Der Siegestreffer von Artjom Dowbik in der Nachspielzeit der Verlängerung stürzte die Ukraine, die in der Gruppenphase noch den Niederlanden (2:3) und Österreich (0:1) unterlegen war und nur knapp als einer von vier Dritten ins Achtelfinale gerutscht war, in einen Freudentaumel. „Wir fordern morgen arbeitsfrei für das ganze Land!“, verkündete die Boulevardzeitung „KP“ nach dem Coup gegen Schweden in Glasgow. „Es ist bereits nach Mitternacht, und wir, alle 40 Millionen, sind immer noch auf dem Spielfeld.“
Der erste Viertelfinal-Einzug bei einem großen Fußballturnier seit der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland lädt Trainer, Spieler und die Fans in der ukrainischen Heimat zum Träumen ein. Nun will das Team von Teamchef Schewtschenko mehr – auch wenn im Viertelfinale in Rom am Samstag (21.00 Uhr, live in ORF1) mit den Engländern nun ein Titelkandidat wartet. „Mit dieser Leistung, diesem Engagement und heroischen Kampf hat sich unsere Mannschaft die Liebe einer ganzen Nation verdient“, sagte der ehemalige Stürmerstar.
„Es ist eine historische Leistung“, sagte der ukrainische Linksverteidiger Alexander Sintschenko, der sein Land mit einem fulminanten Schuss in Führung gebracht hatte (27.). Trotz aller Euphorie versuchte der 24-Jährige, der beim englischen Meister Manchester City sein Geld verdient, sich und seine Kollegen auf dem Boden der Realität zu halten. „Mein Rat an alle: Lasst uns feiern, wir leben nur einmal, und wir werden diese Momente vielleicht nie wiederholen“, sagte Sintschenko mit Hinblick auf den nächsten Gegner.
Viel Kampf und Stangenschüsse
Es war tatsächlich ein harter Kampf, den sich die beiden blau-gelben Mannschaften vor 9.221 Zuschauern im Hampden Park der schottischen Metropole Glasgow lieferten. Fußballerisch zwar nicht immer glanzvoll, aber doch voller Höhepunkte entwickelte sich eine kurzweilige Partie. Schwedens Mittelfeldstar Emil Forsberg traf aus der Distanz zum zwischenzeitlichen Ausgleich ins Netz (43.), aber auch jeweils Stange und Latte. Auch die Ukraine hatte ihre Chancen.
Dann wurde es wild. Viele Verletzungsunterbrechungen störten den Spielfluss, Spieler beider Teams schleppten sich mehr über den Platz, als sie liefen, fast im Minutentakt kamen die medizinischen Betreuer auf das Spielfeld. „In der Nachspielzeit verwandelte sich das Spiel in ein richtiges Gemetzel mit Verletzungen und Platzverweis“, urteilte das Webportal Segodnja – mit dem glücklicheren Ende für die Ukraine. Denn in der Nachspielzeit der Verlängerung traf „Joker“ Dowbik (121.) mit seinem ersten Länderspieltor tatsächlich zum Sieg, der in der Heimat frenetisch gefeiert wurde.
Rote Karte als Knackpunkt
„Die Rote Karte hat das Spiel entschieden, wir mussten hart kämpfen“, sagte Schweden-Coach Janne Andersson. Marcus Danielson wurde wegen groben Foulspiels vom Platz geschickt (98.), nachdem er Artjom Bessedin am Knie getroffen hatte, der erst wenige Minuten zuvor eingewechselte Stürmer musste verletzt von Platz. Die Entscheidung erhitzte die Gemüter. „Lächerlich“, schimpfte Englands Fußballlegende Gary Lineker auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Der Platzverweis war aber durchaus gerechtfertigt – eine Position, die letztlich sogar Andersson unterstützte.
Für Schweden, bisher deutlich überlegen, änderte sich durch den Platzverweis das Spiel abrupt – und am Ende schlug Dowbik noch zu. „So sollte es nicht enden“, sagte Schwedens Jungstar Dejan Kulusevski enttäuscht. Der 21-Jährige von Juventus Turin meinte: „Der Fußball gibt viel, aber er nimmt noch mehr.“ Auch Forsberg wirkte angeschlagen. „Mit der letzten Aktion, eine Flanke und ein Kopfball, haben sie getroffen, das ist unglaublich schwer zu verkraften“, meinte der Leipzig-Legionär. „Ich bin so traurig, wir hatten höhere Ziele als das Achtelfinale.“