BIld zeigt die österreichische Fußball Nationalmannschaft.
GEPA/Philipp Brem
Fußball-EM

ÖFB-Team bewies Mut zur Veränderung

Die österreichische Nationalmannschaft darf auf ihre erfolgreichste Europameisterschaft zurückblicken. Teamchef Franco Foda und seine Spieler waren dieses Mal auf dem Punkt da, als es darauf ankam, auch weil der 55-jährige Deutsche das Potenzial dieser „Goldenen Generation“ sichtbar werden ließ. Gemeinsam bewies das ÖFB-Team Mut zur Veränderung.

Das ÖFB-Team, das für viele Beobachter als talentiertestes in seiner Geschichte gilt, verewigte sich bei dieser Endrunde gleich in vielerlei Hinsicht. Beim 3:1 gegen Nordmazedonien gelang der erste Sieg bei einer Europameisterschaft und der erste bei einer Endrunde seit 1990, mit dem 1:0 gegen die Ukraine stieg man erstmals ins Achtelfinale auf, und beim heroischen 1:2 nach Verlängerung gegen Italien im Wembley-Stadion spielte die ÖFB-Auswahl ihr erstes K.-o.-Spiel seit 1954.

Das erklärte (Mindest-)Ziel Achtelfinale wurde erreicht, aber vor allem die veränderte Spielweise in den letzten beiden Spielen sorgte für Lob. „Er (Foda, Anm.) hat die Zügel locker gelassen, die Spieler aus ihren Zwängen rausgelassen. Hohes Pressing, Gegenpressing, das liegt dieser Mannschaft. Der Wechsel der Spielanlage war entscheidend, dass wir in den letzten beiden Spiele so gut ausgesehen haben“, analysierte ORF-TV-Experte Roman Mählich. Der Erfolg hat aber freilich viele Väter.

Richtige Lehren vor EM-Endrunde gezogen

Drei Monate zuvor sah die Fußballwelt in Österreich noch ganz anders aus. Das ÖFB-Team hatte gerade das WM-Qualifikationsspiel gegen Dänemark in Wien mit 0:4 verloren, was die höchste Heimniederlage in einem Pflichtspiel bedeutete. Foda stapfte damals im Dunkel der Nacht nachdenklich zu seinem Auto, wenige Minuten zuvor hatte er auf der Pressekonferenz sachlich erklärt: „Wir wissen, dass wir bei der EM, davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt, besser aussehen werden.“

Teamchef Franko Foda
GEPA/Philipp Brem
Binnen drei Monaten führte Foda das Team vom „Tal der Dänen“ zur erfolgreichsten EM der ÖFB-Geschichte

Im April und Mai wurden offenkundig die richtigen Lehren gezogen. „Wir haben gesagt, dass wir nach dem letzten Lehrgang und der Niederlage gegen Dänemark nicht zur Tagesordnung übergehen können“, erklärte ÖFB-Präsident Leo Windtner. Die Aufarbeitung sei professionell und auch mit „externem Support“ erfolgt. Details dazu wollte der Oberösterreicher allerdings nicht nennen.

Mit Andreas Gahleitner kam in jedem Fall ein zusätzlicher Spielanalyst dazu. Sportdirektor Peter Schöttel sah den März-Lehrgang als Start des Turnarounds: „Danach waren wir alle miteinander sehr selbstkritisch.“

Wohlfühloase Seefeld

Zunächst passten die Voraussetzungen für eine gute Endrunde, auch hier wurden die richtigen Lehren nach der verpatzten EM 2016 gezogen. Damals war das Team als gefährlicher Außenseiter gestartet und als Gruppenletzter aus dem Turnier geflogen. Das Teamcamp Mallemort blieb in schlechter Erinnerung. Österreich schlug bei dieser Endrunde seine Zelte in Seefeld im eigenen Land auf. Viel Abwechslung war zudem der Trumpf, um einen Lagerkoller zu verhindern.

Trainings des ÖFB-Teams in Seefeld
APA/Robert Jaeger
In Tirol kam das ÖFB-Team immer wieder herunter und tankte Kraft für die neuen Aufgaben

Vor einem Monat startete die Vorbereitung in Bad Tatzmannsdorf, über England und Wien ging es weiter nach Tirol, von wo aus zweimal Bukarest, Amsterdam und zuletzt London angesteuert wurden.

Teamgeist überwiegt Rückschläge

Mannschaftsabende – Konrad Laimer und David Alaba feierten ihre Geburtstage im Camp – sowie Grillereien hoben die Stimmung, die Mannschaft wuchs in diesem Monat spürbar zusammen. Rückschläge wie die Sperre Marko Arnautovics wurden letztlich verkraftet. Auch das Team um das Team erfüllte seinen Job, dafür gab es Lob von Foda.

Widrigen Umständen – gleich drei von vier Abschlusstrainings konnten nicht planmäßig abgehalten werden – wurde auch mit Spaß getrotzt, wie der „Bauchfleck“ von Christoph Baumgartner in Bukarest zeigte.

Österreich blieb mit Ausnahme von Valentino Lazaro während seiner Turnierteilnahme vom Verletzungspech verschont und hinterließ physisch einen starken Eindruck. Das war der Belastungssteuerung geschuldet, aber nicht nur, wie Sportwissenschaftler Gerhard Zallinger verriet. „Wenn du mit Überzeugung, mit Entschlossenheit am Platz stehst, kannst du auch mehr leisten.“ Die Laufleistungen des Teams waren herausragend, Stand jetzt hat etwa kein Spieler bei diesem Turnier mehr Kilometer abgespult als Marcel Sabitzer (48,7 Kilometer).

Alaba als echter Anführer

Der Leipzig-Kapitän konnte in diesem Turnier seine Rolle aus seinem Club transformieren und ähnlich wie Xaver Schlager oder der nach seiner langwierigen Knieverletzung überraschend fitte Konrad Laimer seine Stärken auf den Platz bringen. Die erfolgreichste Transformation innerhalb des Teams gelang aber Alaba. Seine ewige Positionssuche führte ihn nun in die Abwehr, wo er zweimal als Innenverteidiger und zweimal als Linksverteidiger in Erscheinung trat. Auf jenen Positionen, die er jahrelang bei Bayern München so erfolgreich ausgefüllt hatte.

David Alaba und Marco Arnautovic
AP//Robert Ghement
David Alaba packte auf dem Feld und abseits davon entscheidend an, wenn es darauf ankam

„Er hat mir von seiner Idee erzählt, wir hatten unsere Gespräche“, erklärte Alaba nach dem wichtigen Auftaktsieg, bei dem er im Finish über die linke Seite kam und das vorentscheidende Tor von Michael Gregoritsch mit einer sehenswerten Hereingabe aufgelegt hatte.

Weniger sehenswert war sein Elfmeterfoul beim 0:2 gegen die Niederlande, diesen Fehler nahm er auf seine Kappe. Alaba trat bei diesem Turnier auf und abseits des Platzes als der erhoffte Anführer auf, diesen Anspruch konnte er fünf Jahren zuvor altersbedingt noch nicht erfüllen. Mit nun 29 Jahren wirkt Familienvater Alaba erwachsen und reif, er weiß, was zu tun ist. Unvergessen bleibt die Szene, als er Arnautovic bei dessen „Torjubel“ versuchte, den Mund zuzuhalten.

Potenzial sichtbar gemacht

Letztlich darf die gelungene EM-Performance aber als erfolgreiches Teamwork bewertet werden. Dafür hauptverantwortlich zeichnete der zuvor kritisierte Teamchef Foda. Die Genugtuung war sicht- und hörbar („Kritiker haben Pause“), der Deutsche sprang gerade rechtzeitig über seinen Schatten und überraschte selbst mit einer Transformation, die sich im Laufe der Tage und Wochen bei diesem Turnier niederschlug.

Österreich hatte als bessere Mannschaft gegen Nordmazedonien verdient gewonnen, aber im Offensivspiel nur bedingt überzeugt. Beim 0:2 in Amsterdam offenbarte sich die Schwäche mit dem Ball noch mehr. Die keineswegs überragenden Niederländer – siehe Achtelfinale – überließen dem ÖFB-Team daher das Leder und warteten auf Fehler. Die Kritik zwischen den Zeilen wurde hörbar lauter. Verteidiger Martin Hinteregger sprach davon, dass man leicht auszurechnen gewesen sei.

Christoph Baumgartner beim 1:0 gegen die Ukraine.
APA/AFP/Mihai Barbu
Baumgartners „Sohle von Bukarest“ führte Österreich ins Achtelfinale, die Belohnung für einen mutigen Auftritt

Im entscheidenden Gruppenspiel gegen die Ukraine verabschiedete sich Foda von der Fünferkette und positionierte sein Team deutlich höher. Dort tobten sich die Balleroberer Schlager und Laimer ebenso wie der umtriebige Sabitzer aus. Mit Florian Grillitsch, der in einem ORF-Interview seinen Anspruch auf einen Startplatz Nachdruck verlieh, lieferte dahinter als Pass- und Taktgeber ab. In der Defensive waren Hinteregger und Aleksandar Dragovic ein eingespieltes Bollwerk, rechts zeigte Stefan Lainer teilweise beherzte Klasseleistungen.

Dank der höheren und besseren Positionierungen, Balleroberungen und Überzahlsituationen kam Österreich zu einer Vielzahl an Chancen, auch weil der Weg mit Ball kürzer war als zuvor in Amsterdam. Entsprechend den Qualitäten seiner Spieler handelte Österreich mutig, lauffreudig, angriffslustig – und begeisterte damit. Die Leistung im Achtelfinale gegen Italien eroberte die Herzen vieler Fans zurück, Anhänger empfingen das Team in Innsbruck.

Nicht nur Turnaround lässt für Zukunft hoffen

In weniger als drei Monaten kann die Fußballwelt wiederum ganz anders aussehen, wenn das Team wieder in der WM-Qualifikation gefordert ist. Nach dem verpatzten Start geht es wohl darum, sich via Play-off für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar zu qualifizieren. Es wäre die erste ÖFB-Teilnahme an einer WM seit 1998, diese Generation um Alaba und Co. kann die Durststrecke zweifelsohne beenden.

Nicht nur der erfolgreiche Turnaround lässt hoffen, dass mit dem ÖFB-Team fortan zu rechnen ist. Zumal dieses Turnier keine Zäsur bedeutet, kein Umbruch erfolgt. Die Stammspieler befinden sich entweder im besten Fußballalter oder sind wie Baumgartner (21), Schlager (23) oder Laimer (24) jung genug, um sich noch weiter zu steigern. Im aktuellen U21-Team wimmelt es zudem an Talenten, die perspektivisch auch die Hoffnung nähren. Das Beste scheint also noch nicht vorbei.