anderen Seite wurde Lainer vom ebenfalls eingewechselten Pessina mit dem Ellenbogen im Gesicht zu Fall gebracht. Die neuerliche Überprüfung der Situation ergab aber kein Foul, sondern ein vorangegangenes Abseits des ÖFB-Verteidigers.

In der 83. Minute waren die Italiener knapp dran an der Führung. Nach Flanke von Spinazzola versuchte es Berardi mit einem Seitfallzieher, der ihm aber gründlich misslang. Mancini brachte Andrea Belotti und Chiesa für Immobile und Berardi (84.). Österreich hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gewechselt. Erst als Baumgartner Krämpfe bekam, reagierte Foda. Für den Hoffenheim-Legionär kam Alessandro Schöpf. Kurz vor Schluss gab es nach Foul von Arnautovic an Jorginho für Österreich noch eine heikle Situation zu überstehen, doch der Freistoß brachte nichts ein (90+4.).

Italien schlägt zweimal zu

In der kurzen Pause vor der Verlängerung versammelte Foda seine Burschen in einem Kreis und redete eindringlich auf sein Team ein. Motiviert ging es in die zusätzlichen 30 Minuten. Es dauerte allerdings nicht lange, ehe es den bitteren Rückschlag setzte. Chiesa scheiterte zunächst noch an Bachmann (94.), ehe der „Joker“ für die Italiener stach. Nach einer weiten Hereingabe nahm sich der Juventus-Spieler den Ball mit dem Kopf an. Alaba war zu weit in der Mitte positioniert. Der zu spät zur Hilfe eilende Laimer wurde mit einem Haken ausmanövriert, anschließend schoss Chiesa abgebrüht ins lange Eck (95.).

Chiesa schießt Italien in Führung

In der Verlängerung gehen die Italiener in Führung. Der eingewechselte Federico Chiesa trifft zum 1:0 für die „Squadra Azzura“ in der 95. Minute.

Während die Italiener noch ausgiebig jubelten, entschied sich für Foda für einen Wechsel und brachte Sasa Kalajdzic für den erschöpften Arnautovic. Bachmann hielt Österreich nach einem Freistoß von Insigne mit einer sensationellen Parade vorerst noch im Spiel (104.), musste sich aber kurz darauf erneut geschlagen geben. Pessina kam im Strafraum zum Ball, setzte sich gegen Hinteregger durch und schoss ein.

Österreich kommt noch einmal heran

Mit dem 0:2-Rückstand im Rücken, riskierte Foda und brachte mit Michael Gregoritsch sowie Louis Schaub zwei weitere Offensivkräfte. Letzterer hätte beinahe für den Anschlusstreffer gesorgt. Italien-Goalie Gianluigi Donnarumma verhinderte nach einem perfekten Halbvolley von Schaub aber mit einer Glanzparade das Tor zum 1:2 (106.). Sabitzer traf dann zunächst den Ball nicht richtig, bekam aber eine zweite Chance. Aber auch diese konnte der Leipziger nicht im Tor unterbringen (110.).

Noch war aber nicht aller Tage Abend im Wembley-Stadion, denn Österreich durfte noch einmal Hoffnung schöpfen. Schaub brachte einen Eckball zur Mitte. Kalajdzic schummelte sich an Locatelli vorbei, tauchte mit dem Kopf tief ab und bezwang Donnarumma im kurzen Eck (114.). Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Österreich warf alles nach vorn. Ein Gregoritsch-Schuss ging am Tor vorbei (119.). Auf der Gegenseite klärte der für Lainer eingewechselte Christopher Trimmel nach einem Chiesa-Heber für den geschlagenen Bachmann vor der Linie (120.). Erst dann erfolgte der Schlusspfiff, der enttäuschte Österreicher auf dem Rasen zurückließ.

Stimmen zum Spiel:

Franco Foda (ÖFB-Teamchef): „Wir sind alle enttäuscht, das ist klar nach so einem Spiel. Gerade nach 90 Minuten hatte ich das Gefühl, dass wir das Spiel für uns entscheiden können. Wir haben toll gespielt, selbst nach dem 0:2 nie aufgegeben und nach dem 1:2 noch Chancen gehabt. Man hat gesehen, die Mannschaft hat an sich geglaubt, ganz Österreich kann auf dieses Nationalteam sehr stolz sein. Letztendlich können wir uns nichts darum kaufen, auch wenn ich nach einem Spiel noch nie so viele Komplimente bekommen habe. Letztendlich sind wir ausgeschieden.“

David Alaba (Kapitän Österreich): „Das in Worte zu fassen ist im Moment gerade wirklich nicht einfach. Wir können stolz auf uns sein, auch Österreich kann stolz auf uns sein. Letzten Endes wurden wir für diese Leistung, diese komplette Endrunde nicht belohnt. Das ist sehr bitter. Wenn man sich das Spiel heute anschaut, das tut sehr weh.“

Roberto Mancini (Italien-Teamchef): „Wir haben uns den Sieg verdient, obwohl es ein schweres Spiel war. Wir waren am Schluss müde und hatten daher Probleme. Dieses Spiel war wahrscheinlich schwerer als das nächste Spiel im Viertelfinale.“

EM 2020, Achtelfinale

Samstag:

Italien – Österreich 2:1 n.V. (0:0, 0:0)

London, Wembley-Stadion, 18.910 Zuschauer, SR Taylor (ENG)

Torfolge:
1:0 Chiesa (95.)
2:0 Pessina (105.)
2:1 Kalajdzic (114.)

Österreich: Bachmann – Lainer (114./Trimmel), Dragovic, Hinteregger, Alaba – Grillitsch (106./Schaub) – Laimer (114./Ilsanker), X. Schlager (106./Gregoritsch), Sabitzer, Baumgartner (90./Schöpf) – Arnautovic (97./Kalajdzic)

Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Acerbi, Spinazzola – Barella (67./Pessina), Jorginho, Verratti (67./Locatelli) – Berardi (84./Chiesa), Immobile (84./Belotti), Insigne (108./Cristante)

Gelbe Karten: Di Lorenzo, Barella bzw. Arnautovic, Hinteregger, Dragovic