Der deutsche Nationalteamtrainer Joachim Löw
AP/Matthias Schrader
Fußball-EM

Erfolgsära Löw endet enttäuschend

Eine der erfolgreichsten und längsten Ären eines deutschen Bundestrainers ist am Dienstag enttäuschend zu Ende gegangen. Das 0:2 im EM-Achtelfinale gegen England im Wembley-Stadion setzte einen bitteren Schlussstrich unter die 15-jährige Amtszeit von Joachim Löw als deutschem Teamchef. Für den 61-Jährigen war es wohl der Job seines Lebens, nun werde „vielleicht auch mal eine gewisse Leere kommen“. Seine Zukunft ließt Löw offen.

Es war 18.51 Uhr Ortszeit in London, als das EM-Aus der Deutschen gegen die „Three Lions“ endgültig feststand und die 15-Jahre-Ära von Löw als Bundestrainer abrupt endete. Der 61-Jährige geht ungekrönt in die DFB-Pension. Löw nahm Thomas Müller kurz in den Arm, bedankte sich bei seinem Assistenten Marcus Sorg und verschwand kopfschüttelnd in den Katakomben des Wembley-Stadions. „Die Enttäuschung ist da. Viel mehr Gedanken sind nicht möglich“, sagte der ehemalige FC-Tirol- und Austria-Trainer.

15 Jahre als Trainer sind im Fußballgeschäft selbst auf Verbandsebene mehr als eine Ewigkeit. Das kann nur funktionieren, wenn die Erfolgsquote über viele Jahre stimmt und wenn der Trainer in der Aufgabe seine Erfüllung findet. Und außerdem einen Arbeitgeber findet, der einem freie Hand lässt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vertraute nach den großen Erfolgen wohl eine Spur zu lange auf Löws Potenzial und setzte auch nach dem WM-Aus 2018 weiter auf ihn. Drei Jahre nach dem WM-Desaster in Russland verpasste die DFB-Elf nun aber erneut das gesetzte Ziel und trübte damit auch Löws Bilanz als Teamchef.

Joachim Löw im Porträt

DFB-Teamchef Joachim Löw bestreitet bei der EM sein letztes Turnier als Bundestrainer. Seinen größten Erfolg feierte er mit seinem Team bei der Weltmeisterschaft 2014.

In einer Reihe mit Herberger, Schön und Beckenbauer

Der 61-Jährige war immer mehr ein Entwickler, ein Trainer, der einen Masterplan entwirft. Der Weg war oft das Ziel, er erreichte es beim WM-Triumph 2014 in Brasilien nach einem mehrjährigen Vorlauf. Danach wurde es holprig, Löws Turnierkurve entwickelte sich abwärts. Trotzdem spricht sein ewiger Wegbegleiter und DFB-Direktor Oliver Bierhoff „von einer Erfolgsgeschichte dieses Trainers“ – nicht zu Unrecht übrigens. Sepp Herberger, Helmut Schön, Franz Beckenbauer, Löw – in dieser Weltmeisterriege steht der Mann aus Südbaden.

Löw liebte den Nervenkitzel, auch wenn er an der Seitenlinie bisweilen einen nervösen, hilflosen Eindruck vermittelte. „Für solche Spiele ist man Trainer“, hatte er bereits vor dem Achtelfinal-Klassiker gegen England gesagt. Die Begeisterung und seine Bodenständigkeit machten ihn auch so beliebt. „Jogi besitzt dieses Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland, wo er herstammt“, sagte Jürgen Klinsmann zum langen Verbleib Löws auf dem Posten, den er selbst nach nur zwei Jahren nach der Heim-WM 2006 wieder aufgegeben hatte. Er selbst hatte Löw 2004 als Assistenztrainer ausgewählt und war damit sein direkter Vorgänger als Bundestrainer.

WM-Triumph 2014 als Höhepunkt

Die Partie gegen England war das 198. Länderspiel für Löw als DFB-Teamchef. Insgesamt 124-mal ging die deutsche Auswahl unter seiner Regentschaft als Sieger vom Platz, daneben gab es 40 Remis. Die Niederlage am Dienstag war die 34. Niederlage für ihn als Bundestrainer. Die drei WM-Endrunden (2010, 2014, 2018) mit dem Triumph in Brasilien 2014 und vier EM-Events (2008, 2012, 2016, 2021) mit der Finalniederlage 2008 in Wien gegen Spanien waren darum „die Highlights“ seiner Karriere. Nun endet die längste Strecke eines Bundestrainers. Sieben Turniere sind unerreicht.

Der deutsche Nationaltrainer Joachim Löw bei der WM im Juli 2014
AP/Matthias Schrader
Der WM-Triumph 2014 in Brasilien war für Löw der absolute Höhepunkt seiner Karriere

„In diesen 15 Jahren waren sehr viele Dinge dabei, die sehr positiv waren. Dann haben wir uns stetig entwickelt, der Titel 2014, Confed Cup 2017 mit einer jungen Mannschaft. Der Weg mit Menschen, die lange mit mir gearbeitet haben, mit Spielern. Da sind schon unglaublich starke Verbindungen gewachsen“, sagte Löw. „Da gab es Momente, die unvergesslich sind. Wir hatten in den Jahren seit 2018 einige Probleme. Es gab auch viele schwierige Phasen. Wir haben es nicht ganz geschafft, dass die Mannschaft so eingespielt ist und Automatismen hat.“

Wer am Montagabend miterlebte, wie die Schweiz den Topfavoriten Frankreich in einem Krimi besiegte, der versteht, warum Turniere das größte Spektakel sind. Und ein Turnier-K.-o. so bitter. Aber in solchen Spielen hatte Löw am Ende seiner Amtszeit eben nicht nur das nötige Glück verloren. Auch am Dienstagabend fehlte ihm am Spielfeldrand die spontane Eingabe, die große Idee, die Reaktion. „Er hat eine Wahnsinnsära mit angeführt, das ist einfach traurig, dass es jetzt vorbei ist“, sagte Löws einstiger Kapitän Bastian Schweinsteiger nach der Niederlage gegen England als ARD-Experte.

Kein konkreter Plan für die Zukunft

Wie es weitergeht, ist offen, einen konkreten Plan für die nähere Zukunft habe er noch nicht, sagte Löw. Der 61-Jährige war in Deutschland, der Türkei und Österreich Vereinstrainer. Aber erst als Teamchef konnte er sich ausleben. Im Gegensatz zum stressigen Dreitage-sSpielrhythmus eines Vereinstrainers waren es die Turniere, die ihn in der Regel alle zwei Jahre an seine Belastungs- und Leistungsgrenze trieben, ihm den „Kick geben“. „Bei einem Turnier bin ich in meiner eigenen Welt, in meinem Tunnel“, sagte Löw einmal.

Es begann für ihn nie mit dem ersten Spiel, auch nicht mit dem Trainingslager. „Vor einem Turnier bin ich praktisch schon ein halbes Jahr davor nirgendwo anders mit den Gedanken als beim Fußball“, sagte er vor dieser EM, seinem letzten großen Turnier als Chef der Nationalelf. In den zeitlichen Freiräumen zwischen den Länderspielen tauchte er regelmäßig ab. Rote Teppiche mied Löw, Talkshows ebenso, nur für die Bambi-Verleihung machte er Ausnahmen. Der ewige „Bundes-Jogi“ ist den Menschen im Lande irgendwie fremd geblieben.

„Anderen Dingen im Leben widmen“

Als Trainer wirkte Löw bisweilen stur, entscheidungsschwach, mindestens eigenwillig. Und seit dem WM-Desaster 2018 wirkte der 61-Jährige auch irgendwie nicht mehr auf der Höhe der Zeit. „Erstmal freue ich mich auf die Zeit, die nach der EM kommt. Da kann ich mich auch mal wieder anderen Dingen in meinem Leben widmen“, sagte er zur anstehenden Ablöse nach dem Turnier durch Hansi Flick. Wenn der Druck abgefallen sei, werde „vielleicht auch mal eine gewisse Leere kommen“. Den Job des Lebens gibt es nur einmal, egal ob Löw nochmal ein Trainercomeback geben wird, irgendwo, irgendwann.